White Noise – Schreie aus dem Jenseits [2005]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 12. März 2005
Genre: Fantasy / Horror

Originaltitel: White Noise
Laufzeit: 101 min.
Produktionsland: Kanada / Großbritannien
Produktionsjahr: 2004
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Geoffrey Sax
Musik: Claude Foisy
Darsteller: Michael Keaton, Chandra West, Deborah Kara Unger, Ian McNeice, Sarah Strange, Nicholas Elia, Mike Dopud, Marsha Regis, Brad Sihvon, Mitchell Kosterman, Amber Rothwell, Suzanne Ristic, Miranda Frigon


Kurzinhalt:
Als Anna (Chandra West), Ehefrau des erfolgreichen Architekten Jonathan Rivers (Michael Keaton), vermisst wird, hofft Jonathan zusammen mit seinem kleinen Sohn Mike (Nicholas Elia), der aus Johnathans erster Ehe mit Jane (Sarah Strange) stammt, noch darauf, dass die Polizei ein Lebenszeichen von ihr findet.
Wochen danach meldet sich Raymond Price (Ian McNeice) bei Rivers und behauptet, er habe eine Nachricht von Anna, die ihn von der anderen Seite aus kontaktiert habe. Ungläubig wimmelt Jonathan den skurrilen Mann ab, bis wenig später Annas Leiche geborgen wird.
Es vergehen weitere Monate, als Jonathan urplötzlich Anrufe von Annas Mobiltelefon erhält, das ausgeschaltet in seiner Kommode liegt. Verunsichert sucht er Raymond auf, der ihm erklärt, dass die Toten mit den Lebenden mittels besonderen Tonbandstimmen, sogenannten EVP, kommunizieren können.
So wartet Jonathan auf eine neue Nachricht von Anna, und sucht wie besessen nach irgendeinem Hinweis. Doch die Botschaft, die er letztendlich erhält, ist alles andere als ermutigend: Anna scheint ihn warnen zu wollen, dass er sich nicht einmischt – und schon bald gibt es weitere Tote ...


Kritik:
EVP, das "Electronic Voice Phenomenon" (übersetzt "Elektronisches Stimmen-Phänomen"), ist im Deutschen häufig unter dem weit weniger fachlich klingenden Ausdruck "Tonbandstimmen" zu finden. Vom schwedischen Opernsänger Friedrich Jürgenson 1959 entdeckt, versteht man darunter vermeintliche Stimmen, die Hörer bei Bandaufnahmen mit Weißem Rauschen – welches auch entsteht, wenn man die Lautstärke einer auf den ersten Blick leeren Bandaufnahme verstärkt – wahrzuzunehmen glauben. Jürgenson widmete sich nach der Entdeckung der Untersuchung des Phänomens und fand weltweit Anhänger seiner paranormalen Kommunikationsmethode. Von 1964 an wurde sogar am parapsychologischen Institut in Heidelberg eine spezielle Studie hinsichtlich von Tonbandstimmen durchgeführt, die deren Existenz zwar bestätigte, aber nach sechs Jahren wegen Geldmangel abgebrochen wurde (worin Anhänger des EVP selbstverständlich eine Verschwörung sehen). Auch in England wurde EVP bestätigt, und seither ranken sich die wildesten Gerüchte, dass man bei genügend Geduld in Weißem Rauschen Stimmen aus dem Jenseits wahrnehmen könne.
Dass das Phänomen darüber hinaus bereits seit Jahrzehnten die Filmemacher Hollywoods beschäftigt, erkennt man deutlich an einem der erfolgreichsten Vertreter im Genre, Poltergeist [1982]. Nun versucht White Noise, das Interesse der Zuschauer für EVP zu wecken, die kühnsten Befürchtungen und Hoffnungen zu erfüllen und aufzuzeigen, dass sich hinter dem augenscheinlich dumpfen Geräusch viel mehr verbirgt.

Dabei legt Drehbuchautor Niall Johnson zwar sehr viel Wert darauf, Feinheiten des Electronic Voice Phenomenon zu erläutern und somit Neulingen den Einstieg zu erleichtern, betrachtet man White Noise allerdings als klassischen Mystery-Thriller, verliert die Geschichte schnell an Reiz – hauptsächlich, weil das Skript sehr lange benötigt, bis diese Story-Komponente richtig in Fahrt kommt. Weitaus interessanter ist es, Hauptfigur Jonathan Rivers zu beobachten, wie sie sich immer mehr der Obsession betreffend den Kontakt mit seiner toten Frau hingibt, und darüber hinaus seine Familie vernachlässigt. Leider wird der kritische Ansatz, der sich in den Szenen zwischen Jonathan und seinem Sohn Mike ergibt, zu schnell aufgegeben, um so die übersinnliche Story voran zu treiben.
Obwohl sich diese recht gemächlich entwickelt, kann sie im Verlauf mit ein paar interessanten Twists aufwarten und überrascht zuletzt durch ein mutiges Ende. Was dem Film aber trotz bedrohlicher Atmosphäre und einiger durchaus gelungener Schreck-Momente fehlt, ist ein sich konstant steigernder Spannungsbogen. Hier hätte der Autor noch nacharbeiten müssen, zumal der Aspekt, ob die Geister aus dem Jenseits denn nun aktiv in unsere Welt eingreifen können, oder das EVP lediglich als Plattform nutzen können, nie eindeutig geklärt wird.
Im Ergebnis präsentiert das Drehbuch einen sehr langen Prolog, was in Bezug auf die ziemlich kurze Spieldauer des Films nicht viel Zeit für die eigentliche Story lässt. Die Figuren kommen bis auf Hauptcharakter Jonathan sehr flach rüber und haben vor allem nur wenig zu tun. Die Geschichte überrascht mit interessanten Wendungen, wirkliche Innovationen sind jedoch nicht dabei, und selbst die Nebenhandlung um die polizeiliche Ermittlung wird stark vernachlässigt. Aus der zugegebenermaßen nicht neuen, aber frisch polierten Grundidee hätte man insofern sicher mehr machen können.

Für eine nicht zu unterschätzende Anzahl der Zuschauer ist der Hauptgrund für den Kinobesuch zweifelsohne Darsteller Michael Keaton, der nach einer Reihe sehr schwacher Produktionen zumindest wieder im Main-Cast aufgelistet wird. Mit Lottergeist Beetlejuice [1988] bekannt und als Batman/Bruce Wayne in Batman [1989] unsterblich geworden, zählen zu seinen besten Filmen Schlagzeilen [1994], Sprachlos [1994] und auch Quentin Tarantinos 70er-Jahre-Revival-Meisterwerk Jackie Brown [1997], in dem Keaton einen unterkühlten Auftritt als Cop hatte. In Desperate Measures – Jede Stunde zählt [1998] spielte er gar den Helden Andy Garcia an die Wand, und nun feiert er mit White Noise sein Comeback auf der Leinwand. Dass Keaton zusammen mit Ian McNeice und Chandra West zu den Highlights der Kino-Produktion gehört, steht außer Frage; gerade in der ersten Hälfte agiert er wirklich sehr überzeugend und verleiht seiner Figur die notwendige Tiefe – in der zweiten Filmhälfte wandelt sich das Bild allerdings, hier erscheint Keaton zwar immer noch sehr engagiert, vermag aber nicht mehr richtig mitzureißen.
Ian McNeices Auftritt ist ohnehin überaus kurz und sein sympathischer Charakter wird in der folgenden Stunde schmerzlich vermisst – ebenso Chandra West, die verständlicherweise nur am Anfang zu sehen ist.
Die Auftritte von Deborah Kara Unger und Sarah Strange sind gleichermaßen gelungen, obgleich sie nicht sonderlich gefordert sind.
Insgesamt macht die Besetzung einen stimmigen Eindruck; dennoch wird keiner der Beteiligten bis an seine Leistungsgrenzen gebracht.

Regisseur Geoffrey Sax feiert nach 25 Jahren Fernseharbeit mit White Noise sein Kinodebüt, und dies – bedenkt Thema und Genre – mit einem Einspielergebnis von über 70 Millionen US-Dollar weltweit sogar recht erfolgreich; nur Kritiker und viele Zuschauer waren von dem Endergebnis nicht allzu überzeugt.
Während man dem Skript etliche Vorwürfe machen könnte, ist das Werk handwerklich dagegen tadellos inszeniert. Nicht nur, dass Sax gekonnt die Landschaft von Vancouver ausnutzt, um dem Film ein natürliches, authentisches Flair zu verleihen, er wartet zudem mit interessanten Kameraperspektiven und einer soliden Optik auf.
Dass sich viele Erschreck-Effekte auf laut eingespielte Geräusche oder plötzliche Bildwechsel begründen, mag für manche Zuschauer symptomatisch erscheinen, ergibt sich jedoch aus der Story, und gerade in Bezug auf die Atmosphäre schafft Sax in den Momenten, in denen die Figuren Kontakt zur anderen Seite aufbauen, eine sehr eindringliche, fast schon klaustrophobische Stimmung.
Gute Schnittfolgen, spannend gestaltete Szenen und ein routinierter Schnitt versetzen den Zuschauer an Jonathan Rivers Seite, ohne aufdringlich zu wirken – selbst in den emotionalen Szenen wahrt Sax den notwendigen Abstand; mehr kann man eigentlich nicht erwarten.

Ebenso gelungen ist die Musik von Claude Foisy, die bedauerlicherweise bislang nicht auf CD erhältlich ist. Seine unterschwelligen Motive wiederholen sich recht häufig, trotzdem findet er für White Noise ein bedrückendes Thema, das angemessen abgewandelt wird und sich gekonnt subtil den Szenen anpasst.
Zusammen mit dem gut abgemischten Sound ergibt das eine beängstigende Ton-Kulisse, die den Film merklich unterstützt und sich ansich auch zum Anhören ohne den Film eignen würde. Dass so etwas funktioniert, können Soundtrack-Fans beim basslastigen aber durchweg verstörend-beunruhigenden Score zu Event Horizon - Am Rande des Universums [1997] aus der Feder von den Orbital und Michael Kamen erleben. Foisy überzeugt mit einem orchestralen Score, der sich nahtlos in den Film einfügt.

Wie groß die Bereitschaft des Zuschauers letztlich ist, der Geschichte über EVP Glauben zu schenken, hängt vom Einzelnen selbst ab – dass man aber nicht alles für bare Münze nehmen sollte, was im Film gesagt wird, erkennt man schon daran, dass bestimmte Angaben, die die Macher im Trailer zu Ausschnitten aus EVP-Aufnahmen anzeigen, schlichtweg nicht korrekt sind und erfunden wurden.
Doch sollte der Aspekt der Tonbandstimmen nur ein Kriterium sein, nach dem Zuschauer entscheiden, ob sie sich den Film anschauen, oder lieber nicht. Denn obgleich die Story um Jonathan Rivers sehr langsam ins Rollen kommt, überrascht die Story mit einem sehr mutigen und unerwarteten Schluss, und vor allem handwerklich gibt es nichts zu bemängeln. Zwar wäre mit einem ausgefeilten, flotteren Skript und einer innovativeren Geschichte ohne Zweifel mehr drin gewesen, letztlich ist White Noise aber nicht so schlecht, wie ihn manche Kritiker zumeist machen wollen.


Fazit:
Dass Geoffrey Sax' Kino-Einstand nicht der beste Film seiner Zunft ist, sei unbestritten; und auch die Darsteller waren in anderen Produktionen schon weitaus mehr gefordert. Die meisten Abstriche muss der Mystery-Thriller allerdings hinsichtlich des Drehbuchs hinnehmen, das schlicht nicht überraschend genug geraten ist, obwohl einige Schreck-Momente und ein paar Story-Wendungen gut verpackt sind. Letztlich mäandriert die Geschichte allzu lange vor sich hin, schlägt zunächst in Richtung eines Charakter-Dramas und drängt zum Schluss den übersinnlichen Aspekt beinahe aus dem Blick, um auf einen Krimi umzuschwenken.
Stellenweise ist das Ganze aber durchaus spannend und vor allem stets sauber gefilmt. Dank der natürlichen Optik und der interessanten Kamera-Perspektiven hebt sich White Noise über den Durchschnitt der Genre-Vertreter hinaus, so dass das Werk für das angestrebte Zielpublikum des ruhigen, subtilen Horrors interessant bleibt – ohne selbstverständlich die Qualität von The Ring [2002] zu erreichen – und auch Fans von Hauptdarsteller Michael Keaton ansprechen dürfte.
Zwar kein Meilenstein, aber ein routinierter, gut gemachter Gänsehaut-Film, der entsprechende Szenen häufiger zu bieten hat, als beispielsweise der ebenfalls aktuelle Constantine [2005].