Der Deserteur [2024]
Wertung:
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Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 14. Juni 2025
Genre: Drama / Kriegsfilm
Laufzeit: 93 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Christoph Baumann
Musik: Elias Mierbeth
Besetzung: Sebastian D. Fischer, Anna Kaminski, Sandro Kirtzel, Lana-Mae Lopičić, Nora Carla Pichler, Tom Kreß
Kurzinhalt:
„Der Krieg ist vorbei“, sagt der verletzte SS-Soldat Anton (Sebastian D. Fischer) noch einem ehemaligen Kameraden in den Tiroler Alpen. Aber nicht nur, dass er sich als Deserteur gleichermaßen vor den deutschen Truppen und den Alliierten in Acht nehmen muss, die ihn in seiner Uniform erschießen würden. Sein ehemals bester Freund Georg (Sandro Kirtzel), der ihn angeschossen hat und von Wut und Hass geblendet ist, ist immer noch hinter ihm her. Mit letzten Kräften kann sich Anton in eine Alm retten. Dort trifft er auf Hannah (Anna Kaminski) und bittet sie, seine Wunden zu versorgen. Hannah ist Jüdin, was sie Anton nicht verrät. Sie lässt ihn bleiben, sodass er wieder zu Kräften kommen kann. Auch mit der jungen Bäuerin Charlotte (Lana-Mae Lopičić), deren Familie die Alm gehört und die Hannah mit Essen versorgt, kommt Anton gut zurecht. Doch die dunklen Geheimnisse zwischen Hannah und Anton drohen, ihr Vertrauen zu zerstören und die schrecklichen Taten, die er gesehen und begangen hat, verfolgen ihn ebenso wie Georg, der ihm immer dichter kommt …
Kritik:
In seinem Spielfilmregiedebüt Der Deserteur erzählt Filmemacher Christoph Baumann eine Geschichte über Misstrauen und zögerliche Annäherung, über Scham, unsägliche Verbrechen und die Möglichkeit einer Aussöhnung. All dies kondensiert auf einer Alm in den Tiroler Alpen kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Das Drama greift wichtige Themen auf und gibt der kleinen Besetzung die Möglichkeit, all dies auf engstem Raum, wie in einem Kammerspiel, zum Leben zu erwecken. Doch wird das Ergebnis den Ambitionen leider nicht ganz gerecht.
Im Mai 1945 gelingt es dem verletzten SS-Soldaten Anton, sich in eine abgelegene Bergalm zu retten. Zuvor hat er bereits seine Uniform gegen die eines Wehrmachtssoldaten getauscht. In der Alm trifft Anton auf Hannah, die er bittet, die Kugel, die in der Wunde in seinem Bauch steckt, zu entfernen. Hannah versorgt Antons Wunde und erlaubt ihm zu bleiben, wenn er ihr dafür seine Waffe überlasst und ihr beibringt, sie zu benutzen. Während sie hören, wie die Kämpfe der deutschen Truppen und italienischer Partisanen näherrücken, entwickelt sich zwischen Anton und Hannah ein vorsichtiges Vertrauen. Auch die 16jährige Charlotte, deren Familie die Alm gehört und die Hannah mit Essen versorgt, findet den desertierten Soldaten sympathisch. Doch Anton holen nicht nur seine Erinnerungen an die Verbrechen ein, die er gesehen und begangen hat. Auch derjenige, der ihn angeschossen hat, ist ihm immer noch auf den Fersen. Zudem drohen die Geheimnisse, die er und Hannah wahren, ihre Annäherung zunichte zu machen.
Denn nicht nur, dass Anton kein gewöhnlicher Soldat, sondern Teil der Terrororganisation SS innerhalb des nationalsozialistischen Deutschlands war, Hannah versteckt sich aus gutem Grund in der Alm: sie ist Jüdin. Die Konstellation allein sorgt bereits für Konfliktpotential, noch bevor man sich die Frage stellt, ob Anton auf Grund der absehbaren Niederlage des Krieges desertierte, oder weil er sich mit der menschenverachtenden Ideologie der Diktatur nicht mehr identifizierte. Doch anstatt aus dieser Ausgangslage ein Kammerspiel im Stile von Der Tod und das Mädchen [1994] zu erzählen, versucht sich Der Deserteur an einer Mischung aus einem Kriegsdrama, in dem Anton von Gräueltaten berichtet, die ihn an seinen einstigen Überzeugungen zweifeln ließen, einer Liebesgeschichte, die sich zwischen Hannah und Anton entwickelt sowie einem Thriller, wenn Anton von dem von Hass geblendeten Mann heimgesucht wird, der geschworen hat, ihn zu töten. Das könnte dank der Besetzung auch funktionieren, die durchweg sichtbar engagiert ist. Insbesondere Sebastian Fischer als auch Anna Kaminski gelingt es, die innere Zerrissenheit ihrer Figuren zum Leben zu erwecken. Zuerst, wenn sie dem jeweiligen Gegenüber nicht die ganze Wahrheit sagen können und dann, nachdem die Geheimnisse ans Licht gekommen sind, wie sie miteinander umgehen sollen. Sandro Kirtzel ist erst zum Ende hin zu sehen, macht seine Sache aber ebenso gut wie Lana-Mae Lopičić in der Rolle der frechen Charlotte.
Man würde sich nur wünschen, dass sich das Drehbuch zum einen auf die möglichen Stärken der Erzählung konzentrieren und Filmemacher Christoph Baumann dieser und seiner Besetzung mehr vertrauen würde. Denn anstatt die Geschichte kondensiert zu erzählen und die Figuren zu zwingen, sich in langen Gesprächen auszutauschen, spielt Der Deserteur über mehrere Tage, in denen Anton immer wieder von Erinnerungen und Alpträumen heimgesucht wird, und in denen der Alltag von ihm und Hannah eher aus Smalltalk besteht. In Momenten, in denen dies gar nicht nötig wäre, offenbart Anton dann seine Erfahrungen aus dem Krieg. Das mag den ihn traumatisierenden Erlebnissen geschuldet sein, doch kommt kaum ein langer Dialog zwischen den Personen auf. Handwerklich beweisen die Verantwortlichen dabei ein gelungenes Gespür für malerische Landschaftsaufnahmen, die von Beginn an eine greifbare Stimmung erzeugen und das Publikum mühelos in jene Zeit versetzen. Auch die Alm selbst und wie die Figuren sich darin arrangieren, ist eine passende Kulisse, von der durchweg tollen Ausstattung ganz zu schweigen. Doch die vielen Schnitte erzeugen eine erzählerische Hektik, die zu dem langsamen Vertrauensaufbau zwischen Hannah und Anton nicht wirklich passen mag, der aus Blicken und kleinen Gesten besteht. Ab der Hälfte des Films wird dies noch durch Schnitte innerhalb von Aufnahmen vorangetrieben, wenn Bewegungen nicht am Stück gezeigt, sondern dadurch beschleunigt werden. Zusammen mit kleinen Zooms ergibt dies ein künstlich gesteigertes Erzähltempo, das nicht nur für die Zeit, in der die Geschichte spielt, unpassend erscheint, sondern sich eigentlich aus der Dramatik der Situation ergeben sollte. Die oftmals merklich aufdringlich eingespielte Musik sorgt ebenfalls für Geschwindigkeit, anstatt die Figuren zu unterstützen, sich selbst in der jeweiligen Szene zu finden.
Das klingt negativer, als es gemeint ist und man sollte nicht vergessen, dass Der Deserteur nicht nur den ersten abendfüllenden Spielfilm von Filmemacher Christoph Baumann darstellt, sondern eine Independent-Produktion im besten Sinne ist. Dass man hierbei keine Abstriche zu machen braucht, ist der Besetzung anzusehen, der es eindrucksvoll gelingt, ihre Figuren mit Leben zu füllen. Während in der Geschichte mehr Potential schlummert, als die Verantwortlichen zu nutzen vermögen, kann man durchaus erkennen, was ihnen vorschwebte, als sie sich anschickten, das Projekt umzusetzen. Was ihnen gelungen ist, hat nichtsdestoweniger Anerkennung verdient und man darf gespannt sein, was sie sich als nächstes vornehmen.
Fazit:
Bemerkt man eingangs noch, dass Szenen, wie wenn Anton die Alm betritt, nicht langsam aufgebaut sind, sondern viele Perspektivwechsel Geschwindigkeit suggerieren, werden im letzten Drittel zusammengehörende Szenen gar durch Landschaftsaufnahmen unterbrochen, anstatt das Publikum mit den Figuren in einer Situation zu halten, aus der sie nicht entkommen können. Gleichzeitig zieht sich das Ende inhaltlich aber merklich in die Länge. So interessant die Idee und so gut die Besetzung, man wird den Eindruck nicht los, dass beides nicht vollends zur Geltung gebracht werden kann, was sich auch auf die Art und Weise erstreckt, wie die Geschichte präsentiert ist. Die tadellose Ausstattung entschädigt ebenso, wie die tollen Aufnahmen einer idyllischen Landschaft, in der sich Dramatisches ereignet. Sei es, wenn es aus Hannah herausbricht, was ihrer Familie widerfahren ist, welches Leben sie aufgeben musste oder wenn Anton berichtet, was er gesehen und getan hat. Filmemacher Christoph Baumann präsentiert hier starke Momente, die nachwirken. Sie zeichnen Der Deserteur ebenso aus, wie die Ambitionen und das Engagement der Beteiligten, das stets zu erkennen ist, selbst wenn sich das im Ergebnis nicht vollends widerspiegelt.