Der Salzpfad [2024]
Wertung:
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Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 29. Juni 2025
Genre: Drama / Biografie
Originaltitel: The Salt Path
Laufzeit: 115 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Marianne Elliott
Musik: Chris Roe
Besetzung: Gillian Anderson, Jason Isaacs, James Lance, Hermione Norris, Megan Placito, Robbie O’Neill, Lloyd Hutchinson
Kurzinhalt:
Als sich Raynor „Ray“ Winn (Gillian Anderson) und ihr Mann Moth (Jason Isaacs) aufmachen, den Salzpfad im Südwesten Englands zu wandern, ist dies kein lange geplanter Ausflug. Sie tragen bei sich, was sie noch besitzen, nachdem das Gericht entschieden hat, dass zur Tilgung ihrer Schulden all ihr Hab und Gut gepfändet wird. Sie haben ihr Haus verloren und ihr Erspartes. Die Wanderung soll ihnen die Zeit geben, herauszufinden, wie sie weitermachen sollen. Doch bereits die ersten Kilometer sind eine Qual, da Moth auf Grund einer degenerativen Nervenerkrankung halbseitig stark eingeschränkt ist und unter starken Schmerzen leidet. Mit nur wenigen Pfund in der Tasche schlagen sie sich durch, so gut es geht, und finden in der windgepeitschten Küstenlandschaft immer wieder die Kraft, weiterzumachen. Doch egal, wie lange sie gehen, und wie sehr die Zeit verschwimmt, einem Ziel, auf das sie zugehen, scheinen sie nicht näher zu kommen …
Kritik:
Basierend auf dem 2018 erschienen Memoirenroman von Raynor Winn ist Der Salzpfad nicht die Art Film, die man in Anbetracht der dahinterliegenden Geschichte erwarten würde. Weniger als ein Drama angelegt, das die dramatische Situation der beiden Figuren und wie sie dorthin gelangt sind behandelt, schildert Filmemacherin Marianne Elliott, wie sie mit der Situation und damit umgehen, dass sie gewissermaßen über Nacht obdachlos wurden. Gut gespielt und wunderschön eingefangen, findet der Film ganz am Ende Antworten, die sich an ein ruhiges Publikum richten.
In mehrfacher Hinsicht stehen Raynor (kurz: Ray) und ihr Ehemann Moth zu Beginn an einem Scheideweg. Gewissermaßen mit allem, was ihnen gehört in den beiden Rucksäcken, begeben sie sich in Südwestengland auf den South West Coast Path, ein Wanderweg, der in der Gesamtlänge über 1.000 Kilometer misst. Sie machen sich dort auf den Weg nach Land’s End, dem westlichsten Punkt des englischen Festlands. Es ist Jahrzehnte her, seit sie das letzte Mal gewandert sind und damals war es lediglich ein Tagesausflug. Was sich nach einem Abenteuer anhört, ist im Grunde ein Akt der Verzweiflung, denn gerade erst haben sie ihr Haus samt allem Hab und Gut verloren. Um ihre Schulden zu bezahlen, wurde alles gepfändet, einzig die monatlichen Überweisungen des Sozialamtes bleiben ihnen. Das sind weniger als 50 Pfund für beide zusammen. Doch das ist nicht die einzige Hiobsbotschaft, denn Moth leidet an einer seltenen Krankheit, deretwegen er fortschreitende Bewegungseinschränkungen, bislang an der linken Körperseite hat, und starke Schmerzen. Bereits die ersten Kilometer strengen ihn dermaßen an, dass er sich kaum bewegen kann. Doch wohin wollen sie zurückkehren? Die Wanderung sollte ihnen die Möglichkeit geben, sich darüber klarzuwerden, wie sie ohne ein Zuhause weitermachen werden. Doch es ist vielmehr ein Marsch ins Ungewisse.
Man fragt sich anfangs, was diese zwei Menschen, die beinahe alt genug sind, um sich zur Ruhe setzen zu können, dazu bringt, ohne Erfahrung oder Vorbereitung eine wochen- oder gar monatelange Wanderung auf sich zu nehmen. In Rückblenden, in denen sich Ray daran erinnert, was vorgefallen ist, beantwortet Der Salzpfad diese Frage Stück für Stück. Eingangs noch abstrakt, wenn das Ehepaar vor Gericht verliert und mitgeteilt bekommt, dass sie ihr Haus innerhalb von nur fünf Tagen räumen müssen, dann ganz konkret, wenn Vollziehungsbeamte an ihre Tür hämmern, um sie aus dem Haus zu entfernen. Wie schwer es beiden fällt, darüber zu sprechen, dass sie nicht nur mittellos, sondern auch ohne ein Dach über dem Kopf sind, ist ihnen anzusehen, wenn sie mit anderen Menschen auf dem Pfad ins Gespräch kommen. Ebenso, wie sich Ray schämt, sich nicht das Nötigste – beispielsweise Essen – leisten zu können, während andere in Restaurants sitzen. Die Frage ist, was schwerer wiegt, der Umstand urplötzlich verarmt zu sein, oder keinen Ort mehr zu haben, den man Zuhause nennt?
Dass beide Schicksalsschläge zusammentreffen, macht es für Ray und Moth nur noch schwerer. Als Moth, der seit Jahren an Schmerzen leidet und nach einem anhaltenden Tremor die Diagnose erhält, dass er unheilbar krank ist und er trotz der fortschreitenden Nervenkrankheit jetzt bereits länger durchgehalten hat, als die meisten Patienten, leugnet Ray die Tatsachen. Gibt sich Moth hier als Realist, versucht er gleichzeitig, seine Frau zu beschwichtigen, nachdem sie ihr Haus verloren haben, dass sie am Ende einen Weg finden werden. Es ist eine besondere Dynamik zwischen diesem Ehepaar, das sich in Anbetracht der unvorstellbaren Widrigkeiten nicht gegeneinander wendet, sondern sich gegenseitig aufhilft, wenn einer von beiden am Verzweifeln ist. Zwar gibt es einen Moment, in dem sich ein Streit zwischen ihnen anzubahnen scheint, wer an der aktuellen Situation das größere Mitverschulden trägt, doch entzweit sie dies nicht. Wie vertraut Ray und Moth miteinander sind, wie bedingungslos sie für einander einstehen, wenn Ray ihrem Mann heimlich mehr zu essen gibt, da sie sieht, wie seine Kräfte nachlassen, oder wie er alles daran setzt, ihr eine warme Mahlzeit zu ermöglichen, auch wenn seine Schmerzen nur stärker werden, ist durchaus inspirierend.
Man würde auf Grund bekannter Genrekonventionen erwarten, dass das Paar in Der Salzpfad mit persönlichen Konflikten startet, die im Laufe der langen Wanderung zutage treten und gelöst werden sollen, doch dem ist nicht so. Vielmehr beobachtet Regisseurin Elliott ihre Figuren dabei, wie sie mit einer Gesamtsituation umzugehen versuchen, die man sich selbst in Teilen bereits gar nicht vorstellen möchte. Die ruhige Herangehensweise, Ray und Moth auf ihrem Weg zu begleiten, ermöglicht dem Publikum allerdings, sich eben in sie hineinzuversetzen und sich dabei die Frage zu stellen, für wen man diese Strapazen überhaupt auf sich nehmen würde. Erzählerisch ist das nicht unbedingt packend und selbst wenn es den Tatsachen entsprechen mag, weder die Abschnitte mit der Verwechslung, noch wenn die Wanderung urplötzlich unterbrochen wird, wollen zur restlichen Geschichte passen. Aber wer sich darauf einlässt, wird mit leisen Beobachtungen belohnt sowie mit fantastischen Landschaftsaufnahmen in einer zuversichtlich stimmenden Geschichte. Das entschädigt beinahe für die wenig räumlich klingende deutsche Synchronisation.
Fazit:
Mühsam kämpfen sich Ray und Moth Kilometer um Kilometer weiter, Wind und Wetter ausgesetzt – wie auch der Sonne. Die körperlichen Strapazen sieht man ihnen an und selbst wenn es wenige aufheiternde Momente gibt, in denen man mit ihnen lächelt, es gibt Augenblicke, in denen man an ihrer Seite die malerische Landschaft in sich aufnimmt, um daraus neue Kraft zu schöpfen. Weniger klassisches Drama, als ein Bericht aus dem Leben der Buchautorin, erzählt Regisseurin Marianne Elliott ein Plädoyer für die Menschlichkeit, dafür, nicht aufzugeben, sondern den Weg zu gehen, den das Leben einem bietet. Nur dann kann man woanders ankommen, als man gewesen ist. Gut gespielt, insbesondere von Gillian Anderson, deren Ray es spürbar Überwindung kostet, mittellos um Hilfe zu bitten, ist Der Salzpfad ein ruhiger, leiser Film, in dessen existenziellen Fragen sich das richtige Publikum durchaus wiederfinden kann. Nicht zuletzt in Ray Feststellung ganz am Ende, weshalb sie nicht zögerte, die Wanderung in die ungewisse Zukunft zu unternehmen. Das ist schön und traurig zugleich, vor allem aber überraschend hoffnungsvoll.