The Ballad of Wallis Island [2025]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 29. Juni 2025
Genre: Komödie / Drama

Originaltitel: The Ballad of Wallis Island
Laufzeit: 99 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: James Griffiths
Musik: Adem Ilhan
Besetzung: Tom Basden, Tim Key, Carey Mulligan, Sian Clifford, Akemnji Ndifornyen, Steve Marsh, Luka Downie, Kerrie Thomason, Arron Long


Kurzinhalt:

Für den Musiker Herb McGwyer (Tom Basden) ist es nicht mehr als ein Auftritt, für den eine Gruppe Fans auf der abgelegenen Insel Wallis Island viel Geld bezahlen, mit dem er wiederum sein neues Album finanzieren kann. Doch als der Künstler auf der Insel ankommt, muss er feststellen, dass dies nur die halbe Wahrheit ist. Zum einen soll er nicht vor Fans auftreten, sondern nur vor einem: Charles Heath (Tim Key). Der hat Unsummen ausgegeben, um sich einen Traum zu erfüllen. Zum anderen soll Herb nicht allein auftreten, sondern zusammen mit seiner ehemaligen Partnerin Nell Mortimer (Carey Mulligan). Als Duo waren sie einst überaus erfolgreich, doch nach seinem Soloalbum haben sie sich auch privat getrennt. Als Herb erfährt, dass Nell ebenfalls auf die Insel kommt sie zusammen auftreten sollen, ist er hin und hergerissen. Einerseits braucht er das Geld, aber er ist auch immer noch nicht über Nell hinweg, die inzwischen mit Michael (Akemnji Ndifornyen) verheiratet ist. Für Charles wiederum hat der gemeinsame Auftritt von McGwyer / Mortimer eine ganz andere und viel persönlichere Bedeutung …


Kritik:
The Ballad of Wallis Island erzählt von einem Folkmusiker, der nach einer erfolgreichen Karriere als Duo mit einer anderen Sängerin als Solokünstler nicht mehr an diese Erfolge anknüpfen konnte und sich auf einer abgeschiedenen Insel genau dieser Realität stellen muss. Das klingt kaum nach gelungener Unterhaltung, ist aber mit so viel exzentrischem Charme zum Leben erweckt, dass man den drei tragenden Figuren schwelgerisch gern zusieht, ehe manche Momente unvermittelt berühren.

Seit über 30 Jahren ist Herb McGwyer als britischer Folkmusiker im Geschäft. Doch seine größten Erfolge liegen einige Zeit zurück. Damals waren er und Nell Mortimer eine feste Größe und ungemein erfolgreich. Doch nachdem Herb ein Soloalbum aufnahm, zerbrach das Duo, das auch privat ein Paar war. Inzwischen versucht Herb sein Glück durch Kollaborationen mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, wobei er sich mit den Stilrichtungen mitunter selbst nicht anfreunden kann. Um sein neues Album zu finanzieren, willigt er ein, auf die abgeschiedene, kleine Insel Wallis Island zu kommen, wo ihn eine Gruppe Fans für ein Konzert gebucht hat – für eine halbe Million Pfund. Doch als Herb mit einem kleinen Boot auf die Insel gebracht wird, erwartet ihn weder ein Manager, noch ein Bootssteg. Nur Charles. Charles Heath ist der vielleicht größte Fan der Welt von McGwyer / Mortimer. Dass es am Ende ein Konzert nur für Charles werden soll, ahnt Herb nicht, der auch vermutet, dass er in einer Lodge untergebracht ist, die sich als Charles’ privates Haus entpuppt, da es auf der Insel keine Hotels gibt. Womit Herb ebenfalls nicht rechnet, ist dass Charles auch Nell eingeladen hat und ein privates Revivalkonzert erwartet. Dabei haben Herb und Nell seit Jahren kein Wort gewechselt und als wäre das nicht schlimm genug, ist sie nicht allein.

Nells Ehemann Michael spielt im Verlauf der Geschichte allerdings keine große Rolle und ist für die Entwicklung der übrigen Figuren auch nicht notwendig. Dafür konzentriert sich Filmemacher James Griffiths gleichermaßen auf Herb und Charles, deren Aufmerksamkeit sich ebenfalls um Herb dreht. Während der sich selbst vormacht, seine Karriere als Musiker wieder zum Erfolg führen zu können, indem er sich den Trends anpasst, anstatt seinem Stil treu zu bleiben, seinen Blick also fest auf die Zukunft gerichtet hat, ist Charles der Vergangenheit verhaftet. Tagein, tagaus spielt er Musik von McGwyer / Mortimer – nicht McGwyer wohlgemerkt – und unterstreicht damit nur umso mehr, wann er die Hochzeit seines Idols sieht. Doch so sehr er Herb idealisiert, er lässt es sich nicht nehmen, Bemerkungen des Künstlers mit teils bösen Kommentaren zu versehen, die sich mitunter auch auf dessen gewählten Werdegang beziehen. In den Dialogen offenbart The Ballad of Wallis Island hier deutlich mehr Feinschliff, als man der mitunter geradezu plakativ anmutenden Komödie zutrauen würde. In der zeigt Charles einen Hang zur Übergriffigkeit, die sich allenfalls durch seine Exzentrik erklären lässt. Sei es, dass er Herb unentwegt mit seinen Erzählungen in den Ohren liegt, selbst wenn der in der Badewanne eine Minute Ruhe oder einen Sonnenuntergang genießen möchte, oder dass er Vieles derart wörtlich nimmt, dass man sich fragen möchte, ob er lediglich sozial unbeholfen oder auf Grund des Lebens in der Abgeschiedenheit verschroben ist.

Dies wird auch dann nicht besser, wenn Nell auf der Insel ankommt, wobei sie mit Charles besser umzugehen weiß. Anders sieht es mit dem Umgang zwischen ihr und Herb aus, der von Beginn an schwierig ist. Vor allem deshalb, weil Herb diesbezüglich in der Vergangenheit lebt, während sich Nell eine neue Zukunft auch außerhalb der Musik aufgebaut hat. Dass Charles der Hoffnung ist, er könnte Nell und Herb wenigstens als Musikduo wieder zusammenbringen, ist offensichtlich und man könnte vermuten, The Ballad of Wallis Island versucht dies auch mit dem privaten Paar, doch so einfach macht es sich Regisseur Griffiths glücklicherweise nicht. In Gesprächen und den gemeinsamen Proben für ihr privates Konzert treten alte Verletzungen zutage, wie auch die Vertrautheit zurückkehrt. Mit viel Fingerspitzengefühl beschreibt die Dramödie dabei zwei Figuren, die dasselbe erlebt haben, aber mit den Erfahrungen völlig verschieden umgegangen sind und mit Abstand entsprechend unterschiedlich darauf zurückblicken. Charles ist das Bindeglied.

Es klingt, als würde nicht viel geschehen und tatsächlich verbringt The Ballad of Wallis Island viel Zeit mit den Liedern von Herb und Nell oder auch der rauen Insellandschaft, deren Schönheit sich erst beim genauen Hinsehen erschließt. Aber zusammen mit dem mitunter spitzen Humor, der nicht überzogen ist, sondern sich eher in absurden Momenten und pointierten Dialogen zeigt, entwickelt das ungemein viel Charme. Nicht nur auf Grund von Herb und Nell, sondern insbesondere von Charles, über den das Drehbuch wenig verrät, ehe sein Blick und seine Reaktion Bände zu sprechen beginnen. Das mitanzusehen, ist einfach schön und eignet sich vor allem für ein ruhiges Publikum, das die gelungene Stimmung zu schätzen weiß. Mag sein, dass dies nur selten überrascht, aber die Eindrücke wirken erstaunlich lange nach.


Fazit:
Es hilft ungemein, dass die Songs von James Griffiths’ filmischer Ballade eine Wucht sind, zumindest wenn man die Musikrichtung zu schätzen weiß. Sie unterstützen auf gekonnte Art und Weise eine Atmosphäre, die einen ab dem ersten Moment wie eine wärmende Decke einhüllt und erst am Ende wieder entlässt. Dazwischen hat man oftmals ein Lächeln im Gesicht, selbst wenn was geschieht nicht zum laut lachen ist, sondern eine bittersüße Note mitschwingt. Zu sehen, wie Charles auf die Lieder seiner Idole reagiert, spricht allen aus der Seele, die sich schon einmal in einen Song verliebt haben, oder mit einem Song einen Moment in ihrem Leben verbinden, der sie in der Erinnerung zu Tränen rührt, aus welchem Grund auch immer. Dabei erhält der verschrobene Charles die berührendsten Momente der Geschichte zugeschrieben, auch wenn Herb überwiegend im Zentrum steht. The Ballad of Wallis Island ist ein leiser Film, ein amüsantes Drama, oder eine berührende Komödie, je nachdem. Es ist eine ungemein charmante Ballade über Einsamkeit, Verlust und wie man dennoch oder gerade deshalb sein Leben weiterlebt. Facettenreich gespielt, toll gefilmt, bleiben die Figuren und ihre Erlebnisse bei einem, wenn der Abspann zu rollen beginnt. Wie ein guter Song, der nachhallt. Schön!