Whistleblower - In gefährlicher Mission [2010]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 27. Februar 2012
Genre: Drama / Thriller / Biografie

Originaltitel: The Whistleblower
Laufzeit: 112 min.
Produktionsland: Deutschland / Kanada
Produktionsjahr: 2010
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Larysa Kondracki
Musik: Mychael Danna
Darsteller: Rachel Weisz, Vanessa Redgrave, Monica Bellucci, David Strathairn, Nikolaj Lie Kaas, Roxana Condurache, Paula Schramm, Alexandru Potocean, William Hope, Rayisa Kondracki, Jeanette Hain, Benedict Cumberbatch, David Hewlett, Coca Bloos, Luke Treadaway, Liam Cunningham, Anna Anissimova


Kurzinhalt:
1999, nachdem eine Versetzung in eine andere Stadt nicht möglich scheint, und ihre Tochter, deren Sorgerecht alleinig dem Vater zugesprochen wurde, weiter weg ziehen muss, nimmt die Polizistin Kathryn Bolkovac (Rachel Weisz) das Angebot wahr, für ein halbes Jahr als Teil einer internationalen UN-Schutztruppe nach Bosnien zu gehen. Die Bezahlung ist so hoch, dass sie danach einen Neuanfang wagen könnte. In dem zerstörten Land treffen allerdings so viele Glaubensrichtungen und Menschen unterschiedlicher Herkunft aufeinander, dass Konflikte an der Tagesordnung sind. Durch ihre gewissenhafte Arbeit wird Madeleine Rees (Vanessa Redgrave) auf Kathryn aufmerksam und vertraut ihr die Position der Gleichstellungsbeauftragten an.
Wenig später erfährt sie von der jungen Raya (Roxana Condurache), die schwer verletzt von Sicherheitskräften gefunden wurde. Durch die misshandelte Frau wird Bolkovac auf einen Menschenhandelring aufmerksam, in den nicht nur die lokale Polizei verwickelt ist – welche ja von der UN-Schutztruppe ausgebildet wird. Sondern auch UN-Mitarbeiter bis hin zu hochrangigen Diplomaten. Je weiter Kathryn gräbt, umso mehr sind die Menschen, die sie informiert gewillt, wegzusehen. Dies geht soweit, dass man ihr eine Versetzung in die Heimat anbietet. Ein schlimmeres Schicksal erwartet jedoch Mädchen wie Raya, an denen die Menschenhändler brutale Exempel statuieren ...


Kritik:
Was man in Whistleblower - In gefährlicher Mission zu sehen bekommt, macht einen zuerst fassungslos betroffen angesichts der Ungerechtigkeiten, die aufgezeigt werden, ehe es einen regelrecht in Rage versetzt. Ist diese Wut abgeebbt, bleibt nur die Scham dafür, was Menschen anderen Menschen antun. Das Schlimmste daran ist, dass das Drama auf Tatsachen basiert und, wie man am Ende erfährt, die meisten der beteiligten Personen für ihre Verbrechen nicht einmal belangt wurden. Immunität scheinen immer nur die Täter zu besitzen, nicht die Opfer.

Zu Beginn des Films sehen wir die beiden jungen Mädchen Raya und Luba, die in Kiew von Rayas Onkel fotografiert werden. Dass ihre eigene Verwandtschaft sie an einen Menschenhandelring verkaufen wird, ahnt Raya nicht. Ihr Leidensweg zieht sich wie ein roter Faden durch Whistleblower und steht dabei stellvertretend für so viele junge Frauen und Mädchen, die Opfer jener Gewaltverbrechen werden. Die Polizistin Kathryn Bolkovac akzeptiert angesichts einer stattlichen Bezahlung eine Anstellung bei der UN, durch welche sie für sechs Monate Teil einer internationalen Beobachtertruppe in Osteuropa wird. Dafür wird sie von der britischen Sicherheitsfirma Democra Security angestellt (der tatsächliche Name, "DynCorp International", wurde für den Film abgewandelt). Diese private Sicherheitstruppe wird insbesondere vom US-Militär häufig unter Vertrag genommen, um bei Auslandseinsätzen aktiv zu werden. In Bosnien sollten sie nicht nur für Frieden sorgen, sondern unter anderem die örtliche Polizei ausbilden.
Nach wenigen Wochen gelingt es Bolkovac, eine Verurteilung für einen Ehemann vor Gericht zu erwirken, der seine Frau immer wieder misshandelt hat – häusliche Gewalt wurde bis dahin gar nicht geahndet oder verfolgt. So wird Madeleine Rees auf Kathryn aufmerksam und bestellt sie als Gleichstellungsbeauftragte. Was folgt wird nicht nur ihr Leben verändern, sondern sie am System verzweifeln lassen. Denn als sie auf die schwer verletzte Raya aufmerksam wird, bekommt sie stückweise Informationen zu einem Verbrecherring, der Mädchen und junge Frauen teils an den Grenzen abfängt, ihnen die Pässe abnimmt und meistbietend verkauft. In den Bars und Häusern werden sie unter Bedingungen gehalten, die in der Tat unvorstellbar sind, und die Käufer brüsten sich auch noch mit Fotos, auf denen sie unverhohlen in die Kamera lachen.

Bolkovac trägt ihre Beweise an ihre Vorgesetzten heran und bringt Raya sogar dazu, vor Gericht aussagen zu wollen. Doch möchten die Verantwortlichen davon nichts hören, zumal nicht nur die örtliche Polizei an den Geschäften mit den Mädchen verdient, sondern auch UN-Mitarbeiter involviert sind, Angestellte von Democra und sogar Diplomaten. Sie alle können nicht angeklagt werden, da sie unter diplomatischer Immunität stehen, allenfalls die ansässigen Betreiber des Menschenhandels.
Je weitere Kreise die Ermittlungen von Kathryn Bolkovac ziehen, umso mehr erfahren wir darüber, wie mit den jungen Mädchen umgegangen wird. Wie sie bei Gegenwehr erst misshandelt, dann sogar verstümmelt werden, um an ihnen schließlich Exempel zu statuieren. So werden die Übrigen im Zaum gehalten. Nicht nur, dass sie körperlich missbraucht werden, manche sind so sehr gebrochen, dass sie den Versprechungen ihrer Peiniger Glauben schenken, man würde sie gehen lassen, sind ihre "Schulden" erst einmal abbezahlt.

Als wären diese Verbrechen nicht schlimm genug, treibt es einem die Tränen in die Augen zu sehen, wie das System aus Einschüchterung und Gewalt funktioniert und die jungen Frauen allein beim Anblick der Verbrecher so verängstigt sind, dass sie es nicht wagen, einen Schritt hin zu ihrer Rettung zu unternehmen.
Auf der anderen Seite fragt man sich, was die Männer dazu bewegt, selbst wenn sie sich nicht daran beteiligen, diese Barbarei dann doch stillschweigend hinzunehmen. Ist es die Angst vor Gewalt durch die aktiven Verbrecher? Angst davor, wenn sie dem System trotzen, ihr Gehalt, ihre Zukunft oder gar ihr Leben zu verlieren? Wie viel Ungerechtigkeit kann man beobachten, ehe das Gewissen den Selbstschutz überwindet?
All das macht Whistleblower - In gefährlicher Mission zwar inhaltlich sehr wichtig und auf Grund der anklagenden Brisanz des Themas eine mutige Produktion, doch ist der Film auch für ein nervenstarkes Publikum nur schwer zu ertragen. Gäbe es einen Abschluss, einen Hoffnungsschimmer für die Opfer oder eine gerechte Strafe für die Verantwortlichen, könnte man damit besser umgehen. Doch selbst wenn nach der Bekanntmachung jenes Skandals Teile der involvierten UN-Beobachter und der Sicherheitsfirmen abgezogen wurden, inzwischen sind dieselben Personen in anderen Krisengebieten im Einsatz.
Es macht einen traurig zu sehen, wie die UNO sich auch hier als vollkommen handlungsunfähig erweist. Schlimmer noch: Sie ist nicht nur Komplizin, sondern in gewissen Sinne auch Schutzherrin dieser menschenverachtenden Verbrechen geworden.


Fazit:
Die Regisseurin Larysa Kondracki zeichnet ein erschütterndes Bild einer Gesellschaft nach dem Krieg, in welchem insbesondere diejenigen, die als Hilfstruppe angekündigt wurden, die schlimmsten Grausamkeiten billigen oder sich sogar daran beteiligen, um den Profit einzustreichen. Die von Männern dominierte Welt, in der sich Kathryn Bolkovac bewegt, betrachtet sie und andere Frauen nicht mehr nur als Sex-Objekt, sondern beinahe schon als Ware. Wie bedrohlich die Situation für sie insbesondere ist, je mehr sie die kriminellen Machenschaften aufdeckt, ist auf eine beängstigende Weise spürbar. Dass sich, auch wenn diese Umstände aufgezeigt und verbreitet werden, letztlich so wenig ändert, ist zermürbend und entmutigend.
Whistleblower - In gefährlicher Mission zeigt eine Geschichte, die auf wahren Ereignissen beruht und uns nicht nur darum an der Menschlichkeit der Menschheit verzweifeln lässt. Rachel Weisz füllt die ihre Figur mit einer Wut und einer Verzweiflung, welche die Darstellerin in einem neuen Licht erscheinen lässt, und das Publikum fesselt. Doch das Martyrium der Opfer durch Roxana Condurache oder Paula Schramm zu beobachten wirkt lange nach, so dass das Drama schwer zu verarbeiten ist.