Till - Kampf um die Wahrheit [2022]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 16. Januar 2023
Genre: Drama / BiografieOriginaltitel: Till
Laufzeit: 130 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Chinonye Chukwu
Musik: Abel Korzeniowski
Besetzung: Danielle Deadwyler, Jalyn Hall, Frankie Faison, Haley Bennett, Whoopi Goldberg, Jayme Lawson, Tosin Cole, Kevin Carroll, Sean Patrick Thomas, John Douglas Thompson, Roger Guenveur Smith, Eric Whitten
Kurzinhalt:
August 1955. Der in Chicago aufgewachsene, 14 Jahre alte Emmett „Bo“ Till (Jalyn Hall) darf seine Verwandten in Mississippi besuchen. Emmetts Mutter Mamie (Danielle Deadwyler) ist besorgt, erfahren sie und ihr Sohn als Farbige doch bereits alltäglich Rassismus selbst in der Großstadt. Sie hat auch Bedenken, wie Emmett sich selbst sehen wird, wenn er erfährt, wie Farbige in den Südstaaten behandelt und gesehen werden. Doch Emmett fährt, auch wenn er die Arbeit seines Onkels und seiner Cousins auf den Baumwollplantagen langweilig findet. In einem von Weißen geführten Laden macht er gegenüber der Kassiererin eine charmant gemeinte Äußerung, doch kurz darauf zerren Emmett zwei bewaffnete, weiße Männer aus dem Haus seines Onkels. Für Mamie ist Emmett zuerst nur verschwunden, so dass sie sich über Rayfield Mooty (Kevin Carroll) Hilfe bei der Bürgerrechtsbewegung sucht. Als Emmetts Leiche gefunden wird, bricht Mamies Welt zusammen, doch sie ist entschlossen, dem Prozess in Mississippi beizuwohnen, selbst wenn dieser eine Schau ist. Sie entschließt sich, dass die Welt Emmett so sehen soll, wie die Lynch-Mörder ihn zugerichtet haben. Die Bilder lösen breites Entsetzen aus …
Kritik:
Es fällt schwer, nach Till - Kampf um die Wahrheit so zu tun, als sei nichts gewesen. Die Nacherzählung wahrer Ereignisse durch Filmemacherin Chinonye Chukwu ist auf eine so unvermittelte Art berührend und ergreifend gleichermaßen, dass man sich der Wirkung nicht entziehen kann. Es ist eine Geschichte, die, mehr als ein halbes Jahrhundert, nachdem sie sich ereignete, immer noch betroffen macht. Und unsagbar wütend. Das ist wichtig, aber nur schwer zu ertragen.
Im August des Jahres 1955 darf der 14jährige Emmett „Bo“ Till, der mit seiner alleinerziehenden Mutter in Chicago lebt, seine Cousins in Mississippi besuchen. Seine Mutter Mamie macht sich Sorgen und hat ein ungutes Gefühl, aber Emmett fährt und muss schon im Zug feststellen, dass es an seinem Zielort keine Gleichberechtigung gibt. Kurz nach der Abfahrt wird er wie andere Farbige in einen separaten Wagon gebracht. Obwohl Emmett und seine Mutter auch in der Großstadt Rassismus erleben, ist er mit der Feindseligkeit, die ihm begegnet, nicht zu vergleichen. In einem kleinen Laden macht Emmett gegenüber der weißen Verkäuferin Carolyn und unbedarfte, aber nicht böse gemeinte Bemerkung und pfeift ihr nach. Wenige Tage später zerren ihn zwei weiße Männer aus dem Haus seines Onkels, um „ihm eine Lektion zu erteilen“. Während Emmett vermisst wird, versucht Mamie mit Hilfe von Kontakten in politischen Kreisen herauszufinden, wo sich ihr Sohn befindet. Drei Tage später wird seine Leiche gefunden. Was folgt ist ein Schauprozess in Mississippi, während nicht nur die farbige Bevölkerung in den USA in Anbetracht der unvorstellbaren Gewalt des Verbrechens im Schock vereint ist, dank einer so mutigen wie ungewohnten Entscheidung seiner Mutter.
So erschreckend es bereits ist, dass die Vereinigten Staaten nur kurz zuvor eher beiläufig über den Mord an zwei Bürgerrechtsaktivisten berichteten, die Farbige ermuntert hatten, sich für ihr Wahlrecht zu registrieren, so unvorstellbar ist es, mitanzusehen, mit welcher Machtlosigkeit Mamie der Situation gegenübersteht, dass ihr Sohn vermisst wird und nicht einmal die Behörden in der Lage oder willens scheinen, ihn zu finden. Als die Nachricht sie einholt, dass ihr Sohn gefunden wurde, bricht für Mamie eine Welt zusammen. Es wird nicht das letzte Mal sein. Filmemacherin Chukwu schildert in gleichermaßen kompromisslosen wie nur schwer erträglichen Eindrücken, welchen Anblick die trauernde Mutter vorfindet, nachdem Emmetts Leiche nach Chicago überführt wurde. Dass sie sich entscheidet, Bilder des schwer misshandelten Leichnams zu veröffentlichen und eine öffentliche Trauerfeier mit offenem Sarg abhält, bei der zehntausende Menschen erscheinen, sorgt dafür, dass sich der Mord an ihrem Sohn in das Bewusstsein der Nation einbrennt. Doch so groß die Betroffenheit, ebenso groß der Unwille, an dem systemischen Rassismus, insbesondere in Mississippi etwas zu ändern. Mit Personenkontrollen von Farbigen bei Gericht ist die öffentlich abgesegnete Ausgrenzung unübersehbar.
Till - Kampf um die Wahrheit begleitet Mamie zu dem Prozess, bei dem weiße Geschworene über weiße Angeklagte urteilen sollen. Aber gerade in der zweiten Filmhälfte, wenn sich der Film der Gerichtsverhandlung widmet, verliert er den dramaturgischen Faden, wohnt dem Gezeigten bei, ohne dies vollends zu nutzen, und das Publikum noch mehr in der Entrüstung gegen die Ungerechtigkeit zu vereinen, die sich dort nach dem Mord abspielt. Dabei hätte der Schauprozess durchaus Möglichkeiten hierzu geboten und allein nachzulesen, was Emmett Till tatsächlich angetan wurde, Gewalt, die man hier allenfalls herauslesen kann, deren schockierender Umfang aber nicht vollends erwähnt wird, jagt einem nicht nur einen Schauer über den Rücken. Es macht unfassbar wütend und es beschäftigt einen noch lange, nachdem der Film zu Ende ist. Die Frage ist jedoch, weshalb sich Chinonye Chukwu hier anders entscheidet? Die wahrscheinlichste Möglichkeit ist, dass die Geschichte sonst ihr Hauptaugenmerk von Emmett als Opfer der Gewalt auf die Täter verlagern würde.
Stattdessen rückt Till - Kampf um die Wahrheit Emmetts Mutter ins Zentrum, die anfangs so besorgt über seine Reise nach Mississippi ist, wie Emmett selbst unbeschwert und fröhlich. Ihre Trauer und ihr kaum auszuhaltender Schmerz werden wie auch ihre Wut spürbar, dargebracht von Danielle Deadwyler in einer gleichermaßen furchtlosen wie hervorragenden Darbietung, die unter die Haut geht. Die durchweg ausgezeichnete Besetzung macht diese Figuren greifbar, die unsägliches Leid erlitten haben und das Wenige riskieren, das ihnen bleibt, für eine Gerechtigkeit, deren Chancen schlechter kaum stehen könnten. Inhaltlich ist das wichtig und sehenswert, aber aufwühlend.
Beschäftigt man sich näher mit Emmett Till, dem Verbrechen, das an ihm begangen wurde sowie den Auswirkungen, die sich daraus ergeben haben, dann deckt Chinonye Chukwus Drama hiervon nur einen kleinen Teil ab. Das ist in gewisser Weise auch eine verpasste Chance.
Fazit:
Gibt Mamie ihrem Sohn Emmett vor seinem Besuch in Mississippi mit auf den Weg, „wenn Du dort bist, mach Dich klein“, dann ist dieser Rat im Grunde ein für unsere Gesellschaft beschämendes Zeugnis. Es ist eine Unachtsamkeit, auf Grund derer Emmett Till ins Ziel von menschenverachtenden Rassisten gerät. Statt das unaussprechliche Verbrechen, dessen Opfer er wird, zu verstecken, zeigt Chinonye Chukwu das Ergebnis von Hass und Rassismus wie Mamie damals. Der Anblick ist nicht für schwache Nerven und ebenso schwer zu ertragen, wie kaum vorstellbar. Doch wie die Texttafeln am Ende des Dramas verdeutlichen, sind die Bilder nur die halbe Wahrheit dessen, was diesem 14jährigen Jungen angetan wurde, und welcher Art der Schauprozess tatsächlich war. Keine wirkliche Biografie, beleuchtet die Filmemacherin nur einen Teil des Gesamtbildes, wobei es sich anbieten würde, zum einen Emmett als Person vollständig vorzustellen, den Prozess in seiner Gesamtheit zu begleiten und auch die Auswirkungen auf die Bürgerrechtsbewegung und das Umdenken in den Köpfen der Öffentlichkeit zu beleuchten. Till - Kampf um die Wahrheit ist ein ergreifend gespieltes, aufwühlendes und berührendes Drama, das die unvorstellbare Trauer und den Schmerz der Opfer wie Hinterbliebenen spürbar werden lässt. Das ist grausam, wichtig und bewegend zugleich, aber womöglich ein zu eng geschnürter und nicht der beste Ansatzpunkt für das so erschütternde Thema.