Step Into Liquid - Im Bann der Riesenwellen [2003]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 26. September 2004
Genre: Dokumentation

Originaltitel: Step Into Liquid
Laufzeit: 88 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2003
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Dana Brown
Musik: Richard Gibbs
Darsteller: Rochelle Ballard, Shawn Barron, Layne Beachley, Jesse Brad Billauer, Taj Burrow, Ami DiCamillo, Darrick Doerner, Laird John Hamilton, Dave Kalama, Keala Kenelly, Alex Knost, Jim Knost, Gerry Lopez, Chris Malloy, Dan Malloy, Keith Malloy, Peter Mel, Mike Parsons, Kelly Slater, Mike Waltze


Kurzinhalt:
Regisseur Dana Brown macht sich auf, mit Zeitzeugen und Legenden die wahre Motivation hinter dem Surfen aufzuzeigen, dabei kommen neben Weltmeistern und Jungsurfern auch ganz alltägliche Menschen zu Wort.
An einigen der schönsten Strände rund um den Globus bittet der Filmemacher um Stellungnahmen der Beteiligten und filmt sie bei ihrer Lieblingsbeschäftigung – ehe er mit der Crew zu Cortes Bank aufbricht, einem der gewaltigsten und furchteinflößendsten Surfplätze der Welt, mitten im freien Meer.


Kritik:
Es gibt den allgemeinen Grundsatz, dass wer immer einmal auf einem Surfbrett steht und Gefallen an dem Gefühl findet, selbiges nie wieder los wird. Man ist gefangen und kehrt unwillkürlich stets zum Wasser zurück – es gibt sogar manche Menschen die jeden Tag, seit Jahrzehnten, mindestens einmal mit dem Brett zum reinen Vergnügen ins Wasser gehen. Surfen sei kein Lebensstil, so verrät Regisseur Dana Brown zu Beginn, es ist das Leben selbst, und der individuelle Stil nur eine Möglichkeit, es umzusetzen.
In seiner abendfüllenden Dokumentation Step Into Liquid widmet er sich diesem relativ jungen Sport, bittet Legenden der Surfgeschichte vor die Kamera, rekapituliert kurz die Entstehung und verwendet sehr viel Zeit darauf, die innere Einstellung eines wahren Surfers zu porträtieren.
Nebenbei wird der Zuschauer mit einigen der faszinierendsten und zum Teil auch furchteinflößendsten Aufnahmen von Wellenreitern verwöhnt, die es bislang zu sehen gab, und die alle möglichen Action-Film-Passagen mit Surfbrettern ziemlich blass aussehen lassen (als Beispiel sei die entsprechende Sequenz im letzten James Bond-Abenteuer Stirb an einem anderen Tag [2002] genannt).

Brown umreißt am Anfang kurz, was Menschen überhaupt am Surfen interessiert und was einen immer wieder in das flüssige Element hineinzieht, und er lässt dabei treffenderweise die Bilder für sich sprechen, obwohl er den Film und die Interviews ansonsten persönlich kommentiert. Dabei ist sein Vater Bruce Brown zu sehen, der mit The Endless Summer [1966] und The Endless Summer 2 [1994] zwei bekannte und hochangesehene Dokumentationen zum selben Thema drehte und selbst Surfer ist. Insofern ist Step Into Liquid weniger ein unabhängiger Dokumentarfilm, sondern wie Dana Brown selbst sagt, vielmehr der dritte Teil einer Trilogie.
Betrachtet man Step Into Liquid für sich, fällt trotz der berauschenden Aufnahmen und der gekonnten Kombination mit eingängiger Musik im Nachhinein allerdings auf, dass der Film sehr wenig über die Geschichte des Surfens ansich vermittelt. Über die Anfänge und die Entwicklung des Extremsports bis hin zur milliardenschweren Industrie, die er heute repräsentiert, wird kaum etwas gesagt. Stattdessen lässt Regisseur Brown Surf-Legenden und junge Begeisterte ihr Gefühl ausdrücken, das sie beim Wellenreiten erleben, beschreibt in knapp 90 Minuten Minuten, wie die friedliche innere Einstellung eines wahren Surfers aussieht, und weswegen man ein Leben lang auf der Suche nach der einen Welle ist, die für jeden persönlich bestimmt ist. Wer eine inhaltlich tiefgehende Dokumentation über die Ursprünge und Legenden des Surfsports erwartet, wird hier also zwangsläufig enttäuscht und muss auf eine der zahlreichen anderen Dokumentationen zum Thema vertröstet werden, die in nächster Zeit veröffentlicht werden.
Wenn es jedoch um die Veranschaulichung des Lebensgefühls des Surfens geht, kann niemand Brown das Wasser reichen: Mit den ausgewählten Interviewschnipseln, den kaum zu übertreffenden, fast schon hypnotisierenden Bildern und den malerischen Aufnahmen von Sandstränden und Sonnenuntergängen, reißt er den Zuschauer mit, wie keiner zuvor.
Interessante Einblicke gelingen ihm darüber hinaus in Bezug auf die spezielle Weiterentwicklung des Surfens mit der so genannten Tow-In-Technik. Da manche Wellen schlicht zu groß und schnell sind, als dass ein Surfer mit gewöhnlichem Board hineinreiten könnte, werden die Waghalsigen mittels eines Jetskis zuerst auf die richtige Geschwindigkeit gebracht und dann in die Wellen hineingezogen – Pioniere darin sind Laird Hamilton und Dave Kalama, die dies an der Küste von Maui, Hawaii schon zur Perfektion gebracht haben und hier ebenfalls vorgestellt werden.
Brown legt außerdem Wert darauf, die Nische der weiblichen Surfer etwas zu entmystifizieren und zeigt lebende Legenden wie Maureen Drummy, Layne Beachley, Keala Kenelly und Rochelle Ballard, die ihren männlichen Kollegen ohne Zweifel das Wasser reichen können.

Der Aufbau seiner Dokumentation ist Dana Brown trotz der sich eigentlich stetig wiederholenden Thematik ausgesprochen gut gelungen, er wechselt gekonnt die unterschiedlichen Orte mit bekannten und neuen Gesichtern ab, stellt Schicksale von Surfern wie Jesse Brad Billauer vor – der durch einen Surfunfall querschnittsgelähmt ist, und trotzdem so oft wie möglich, mit Freunden auf dem Surfbrett ins Wasser geht –, und zeigt neben naheliegenden Locations wie Hawaii, auch vollkommen ungewöhnliche Orte für das Surfvergnügen, wie die Great Lakes in Michigan, Hunderte Kilometer von jeder Küste entfernt.
Dass das Ganze selbst in 88 Minuten nie langweilig wird, ist der wirklich sehr guten Kamera- und Schnittarbeit zu verdanken, die nicht nur fantastische und teilweise durch Zeitlupen ausgekostete Bilder einfängt, sondern diese stimmig mit den Intervieweinlagen verbindet, ohne dabei aber das eine oder andere um Tempo oder Inhalt zu berauben. Nachdem neue Szenerien vorgestellt sind, gibt Brown den Bildern zudem für einige Minuten die Gelegenheit, für sich zu sprechen, lässt den Zuschauer mit den Aufnahmen und der musikalischen Untermalung allein, so dass diese ihre Wirkung richtig entfalten können.
Damit das jedoch der Fall ist, muss die Musik zu den Bildern passen – was hier glücklicherweise nicht nur für die instrumentale Musik von Richard Gibbs zutrifft, der einige sehr eingängige und verspielte Themen geschrieben hat, sondern auch die gesungenen Stücke fügen sich nahtlos in den Film ein, gleichwohl das bekannteste aus dem Trailer ("They Came In" von den The Butthole Surfers) leider nicht vorkommt. Die Musikauswahl eignet sich hervorragend für eine flotte Sommer-CD und ist zum Teil auf der offiziellen Soundtrack-CD enthalten.

Obwohl Step Into Liquid in den USA einen hervorragenden Ruf genießt, ein wirklicher Erfolg war der Film leider nicht. Bedenkt man allerdings, dass er letztlich in nur 91 Kinos zu sehen war, ist das Einspielergebnis von dreieinhalb Millionen Dollar dennoch beachtlich. In Deutschland kam der Film nie in die Kinos; er lief allenfalls auf einigen Festivals, und ist bislang weder auf Video, noch DVD angekündigt – im Gegensatz zu den USA, wo die DVD-Ausgabe mit so vielen Extras daherkommt, dass man sie Fans ohne Bedenken ans Herz legen kann.
Neben dem Film in sehr guter Bildqualität gibt es Interviews, Deleted Scenes, zwei Musikvideos mit einigen der besten Bilder aus dem Film, Hintergrundinfos zu den Surf-Locations und einem Audiokommentar von Regisseur und Autor Dana Brown.
Was auf DVD (und in dem Film selbst) exzellent zur Geltung kommt, ist das Wasser – seien es die verschiedenen Farben (von den grünlichen, dunklen Wellen bei Irland, bis hin zu den türkis-blauen Gewässern bei den Osterinseln oder vor Tahiti), die Formen, die Härte der erbarmungslosen Wellen bei Cortes Bank (einem der gefährlichsten Surf-Orte der Welt, mitten im Pazifischen Ozean) oder seine Temperatur, die man allein am Aussehen erraten kann. Dies mag zwar nicht im Geringsten die Eindrücke ersetzen, die man erhält, wenn man persönlich diese Orte aufsucht, aber Wasser sah auf Film noch nie so plastisch, so faszinierend und greifbar aus, wie hier.

Wenn sich Surflegenden wie Laird Hamilton, Gerry Lopez, die Brüder Keith, Chris und Dan Malloy, Robert August und der junge aber äußerst talentierte Taj Burrow das Mikrofon in die Hand geben, und der Zuschauer an Traumstrände in Kalifornien, Hawaii oder Malibu entführt wird, werden für jeden Wasser- und Surf-Begeisterten Träume war. In nie dagewesener Weise zeigt Dana Brown, worum es beim Surfen eigentlich geht. Dass nicht die Gefahr das Entscheidende daran ist, sondern der Spaß am Leben; und die grandiosen Bilder überzeugen dabei noch mehr, als die Interviews mit Größen des Sports oder Gästen wie Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI [1993-2002]-Erfinder Chris Carter.
Wenn man dann noch zu sehen bekommt, wie das Surfen Kinder aus den zerstrittenen Gebieten Nordirlands zusammen bringt, oder Jim Knost mit Kindern in Vietnam surft, glaubt man an die vereinende Wirkung, die viele Anhänger dieser Lebenseinstellung proklamieren. Manche sagen, das Surfen sei eine Religion; ob dem so ist, sei dahingestellt, nach dieser optisch umwerfenden Dokumentation, die einen fast schon selbst auf das Brett stellt und in die Brandung wirft, könnten auch diejenigen, die mit dem Sport bislang nichts anzufangen wussten, Anhänger des Kults werden.


Fazit:
Wer die besten Surfer der Welt sind, verrät Regisseur Dana Brown gleich zu Beginn; dass die Menschen sich trotz allem nicht unterkriegen lassen wollen, ist zwar rühmlich, verwundert aber angesichts der faszinierenden Bilder nicht im Geringsten. Malerische Strände wechseln sich in der mit einem Augenzwinkern erzählten Dokumentation mit erstklassigen (Unter-)Wasseraufnahmen ab, die selbst bei Fans und Kennern des Sports noch für offene Münder sorgen.
Nach diesen 90 Minuten kann man die Gischt förmlich riechen, bewegt sich mit den Wellen mit und saugt die sagenhaften Eindrücke leidenschaftlich in sich auf. Inhaltlich ist Step Into Liquid vielleicht nicht die beste Dokumentation über das Surfen, dafür aber zweifellos die unterhaltsamste, kurzweiligste und hypnotisierendste.
Noch nie war das Wasser so blau, so einladend, so geheimnisvoll und freundlich zugleich – auch wer noch nie zuvor am oder im Meer gewesen ist, wird sich nach Step Into Liquid ein Surfbrett kaufen wollen.