Ratatouille [2007]

Wertung: 6 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 11. Dezember 2007
Genre: Animation / Komödie

Originaltitel: Ratatouille
Laufzeit: 111 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2007
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Brad Bird
Musik: Michael Giacchino
Originalstimmen: Patton Oswalt (Axel Malzacher), Ian Holm (Gudo Hoegel), Lou Romano (Stefan Günther), Brian Dennehy (Harald Dietl), Peter Sohn (Manuel Straube), Peter O'Toole (Jürgen Thormann), Brad Garrett (Donald Arthur), Janeane Garofalo (Elisabeth von Koch), Will Arnett (Tim Mälzer), Julius Callahan (Wahid Mannes), James Remar (Claus Brockmeyer), John Ratzenberger (Hartmut Neugebauer)


Kurzinhalt:
Gegen gutes Essen ist nichts einzuwenden – diesbezüglich ist Remy (Patton Oswalt / Axel Malzacher) einer Meinung mit seiner Familie. Doch was gut ist, und was schlecht, da gehen die Meinungen auseinander. Nicht zuletzt liegt es an Remys guter Nase, dass er den üblichen Fraß seiner Rattenfamilie nicht anrühren möchte; dabei sollte es in Frankreich nicht schwer sein, gutes Essen zu finden.
Als Remy in Paris eher zufällig das Restaurant des verstorbenen Gourmetkochs Gusteau (Brad Garrett / Donald Arthur) entdeckt, zieht es ihn dorthin, sein Traum war es jeher schon, selbst zu kochen. Das Talent besitzt er dafür zwar zweifellos und stellt dies sogar unter Beweis – wobei er vom Tellerwäscher Linguini (Lou Romano / Stefan Günther) entdeckt wird. Zusammen machen sie sich auf, die Küche Gusteaus wieder zum ehemaligen Ruhm zu verhelfen, wenn der derzeitige Chefkoch Skinner (Ian Holm / Gudo Hoegel) nicht seine persönlichen Gründe hätte, Linguini zu misstrauen. Doch nachdem die ersten Gerichte Remys durch die Hände Linguinis ein großer Erfolg sind, kündigt sich der Gourmetkritiker Anton Ego (Peter O'Toole / Jürgen Thormann) an, dessen Urteil über die Zukunft eines Restaurants entscheiden kann. Gustaus Restaurant war ihm seit jeher ein Dorn im Auge, behauptete dieser doch, dass jeder kochen könne ...


Kritik:
Sieht man sich allein die Zahlen an, scheint es, als wären die Tage der digitalen 3D-Animation bereits wieder am ausklingen. Seit dem Pixar-Hit Findet Nemo [2003], der weltweit beinahe 900 Millionen Dollar einspielte (Merchandising gar nicht mitgerechnet) besuchten immer weniger Zuschauer die Leinwandauftritte der Pixar-Helden. Die Unglaublichen - The Incredibles [2004] nahm "nur noch" 600 Millionen ein, bei Cars [2006] waren es gar 450 Millionen. Erst mit Ratatouille konnte man den Trend wieder umkehren – über 600 Millionen sind es bislang, und dabei ist der Film immer noch in den Kinos zu sehen. Interessanterweise war Ratatouille aber in den USA weit weniger erfolgreich, als im Rest der Welt. Im Heimatland der Pixelschmiede landet der Film bislang auf dem drittletzten Platz der bisherigen Filmveröffentlichungen – und ist damit der schwächste der letzten neun Jahre.
Worin dieser Trend begründet liegt, steht in den Sternen. Interessanterweise sind sich sowohl Zuschauer, als auch Kritiker einig, dass die Geschichte um eine Ratte, die in Paris Koch werden möchte, seit Findet Nemo das Beste darstellt, was Pixar veröffentlicht hat. Und dies liegt glücklicherweise nicht nur an der bezaubernden und überwältigenden Optik des Films, sondern vielmehr an seinem Inhalt.

Seit der klassische Zeichentrickfilm immer mehr aus den Konzepten der Studios verbannt wurde und sich die animierten Pixelabenteuer durchsetzten (mit Toy Story [1995] machten Pixar sogar den Anfang), mauserte sich die innovative 3D-Schmiede zum modernen Studio der "klassischen Animation". Doch statt bekannte Märchen neu zu verfilmen, nahmen sich die Macher die Zeit, neue Geschichten zu erfinden, die mit jedem weiteren Film auch an Komplexität und Anspruch zugenommen hatten. So auch geschehen bei Findet Nemo, nicht nur dem düstersten, sondern auch dem erwachsensten Film der Produzenten.
Ratatouille schlägt eine ähnliche Richtung ein und erzählt eine an sich sehr menschliche Geschichte mit anderen Protagonisten, die den Zuschauern einen Spiegel vorhalten sollen. Gelungen ist dies dank den Autoren Jan Pinkava, Jim Capobianco und Brad Bird in allen Bereichen. Sei es nun die Ausgangslage an sich, die Erzählung der Geschichte durch Remy, oder aber die Dialoge der Figuren untereinander. Auch die von Komödien gewohnte Dramaturgie wird übernommen, die Charaktere weiter entwickelt und neue Erkenntnisse gewonnen, so dass der Film auch die sonst Genre übliche Laufzeit von 90 Minuten weit überschreitet.
Erstaunlich an dem erstklassigen Skript ist allerdings, dass die Autoren die Antworten und Botschaften nicht auf einem Silbertablett servieren, sondern den Zuschauer selbst dazu auffordern, nachzudenken und die eigenen Schlüsse zu ziehen. Wenn man mit ansieht, wie der Egoismus zuerst von Remy und später von Linguini die Freundschaft der beiden beinahe zerstört und wie die Sturheit von Remys Vater ihn immer mehr von seinem Sohn entfremden, wird man durch die Macher ganz sanft aufgefordert, sein eigenes Verhalten zu überprüfen. Und dies, ohne dass man einen erhobenen Zeigefinger und eine Selbstgefälligkeit wie die vieler anderer Moral schwangerer Filme sehen könnte. Der inhaltliche Höhepunkt und jener kleine Moment, mit dem sich Ratatouille an die Spitze der letzten Produktionen aus dem eigenen Hause setzt, kommt allerdings in der wortlosen Szenen, als der harsche Kritiker Ego sein kulinarisches Gericht am Ende des Films kostet – und welche Emotionen es in ihm auslöst. Gerade solche Einfälle veredeln die Produktion nicht nur, sie heben sie auf ein gänzlich anderes Niveau und sorgen dafür, dass sowohl Kinder die zwei Stunden Film auf Grund der vielen witzigen Einstellungen genießen können, als auch Erwachsene sich daran erfreuen. Letztere haben aber zusätzlich die Möglichkeit, Ratatouille durch erwachsene Augen auf einer andere Ebene wahrzunehmen – eine, die letztlich noch mehr berührt, und dafür sorgt, dass der Film im Gedächtnis bleibt.
Zu diesem Spagat kann man den Machern nur gratulieren und hoffen, dass sie dementsprechend auch bei der kommenden Auszeichnungssaison bedacht werden.

Die Technik hinter Ratatouille hätte dies ohne Zweifel ebenfalls verdient. Nicht nur, dass Landschaften, Küche und Fell selten so überzeugend ausgesehen haben, insbesondere die Wassereffekte, das Kanalisationssystem von Paris und auch die Innenstadt entlang der Seine überwältigen den Zuseher einerseits durch einen nie gesehenen Realismus, andererseits durch eine Liebe zum Detail, die sich auch in den Küchenutensilien, den Rezepten und Beschriftungen fortsetzt. Im Nu gelingt es den Animationskünstlern, die Zuschauer in ein Paris zu entführen, das schon auf Grund der vielen Kleinigkeiten, die mit bedacht wurden, nie den Eindruck erweckt, es sei künstlich – sondern auch dank der Tiefenschärfe, der Beleuchtung, Licht, Schatten und die Bewegung der Figuren so realistisch, wie man es sich in einem solchen Film nur vorstellen kann.
Dabei machten sich die Produzenten auch die Mühe, viele Schilder und Beschriftungen ins Französische übersetzen zu lassen – weswegen dann allerdings das Kochbuch und die Rattenfallen auf Englisch beschriftet sein müssen, verstehe wer will. Das schmälert allerdings nicht das Flair, welches Ratatouille bereits in den ersten Minuten aufbaut. Umso erfreulicher, dass es den Machern gelingt, die Atmosphäre auch bis zum Schluss aufrecht zu erhalten.
Hierzu trägt auch die Inszenierung selbst ihren Teil dazu bei, die in keinem Pixar-Film bislang so professionell wirkte. Lange Kamerafahrten, ungewöhnliche Perspektiven, Szenenwechsel und Schnittfolgen entstammen alle einer normalen Hollywood-Produktion. Man hat auch bei der technischen Umsetzung des erstklassigen Skripts das Gefühl, als hätte Regisseur Brad Bird nicht versucht, einen Animationsfilm zu drehen, sondern sich vielmehr darauf konzentriert, eine warmherzige, überzeugende Geschichte zu erfinden, und dann festgestellt, dass sich dies nur mit dieser Technik verwirklichen ließ. Und an eben der Technik gibt es nichts zu bemängeln, ganz im Gegenteil.

Ebenso wenig an der musikalischen Untermalung durch Michael Giacchino, der als Hauskomponist von J.J. Abrams bekannt wurde und nach wie vor sowohl im TV, als auch im Kino vertreten ist. Für seine Arbeit bei Ratatouille sollten ihm im Gegensatz zu seinen zahlreichen Nominierungen bei Die Unglaublichen aber zahlreiche Preise sicher sein. Selten zuvor schmiegte sich die Musik bei einem Trickfilm derart gekonnt an die Atmosphäre und die Szenen, wie bei Giacchinos Arbeiten hier.
Auch losgelöst vom Film überzeugt der Score einerseits durch faszinierende, vielschichtige Themen, ein kraftvolles und temperamentvolles Orchester und ebenso sicher eingesetzten, ruhigeren Momenten. Der Komponist fängt gekonnt Paris und die Haute Cuisine in Tönen ein – und spielt sowohl mit den Charakteren auf der Leinwand, wie mit dem Zuschauer.

Überaus erstaunlich und gerade deshalb so erfreulich ist auch die deutsche Synchronisation des Films, die vor allem dank Sprecher Axel Malzacher, der Remy seine Stimme leiht, einen überaus gelungen Eindruck hinterlässt. Auch Stefan Günther als Linguini vermag zu überzeugen, gleichwohl Gudo Hoegel als Skinner und nicht zuletzt Jürgen Thormann als Ego die besseren Momente vorbehalten sind.
Auch Elisabeth von Koch macht als Colette eine gute Figur, ebenso wie die bis in die Nebenrollen sehr gut besetzten übrigen Sprecher. Da fällt der kurze Auftritt von "Starkoch" Tim Mälzer als Horst glücklicherweise nicht sonderlich ins Gewicht.

Voller Stolz halten die Macher von Ratatouille beim Abspann fest, dass kein Motion Capture-Verfahren verwendet wurde, sondern sämtliche Figuren von hand animiert sind. Und dennoch überzeugend wirken.
Es bleibt der Eindruck, als würde sich Pixar dazu verpflichtet fühlen, die klassische Animation wenigstens so am Leben zu erhalten. Dass dies auch in unserer heutigen, modernen Welt problemlos möglich ist, zeigt Brad Birds zweiten Abend füllender Pixar-Film eindrucksvoll.
Angefangen von der Geschichte über die Figuren, die Umsetzung und die Aussage des Films, übertrifft Ratatouille nicht nur alle Erwartungen, die Fans seit Cars hegten, sondern lässt einmal mehr keine Zweifel, dass derzeit kein anderes Animationsstudio den Pionieren dieses Genres das Wasser reichen kann. Dass der Film sowohl für Kinder, als auch für Erwachsene geeignet ist, ist dabei beinahe schon ein Markenzeichen Pixars. Wenn auch ein einzigartiges.


Fazit:
Bereits der wortlose Vorfilm Lifted [2007] stimmt die großen und kleinen Zuschauer auf das ein, was noch kommt. Zwölf Jahre sind seit Toy Story vergangen, und auch wenn die Autoren damals schon viel Wert auf eine hintersinnige Geschichte legten, auch ihre Federführung scheint sich weiter entwickelt zu haben. So funktioniert Brad Birds Ratatouille auf zweierlei Ebenen und spricht damit sowohl Kinder, als auch Erwachsene an.
Doch statt die weisen Einfälle mit Pauken und Trompeten zu unterstreichen, muss man als Zuseher selbst aufmerksam mitverfolgen, was das Produktionsteam einem sagen möchte. Dabei angesichts der Atem beraubenden Bilder, den vielen Humoreinlagen und der durchgehend verzaubernden Akustik nicht die Geschichte aus den Augen zu verlieren, war eine Herausforderung für die Macher und ist ebenso eine für das Publikum.
Doch hinter Ratatouille verbirgt sich viel mehr, als nur ein schöner Animationsfilm. Es ist ein sehr guter Film. Dieses Jahr vielleicht einer der besten und mit Sicherheit wertvoll – und sehenswert.