Rache auf texanisch [2022]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 14. Januar 2023
Genre: Komödie / Krimi

Originaltitel: Vengeance
Laufzeit: 107 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: B.J. Novak
Musik: Finneas O’Connell
Besetzung: B.J. Novak, Boyd Holbrook, Lio Tipton, Ashton Kutcher, Isabella Amara, Dove Cameron, J. Smith-Cameron, Eli Abrams Bickel, Issa Rae, Louanne Stephens, John Mayer, Clint Obenchain, Zach Villa, Chevel Shepherd


Kurzinhalt:

Mitten in der Nacht erhält Journalist Ben Manalowitz (B.J. Novak) in New York City einen Anruf, dass seine Freundin gestorben sei. Dabei handelt es sich nicht um die Internetbekanntschaft, die neben ihm im Bett liegt, sondern um eine seiner zahlreichen anderen Bekanntschaften – Abilene Shaw (Lio Tipton), die in West-Texas neben einer Ölförderanlage an einer Überdosis gestorben ist. Ihr Bruder Ty (Boyd Holbrook) überredet Ben, zur Beerdigung zu kommen, denn Abilenes Familie ist der Auffassung, dass sie und Ben ein festes Paar waren. Als Ty ihm mitteilt, dass er der Auffassung ist, seine Schwester wurde ermordet, willigt Ben ein, zu bleiben und vereinbart mit der Produzentin seines Podcasts, Eloise (Issa Rae), daraus eine Story zu machen. Er will erkunden, wie Menschen in Trauer lieber Mythen glauben, anstatt sich mit der Wahrheit abzufinden. Mit Tys Hilfe beginnt Ben Fragen zu stellen und stößt so auf den Musikproduzenten Sellers (Ashton Kutcher). Durch seine Nachforschungen wächst Ben nicht nur Abilenes Familie ans Herz, er sieht Abilene zum ersten Mal wirklich. Und auch bei Ben regt sich der Verdacht, dass sie ermordet worden sein könnte …


Kritik:
B.J. Novaks teils böse Krimikomödie Rache auf texanisch erzählt anfangs nur scheinbar, letztlich nur vordergründig von dem Verbrechen, das die Titel gebende Suche nach Vergeltung auslöst. Im Kern handelt der Film von den Gegensätzen einer gespaltenen Gesellschaft, die von beiden Seiten in schwarz und weiß gezeichnet wird, ohne Kompromisse zuzulassen. Diese Beobachtungen kommen spät, doch sie treffen mitten ins Zentrum, wenn man sich auf den trockenen, entblätternden Humor und die ruhige Erzählung einlässt.

Novak, der auch die Hauptrolle des in New York arbeitenden Journalisten Ben Manalowitz spielt, dessen erfolgreicher Podcast von einem großen Publikum gehört wird, beginnt seine Geschichte mit zwei Figuren, die sich bei einer Party darüber unterhalten, mit wie vielen Frauen sie sich derzeit gleichzeitig verabreden. Die Gesellschaft hätte schließlich den Anspruch, die eigenen Wünsche zu befriedigen und wieso sollte nur eine Partnerin dies können? Es ist ein Selbstverständnis, das die soziale Interaktion zwischen uns Menschen auf den Kopf stellt und stattdessen das Individuum ins Zentrum rückt. Umso entrückter scheint Bens Selbstbild, wenn er seiner Produzentin Eloise kurz darauf erläutert, dass er eine Idee für eine Story habe, denn er wolle einen wichtigen Podcast-Beitrag aufnehmen, der zu den Menschen spreche. Er will sich dabei der Spaltung der amerikanischen Gesellschaft widmen und sieht kurz darauf eine Chance, denn mitten in der Nacht erhält er einen Anruf, dass eine seiner vielen flüchtigen Bekanntschaften, Abilene Shaw, in Texas gestorben sei. Die Familie ist jedoch der Meinung, dass Ben ihr fester Freund war und so fliegt Ben nach Texas, um an der Beerdigung teilzunehmen. Was er vorfindet, ist eine Familie, die in ihm einen Teil von Abilene sieht. So sehr, dass sogar ein Foto der beiden neben dem Sarg aufgebahrt wird. Abilenes Bruder Ty glaubt die Aussage der Polizei nicht, seine Schwester sei an einer Überdosis gestorben, sondern ist überzeugt, sie wurde ermordet. Darin sieht Ben den Aufhänger für seine Story, eine Gesellschaft, die nicht bereit ist, die Wirklichkeit zu akzeptieren, sondern stattdessen Verschwörungen und Geschichten erfindet, um sich darin selbst als Held zu inszenieren.

Es sind Beobachtungen wie diese, die Rache auf texanisch trotz des sehr nüchtern dargebrachten Humors bereits tiefgründiger auftreten lassen, und auch wenn B.J. Novak in seiner Story stark auf den Reiz des Lokalkolorit setzt, die texanische Lebensart derjenigen von Großstädtern gegenüberstellt, diese gesellschaftliche Spaltung ist im Grunde doch universell. Auch hierzulande wird in den Köpfen der Menschen gern zwischen Ost und West, Nord und Süd oder allgemein Menschen in der Stadt und auf dem Land unterschieden. Aus der eigenen Perspektive wird die persönliche Sichtweise auf die Dinge und die Welt an sich stets überhöht und als die einzig richtige dargestellt, diejenige der anderen bestenfalls akzeptiert, in den seltensten Fällen wirklich verstanden. Der Kulturschock, den Ben erleidet, als er in die texanische Familie aufgenommen wird, sein erstes Rodeo erlebt oder die Familie sich beim Essen unterhält, mit welchem Waffenkaliber sich die drängendsten Probleme des Landes beheben ließen, ist überaus amüsant. Die Kommentare und die Gesellschaftssatire, wenn auch selten bissig genug, treffen oftmals den Nagel auf den Kopf.

Doch dies schwingt auch in die andere Richtung, wenn Ben beispielsweise erzählt, dass er seiner Familie sehr nahestehe, sie aber nicht oft sieht. Das Drehbuch entblättert die nur oberflächlich schlüssigen Begründungen beider Seiten und bedient dabei zweifelsohne zahlreiche Klischees. Dennoch gelingen Rache auf texanisch dabei immer wieder inhaltliche Perlen, mit denen B.J. Novak treffend frischen Wind einbringt. Sei es, wenn Ben versucht, Ty und den anderen Familienmitgliedern zu entlocken, warum ihre bevorzugte Burgerkette eben ihre liebste ist. Er sucht eine Begründung, warum bei einer Auswahl immer zu dieser gegriffen wird. Ty entgegnet ihm, dass es bei der Liebe für etwas nicht darauf ankommt, was dies „besser“ macht als andere Dinge – dass Liebe keinen Grund braucht. In diesem Momenten wird klar, dass diese Familie in West-Texas, auf die Ben anfangs herabblickt, die er für schlicht und einfach hält, mehr verstanden hat, als Ben, der gerade auf Grund einer unendlichen Auswahl nie zufrieden ist, anstatt mit dem glücklich zu sein, was er vor sich hat.

So wachsen Ben die Menschen, ihre Lebenseinstellung und die Landschaft stückweise ans Herz und beginnen, ihn zu verändern. Auch Abilene, die er nur in Videoaufnahmen und durch die Einrichtung ihres Zimmers zum ersten Mal wirklich zu sehen scheint, während sie für ihn zuvor als flüchtige Bekanntschaft nur „verfügbar“ war. Dieser Blick auf unsere Gesellschaft weicht erst spät im zweiten Akt dem eigentlichen Krimi, wenn Ben Tys Vermutung eines Mordes nicht als Verschwörungstheorie abtut, sondern tatsächlich in Betracht zieht, dass Abilene ermordet wurde. Dann gerät Rache auf texanisch zu einem durchaus stimmigen Neo-Noir-Krimi, der neben dem Verbrechen auch das Drama menschlicher Schicksale ins Zentrum rückt. Ob die durchaus überraschende Entwicklung am Ende aber vollends zur Geschichte passt, muss das Publikum für sich entscheiden. Lässt man sich auf die ruhige Erzählweise ein und liest die Gesellschaftskritik heraus, ist dieser stimmungsvolle Genrefilm in jedem Fall mehr als gelungen.


Fazit:
Schwört Ty Ben darauf ein, Rache für seine Schwester zu nehmen, begründet er das damit, dass man „in Texas nicht die Polizei ruft“. Klischees wie diese greift B.J. Novak viele auf, aber anstatt sie nur zu wiederholen, oder gar auf die texanische Familie herabzublicken, entblättert er alle Beteiligten. Sowohl das schroff unnahbare Auftreten von Bens Gastgeberfamilie, aber auch Ben selbst, der am Anfang eine Story über ein geteiltes Amerika schreiben will, diese Teilung aber selbst verkörpert und in seiner Art sogar zum Ausdruck bringt. Er glaubt, über Ty und seine Familie richten zu können, die Weisheit gepachtet zu haben, doch sie sehen am Ende mehr, als er von seinem Elfenbeinturm aus zu erkennen vermag. Dem zu folgen, ist nicht nur unterhaltsam, es ist witzig, oft zynisch und dann doch gleichermaßen überraschend ernst mit einer treffend analytischen Sicht auf unsere Gesellschaft. Sei es, weshalb sich Viele von Verschwörungsmythen einnehmen lassen, oder dass Rache das Bedürfnis befriedigt, die Kontrolle über etwas zurückzuerlangen. Rache auf texanisch ist düsterer, als erwartet, und als Gesellschaftssatire nicht so schneidend, wie sie hätte sein können. Aber als schwarzhumorige Komödie mit dem Neo-Noir-Krimi in der zweiten Hälfte, ist das letztlich erfrischend unvorhersehbar und mit vielen tollen, geradezu melancholischen Beobachtungen und Kommentaren gespickt. Die tolle Besetzung, bei der Novak selbst ebenso hervorsteht wie ein großartiger Ashton Kutcher, ist da nur das Tüpfelchen auf dem i. Nicht nur als Regieeinstand überaus sehenswert.