Prisoners [2013]

Wertung: 6 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 09. August 2014
Genre: Thriller / Drama

Originaltitel: Prisoners
Laufzeit: 153 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2013
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Denis Villeneuve
Musik: Jóhann Jóhannsson
Darsteller: Hugh Jackman, Jake Gyllenhaal, Viola Davis, Maria Bello, Terrence Howard, Melissa Leo, Paul Dano, Dylan Minnette, Zoë Soul, Erin Gerasimovich, Kyla Drew Simmons, Wayne Duvall, Len Cariou, David Dastmalchian


Kurzinhalt:
Zum Thanksgivingessen besuchen Keller (Hugh Jackman) und Grace (Maria Bello) zusammen mit ihren Kindern Ralph (Dylan Minnette) und Anna (Erin Gerasimovich) die Familie Birch, die nur ein paar Häuser weiter wohnt. Als Anna und Joy (Kyla Drew Simmons), Franklin (Terrence Howard) und Nancy Birchs (Viola Davis) Tochter, nach dem Essen vom Spielen nicht zurückkommen, machen sich Keller und Franklin auf die Suche, doch sie finden die Mädchen nicht. Wenig später kann Polizist Loki (Jake Gyllenhaal) den Verdächtigen Alex Jones (Paul Dano) verhaften, der ein Wohnmobil fuhr, das in der Nähe des Hauses gesehen wurde.
Doch da Alex geistig zurückgeblieben ist und die Fragen der Polizei nicht einmal zu verstehen scheint, müssen sie ihn wieder zu seiner Adoptivmutter Holly (Melissa Leo) gehen lassen. Seit der Entführung sind einige Tage vergangen und so greift Keller selbst zur Waffe. Er kidnappt den freigelassenen Alex und ist bereit, alle Mittel einzusetzen, um ihn zum Reden zu bringen ...


Kritik:
Mit Prisoners richtet Regisseur Denis Villeneuve den Scheinwerfer auf unbequeme Weise auf sein Publikum. Er zwingt es, sich damit auseinander zu setzen, was man selbst bereit wäre zu tun, angesichts eines Verbrechens, das uns ohnehin bereits verzweifeln lässt. Er zeigt den Weg eines unbescholtenen Mannes, der um seine Familie zu beschützen alle moralischen Hemmschwellen überschreitet. Es ist ein Martyrium für seine Figuren und eine Tour-de-Force für die Darsteller.

Dass auch Keller Dover – kräftezehrend gespielt von Hugh Jackman in seiner bis dato besten Rolle – kein Heiliger ist, auch wenn er ein gottesfürchtiger Mann zu sein scheint, erfahren wir, wenn er über seine überwundene Alkoholsucht spricht. Mit seiner Frau Grace und seinen beiden Kindern lebt Keller in einer Nachbarschaft in Pennsylvania, in der man einander kennt. Die befreundete Familie Birch wohnt nur ein paar Häuser weiter. Am Thanksgivingabend geschieht, was man sich selbst nicht in den schlimmsten Albträumen auszumalen wagt: Als sie kurz zum Spielen nach draußen gehen, werden Kellers Tochter Anna und ihre Freundin Joy entführt. Als Keller und Joys Vater Franklin erkennen was ihren Töchtern geschehen ist, lässt die Ungewissheit einem das Blut in den Adern gefrieren. Zu ihrer Hilflosigkeit gesellt sich eine steigende Wut angesichts der Ermittlungen durch Polizist Loki. Es gelingt zwar, den Fahrer des Wohnwagens auszumachen, den Kellers Sohn Ralph kurz zuvor dort noch gesehen hat, doch auch wenn der Fahrer versuchte zu fliehen, es ist aus ihm nichts herauszubekommen. Mehr noch, er scheint geistig zurückgeblieben zu sein und nicht in der Lage, ein solches Verbrechen zu verüben.

Viele Thriller, die sich um Entführungen drehen, verraten den Zuschauern, wo die Opfer sind und was mit ihnen geschieht. In Prisoners sind wir in derselben Position wie Keller, Franklin und ihre Familien. Von Anna und Joy fehlt jede Spur, es gibt keine Lösegeldforderung und mit jeder Stunde, die verstreicht, wird es unwahrscheinlicher, die Mädchen zu finden. Wir erfahren nicht, wo sie festgehalten werden, oder ob sie überhaupt noch am Leben sind. Dass Alex, der Fahrer des Wohnmobils, schuldig ist, steht für Keller außer Frage. Und wir können ihm hier nur beipflichten: Das Gesamtbild dieses Mannes ist nicht stimmig. Er trägt eine Brille, die stilistisch aus den 1970er oder 80er Jahren stammt, es sind Gläser mit Leseteilen eingeschliffen, für die er 30 Jahre zu jung ist und neben seinem schmuddeligen Aussehen blitzt in seinen Augen durch, dass er etwas weiß, dass er Dinge gesehen oder getan hat. Die Polizei ist außer Stande, ihn zum Reden zu bringen, also greift Keller zum einzigen Mittel, das ihm bleibt.

Selbstjustiz ist, ganz egal welche Gründe man dafür vorbringen mag, immer falsch. Wer das Gesetz in die eigenen Hände nimmt, macht alle Rechtstaatlichkeit, jede moralische Wertvorstellung nutzlos. Doch gesetzten Fall, man wäre in Keller Dovers Situation, man wäre überzeugt, die Polizei ließe den Mann laufen, der die eigene Tochter entführt hat, würde man nicht ebenso handeln? Was wäre man bereit zu tun?

Noch bevor er ihn foltert, allein in dem Moment, da er Alex kidnappt, begibt sich Keller auf einen Pfad, von dem es kein Zurück mehr gibt, und an dessen Ende kein Happy End mehr stehen kann. Dass Hollywood allzu oft eine andere Sprache spricht, und sei es nur, um durch brutale Gewalt zu unterhalten, macht Prisoners nur umso wertvoller. Filmemacher Villeneuve stellt uns diese Fragen und zeigt, welch bodenloser Abgrund auf uns wartet, wenn wir uns von diesem Drang nach Selbstgerechtigkeit übermannen lassen. Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht, stattdessen beobachten wir den Untergang eines rechtschaffenen Mannes.

Die komplexe Geschichte stellt eine Vielzahl von facettenreichen und vielschichtigen Figuren vor. Das ereignisreiche Leben des von Jake Gyllenhaal eindringlich gespielten Polizisten Loki lässt sich anhand seiner Tattoos und seines Verhaltens ablesen, Joys Mutter Nancy zerbricht durch die unerträgliche Situation ebenso wie Kellers Frau Grace (erstklassig gespielt von Maria Bello). Und auch Franklin ordnet seine Bedenken der Sorge um seine Tochter unter. Es ist eine tragische Spirale für alle Beteiligten, am meisten für Alex Jones, dessen geschundene Figur Paul Dano brillant verkörpert.


Fazit:
Allein die plastische Eröffnungsszene ist der beste Beweis dafür, dass Regisseure ihre Bilder immer dreidimensional zusammenstellen und dafür keine unnützen Brillen notwendig sind. Die überlegten, komponierten Bilder des ergreifenden Films zählen zu den besten und ausdrucksstärksten, die das Genre gesehen hat.
Es gibt viele Momente in Prisoners, in denen einem heiß und kalt wird. Sowohl, wenn die Ohnmacht der Familien deutlich wird, aber auch wenn wir sehen, wie weit Keller bereit ist zu gehen, um seine Tochter zurückzuholen. Und umso mehr, wenn die Zusammenhänge der komplexen Story am Ende deutlich werden. Regisseur Denis Villeneuve erzählt das auf eine beklemmende Art und Weise, deren düstere, hoffnungslose Eigendynamik einen zittern lässt. Von der gesamten Ensemblebesetzung packend und preiswürdig gespielt, ist das anstrengend und nur für Erwachsene. Aber gleichzeitig ein hervorragendes, aufwühlendes und sehr sehenswertes Meisterwerk.