No Turning Back [2013]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 15. Mai 2015
Genre: DramaOriginaltitel: Locke
Laufzeit: 85 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2013
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung
Regie: Steven Knight
Musik: Dickon Hinchliffe
Darsteller: Tom Hardy, Olivia Colman, Ruth Wilson, Andrew Scott, Ben Daniels, Tom Holland, Bill Milner, Danny Webb, Alice Lowe
Kurzinhalt:
Am Abend bevor Bauleiter Ivan Locke (Tom Hardy) den größten und wichtigsten Auftrag seiner Karriere beaufsichtigen soll, setzt er sich ins Auto, um nach London zu fahren. Auf der Fahrt muss er seinen Vorgesetzten und Kollegen erklären, weswegen er am nächsten Tag nicht auf der Baustelle sein wird und was sie tun müssen, um den Auftrag glatt über die Bühne zu bekommen. Auch muss er seiner Frau erklären, weswegen er nicht zu ihr und den Kindern nach Hause fährt. Es ist eine Fahrt, während der sich für Ivan alles entscheidet ...
Kritik:
Wer sich als Beifahrer auf der Autobahn bei einem Blick in die Autos nebenan immer gefragt hat, was die Fahrer anderer Autos ständig über das Telefon zu klären haben, das nicht warten kann, bis sie am Ziel angekommen sind, der bekommt in No Turning Back eine eindrucksvolle und gleichzeitig packende Erklärung geliefert. Regisseur Steven Knight erzählt seinen Film beinahe in Echtzeit während der eineinhalbstündigen Fahrt von Birmingham nach London, bei der das Leben der Hauptfigur Ivan Locke in sich zusammenzustürzen droht.
Locke ist Bauleiter und soll am nächsten Tag die größte europäische Fundamentlegung beaufsichtigen – den Termin wird er jedoch nicht wahrnehmen können, da er unerwartet nach London fahren muss. Auf dem Weg dorthin muss Locke eine Reihe von Anrufen tätigen: Zu seinem Vorgesetzten Gareth, seinem Kollegen Donal, der ihn am kommenden Tat vertreten muss und seiner Frau Katrina mit den beiden Söhnen. No Turning Back spielt bis auf einen kleinen Moment zu Beginn ausschließlich während Ivans Fahrt nach London und Ivan Locke ist die einzige Person, die im ganzen Film gezeigt wird.
Das Konzept erinnert an Buried - Lebend begraben [2010], in dem die Hauptfigur in einem Sarg begraben aufwacht und nur wenig Zeit hat, Hilfe zu organisieren. Fesselte jener Film durch die immer größer werdende Verzweiflung seiner Hauptfigur und die Ausweglosigkeit der Situation, scheint das Drama in No Turning Back sehr viel "normaler". Kurz nachdem sich Bauleiter Locke ins Auto gesetzt hat, steht er an einer Ampel, den Blinker nach links gesetzt – als er durch das Hupen eines Lkw aus seinen Gedanken gerissen wird, setzt er den Blinker nach rechts und biegt ab. Es ist der Moment, der alles für ihn entscheidet, auch wenn ihm das nicht bewusst ist. Die Autobahn, die nur in eine Richtung führt, steht dafür, dass ihm keine Alternativen bleiben, sobald er den Weg einmal eingeschlagen hat, auch wenn er der Meinung ist, er könne alles gerade biegen, was aus den Fugen geraten ist.
Der Grund, weshalb Ivan statt nach Hause nach London fährt, enthüllt Knight gleich zu Beginn, auch wenn ich ihn hier nicht verraten werde. Geprägt von Erfahrungen seiner Jugend hat er sich für einen Weg entschieden und bemüht sich in den Telefongesprächen, alles richtig zu machen, auch wenn es ihn alles kosten wird, was ihm im Leben etwas bedeutet.
Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist dabei Tom Hardy, der sich in den letzten 15 Jahren als einer der wandlungsfähigsten und überraschendsten Darsteller seiner Generation profiliert hat. No Turning Back lässt ihn kaum einen Moment aus den Augen und zuzusehen, wie er einem Jongleur gleich versucht, die unterschiedlichen Gespräche, die er führt, im Gleichgewicht zu halten, nur um festzustellen, dass sie ihm allesamt entgleiten, ist bemerkenswert. Über die eineinhalb Stunden sehen wir ihn müde werden, wütend, traurig und hoffnungsvoll, bis er an dem Punkt ankommt, dass er sein Schicksal schlicht akzeptiert. Es ist eine Charakterisierung, die treffender nicht gespielt werden kann.
Wer bei Steven Knights Film jedoch einen mitreißenden Thriller erwartet, wird enttäuscht werden. Er zieht sein Momentum aus den Gesprächen und der Entwicklung seines Protagonisten. Es geht nicht um Leben oder Tod, sondern um Lockes Leben, das ihm Stück für Stück entgleitet. Als ruhiges Drama, als Charakterstudie und filmisches Experiment zugleich, das nur an einem Ort und als Ein-Personen-Stück zugleich funktioniert, ist es jedoch sehr sehenswert.
Fazit:
Zu Beginn glaubt und hofft Ivan Locke noch, dass sein Leben am Tag darauf noch so sein kann wie am Tag zuvor. Schnell muss er jedoch feststellen, dass er sich nur etwas vormacht. Sein Arbeitgeber stellt ihn vor die Wahl, umzukehren, oder seinen Job zu verlieren und in den Gesprächen mit seiner Frau wird die Situation zunehmend auswegloser. Macht sein Sohn angesichts des verpassten Fußballspiels den Vorschlag, dass sie gemeinsam die Aufnahme ansehen und so tun können, als wäre nichts passiert, als wüssten sie nicht, wie es ausgeht, steht dies sinnbildlich für Ivans Situation insgesamt.
Steven Knight erzählt ein Drama aus der Perspektive seiner Hauptfigur mit einem Gespür für Bilder, deren Unschärfen und Perspektiven über Spiegel oder durch spiegelnde Scheiben ebenso Lockes Gedankenwelt repräsentieren, wie Tom Hardys großartige Darbietung. Seine preiswürdige Verkörperung macht No Turning Back zu einem packenden, interessanten Drama und hört man ihn seinen letzten, kurzen Satz im Film sagen, dann schwingt darin mit, dass Ivan weiß, dass nach dieser Nacht nichts so sein wird, wie es war.