Nightmare Alley [2021]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 27. März 2022
Genre: Drama / Krimi / ThrillerOriginaltitel: Nightmare Alley
Laufzeit: 150 min.
Produktionsland: USA / Mexiko / Kanada
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: Guillermo del Toro
Musik: Nathan Johnson
Besetzung: Bradley Cooper, Cate Blanchett, Rooney Mara, Toni Collette, Willem Dafoe, Richard Jenkins, Ron Perlman, Mary Steenburgen, David Strathairn, Mark Povinelli, Peter MacNeill, Holt McCallany, Lara Jean Chorostecki, Clifton Collins Jr., Tim Blake Nelson
Kurzinhalt:
Es ist das Jahr 1939, als sich Stanton „Stan“ Carlisle (Bradley Cooper) einem Wanderjahrmarkt mit all seinen Attraktionen anschließt. Tätig ist er nur für Hilfsarbeiten und wird auf Grund seiner verschlossenen Art von Clem (Willem Dafoe) ebenso in die Geheimnisse der Zunft eingeweiht, wie von Pete (David Strathairn), der als Mentalist lange erfolgreich war, ehe er eine Grenze überschritt, die er nie hätte überschreiten dürfen. Seither muss seine Frau Zeena (Toni Collette) mitansehen, wie Pete sich zunehmend dem Alkohol hingibt. Er lehrt Stan seine größten Tricks und eines Tages entschließt Stan, sich mit Molly (Rooney Mara) als seine Assistentin selbständig zu machen. Sie sind überaus erfolgreich, auch wenn Molly die romantische Vorstellung ihres Zusammenseins zwei Jahre später aufgegeben hat. Als Stan bei einer Vorstellung auf die Psychologin Lilith (Cate Blanchett) trifft, die mit dem Mann ihrer Patientin die Show besucht, wähnt Stan in ihr eine Gleichgesinnte und in ihrer Begleitung jemanden, dem er mit einer privaten Show als Mentalist etwas Geld entlocken kann. Er begibt sich damit auf einen Pfad, der ihn immer weiter in die Dunkelheit führt …
Kritik:
So einzigartig und sehenswert zahlreiche seiner bisherigen Filme bereits gewesen sind, mit der Adaption des aus dem Jahr 1946 stammenden, gleichnamigen Romans von William Lindsay Gresham, der zuvor als Der Scharlatan [1947] bereits verfilmt wurde, präsentiert Regisseur Guillermo del Toro seine beste Arbeit bislang. Nightmare Alley ist ein handwerklich ebenso fabelhaft umgesetzter wie opulent ausgestatteter Film, der seine zentrale Figur so präzise seziert, dass die letzten Momente eine ergreifende Tragik entfalten.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1939, als sich Stan Carlisle einem Wanderrummel anschließt. Dass er vor etwas wegläuft, belegen die ersten Momente, in denen er ein Haus mit einer Leiche darin abbrennt. Wovor genau, kann ein aufmerksames Publikum zwar erahnen, ausgesprochen wird der Aspekt jedoch erst spät im Film. Der Rummel ist übersäht mit „Attraktionen“, großen oder kleinen Menschen, Wahrsagerinnen und einem sogenannten Geek, der von Clement angekündigt wird als eine Mischung aus Mensch und Tier. Ausgemergelt und verwahrlost, wird diese Person in einem Käfig gehalten und verspeist vor den begierigen Augen des sich zivilisiert glaubenden Publikums ein Tier bei lebendigem Leib. Weshalb Nightmare Alley insbesondere in der ersten Stunde ein solches Augenmerk auf diesen Teil der Geschichte legt, wird am Ende deutlich. Im Grunde steht nämlich eine ganz andere Figur im Zentrum: Stan, der gerade auf Grund seiner Geheimnisse ein Meister darin ist, anderen etwas vorzuspielen. Zusammen mit Molly macht er sich als Mentalist selbständig und das überaus erfolgreich. Bis eines Abends der Richter Charles Kimball zusammen mit der Psychologin Lilith Ritter im Publikum sitzt, der auf der Suche nach einem Abschluss in Folge eines schrecklichen Verlusts ist.
Doch auch dies ist nur eine Überleitung zu einer weiteren Begegnung, die Stans Schicksal prägt, der zunehmend dem verfällt, wovor ihn Pete Krumbein warnte, der ihn die Kunst lehrte, die er anwendet: Wer lange genug betrügt, glaubt irgendwann wirklich, er hätte die Fähigkeiten, die er anderen nur vorspielt. In dem Sinn scheinen sich mit Stan und Lilith zwei Figuren desselben Schlags zu begegnen, wobei sich Nightmare Alley lange Zeit lässt, eine der beiden die Oberhand gewinnen zu lassen. Anstatt eine von Beginn an klar definierte Geschichte zu erzählen, bei der die Charaktere ein Ziel erreichen, zu einem Ort gelangen wollen, folgt Regisseur Guillermo del Toro dem zu Beginn überaus schweigsamen und ebenso lernbegierigen Stan, der als Mentalist die Rolle seines Lebens findet, aber auf der Suche nach immer mehr Geld Fehler zu machen beginnt, die nicht nur ihn ins Unglück stürzen. So gelungen der Kreis ist, den die Geschichte dabei in mehrerlei Hinsicht zieht, sie wirkt auf Grund ihrer Struktur episodenhaft, als würde sich Stan ständig neue Ziele setzen, die er zu erreichen sucht.
Eingefangen wie ein Neo-Noir-Thriller, ist die Optik eine wahre Wucht. Die weitläufigen Areale und Bauten, die Kostüme und Ausstattung, besitzen einen ganz eigenen Charakter und tragen zu der ebenso unheilvollen wie Extravaganz verströmenden Stimmung einen immensen Teil bei. Handwerklich ist Nightmare Alley ein herausragendes Erlebnis mit einer fantastischen Farbgebung und einer geradezu greifbaren Atmosphäre. Das überträgt sich auch auf die Besetzung, die namhafter kaum sein könnte, die aber auch die unterschiedlichen Ansätze ihrer Rollen erstklassig zur Geltung bringt. Bradley Cooper gelingt es bemerkenswert, Stans Werdegang greifbar werden zu lassen, ohne dass er früh wie der Bösewicht seiner eigenen Geschichte auftritt. Als mysteriöse Frau, die ihre eigenen Pläne verfolgt, gelingt es Cate Blanchett, die vielen undurchschaubaren Facetten ihres Charakters anklingen zu lassen, ohne dass man Ende wirklich etwas gesichert über sie wissen würde. Die knisternde Atmosphäre, was alles unausgesprochen bleibt zwischen ihnen, ist so gelungen wie ihre Dialoge.
Von einem ebenso talentierten wie engagierten Cast unterstützt, sind es die beiden zentralen Figuren, die bei Nightmare Alley das Interesse des Publikums wecken. Bei Stan, da man sich fragt, wie lange er sein Kartenhaus aufrechterhalten kann, ehe er sich als der Betrüger, der er ist, übernimmt. Bei Lilith, weil man stets erahnt, dass sie mehr im Schilde führen muss, als dies auf den ersten Blick erkennbar ist. Kommen diese beiden Aspekte zusammen, beginnen die spürbar packenden letzten 45 Minuten. Bis es soweit ist, baut Regisseur del Toro seine Figuren auf, entwirft eine Welt voll Glamour und Abgründen. Das gelingt ihm so gut, dass es ein faszinierend einnehmendes Erlebnis ist, sich darauf einzulassen. Das bedeutet nicht, dass man die Geschichte nicht hätte straffer erzählen können. Auch sind manche Momente länger, als sie womöglich sein müssten. Ob aber die Wirkung des Endes so wäre, wie sie ist, hätte sich der Filmemacher für eine andere Herangehensweise entschieden, steht auf einem anderen Blatt.
Fazit:
Dass Nightmare Alley bei seiner kurzen Zeit in den Lichtspielhäusern kein großer Erfolg war, ist zwar keine Überraschung, aber umso mehr bedauerlich. Anstatt bekannte Geschichten fortzusetzen, präsentiert Filmemacher Guillermo del Toro eine „frische“ Story, die mit sichtlichem Aufwand und vielen Stars beeindruckend zum Leben erweckt ist. Kostüme und Bauten sind nicht nur hervorragend, sondern in fantastischen, stimmungsvollen Bildern eingefangen. Dass das Ergebnis ganz eindeutig die Vision des Filmemachers darstellt, kann man nicht übersehen. Er nähert sich seiner differenzierten Charakterzeichnung mit einem behutsamen Aufbau, die, obwohl sie Vieles im Unklaren belässt, doch ein eindeutiges Bild ihrer Hauptfigur liefert, und entblättert Stan auf eine so packende wie tragische Weise. Dass er dabei einen Krimiaspekt nur andeutet, anstatt ihn zu verfolgen, ist seine Entscheidung, die einem auch nicht unbedingt gefallen muss. Ebenso wenig die episodenhafte Struktur der Erzählung. Als die Geschichte, die er erzählen möchte, ist Nightmare Alley ein Meisterstück und die Beobachtungen des Filmemachers beim körperlichen wie charakterlichen Zerfall seiner Figuren sind so facettenreich wie die düsteren Aspekte der luxuriösen Ausstattung, bei denen man nie sicher sein kann, wer einen nicht aus ihren Schatten heraus beobachtet. Das eignet sich nur für ein bestimmtes Publikum, das jedoch kann sich hier regelrecht verlieren – und wird die letzte Einstellung lange nicht vergessen.