Memorial Hospital - Die Tage nach Hurrikan Katrina [2022]

Wertung: 6 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 12. November 2022
Genre: Drama

Originaltitel: Five Days at Memorial
Laufzeit: 376 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: John Ridley, Carlton Cuse, Wendey Stanzler
Musik: Torin Borrowdale
Besetzung: Vera Farmiga, Cherry Jones, Cornelius Smith Jr., Robert Pine, Adepero Oduye, Julie Ann Emery, Michael Gaston, Molly Hager, W. Earl Brown, Stephen Bogaert, Darrin Baker, Ted Atherton, Tammy Isbell, Katie Boland, Deborah Hay


Kurzinhalt:

Am 29. August 2005 bricht Hurrikan Katrina über den US-Bundesstaat Louisiana herein. New Orleans wird schwer getroffen, große Teile der Stadt und des Umlands überflutet. Fünf Tage später, nachdem das Memorial Hospital evakuiert wurde, werden dort in der Kapelle insgesamt 45 Leichen entdeckt, Patientinnen und Patienten, die die Katastrophe selbst, aber nicht die Tage danach überlebt haben. Auf Geheiß des Generalstaatsanwalts ermittelt der erfahrene Arthur Schafer (Michael Gaston) in dem Fall und interviewt zusammen mit Virginia Rider (Molly Hager) Krankenhauspersonal und Hinterbliebene wie Betroffene, um zu verstehen, was in den fünf Tagen des Ausnahmezustands im Krankenhaus geschehen ist. Dabei schildert ihnen die Leiterin Susan Mulderick (Cherry Jones), wie unvorbereitet die Einrichtung auf diese Katastrophe war, Dr. Horace Baltz (Robert Pine) hingegen, dass Entscheidungen getroffen wurden, die nie hätten getroffen werden dürfen. Der junge Dr. Bryant King (Cornelius Smith Jr.) erzählt davon, welch unaussprechliche Dinge sich ereignet haben, während die Leiterin der Pflegeeinrichtung LifeCare, Diane Robichaux (Julie Ann Emery), der Verlust eines Teils ihrer Patienten nicht loslässt. Ins Zentrum der Ermittlungen gerät Dr. Anna Pou (Vera Farmiga) und der kaum vorstellbare Vorwurf, dass das Leben zahlreicher Gestorbener bewusst beendet wurde …


Kritik:
Basierend auf dem 2013 erschienen Buch von Journalistin Sheri Fink erzählt die Miniserie Memorial Hospital - Die Tage nach Hurrikan Katrina in geradezu dokumentarischer Detailgenauigkeit die Ereignisse nach, die sich im August und September 2005 in New Orleans im Titel gebenden Krankenhaus abspielten und an deren Ende 45 Patientinnen und Patienten die Naturkatastrophe nicht überlebten. Wenn es nur eines gibt, das man dieses Jahr gesehen haben sollte, dann dies. So grausam und schwer auszuhalten es auch ist.

Die Bilder der Verwüstung, die Hurrikan Katrina seinerzeit über die Vereinigten Staaten und New Orleans im Speziellen brachte, haben sich bei denen, die damals die Berichterstattung verfolgten, eingebrannt. Das Bangen um die 10.000 Menschen, die im Louisiana Superdome Zuflucht gesucht hatten, hielt die Welt in Atem und die Eindrücke vollkommen zerstörter Landschaften sorgte für Entsetzen. Berichte über das Geschehen im Memorial Hospital waren hierzulande auch im Nachgang zu Hurrikan Katrina eher selten. Dabei könnten die Lehren und Warnungen, welche die Verantwortlichen John Ridley und Carlton Cuse in der achtteiligen Miniserie vorstellen, wichtiger und aktueller kaum sein. Die ersten fünf Episoden stellen die Geschehnisse der ersten fünf Tage vor: Wie sich das Krankenhauspersonal darauf vorbereitet, dem mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 280 km/h heranpeitschenden Sturm zu begegnen, wie unterschiedlich die tragenden Figuren sind und wie verschiedenartig die Bedürfnisse der Patienten. Zumal im obersten Stockwerk des Krankenhauses die Pflegeeinrichtung LifeCare untergebracht ist, deren Patientinnen und Patienten nochmals erhöhte Aufmerksamkeit benötigen. Am zweiten Tag, als der Sturm weitergezogen ist, glaubt das Personal gar noch, es hätte das Schlimmste überstanden. Die Beschädigungen am Krankenhaus sind überschaubar und trotz der überfluteten Straßen hat das Memorial weiterhin Strom. Bis am dritten Tag die Deiche brechen und die Stadt massiv überflutet wird.

Was dann geschieht und wie es dazu kommt, dass am Ende der fünf Tage, ehe das Krankenhaus evakuiert wird, 45 Menschen in Obhut der Krankenhausangestellten gestorben sind, ist schwer in Worte zu fassen. Vor allem deshalb, weil es den Glauben an die Menschheit an sich auf den Prüfstand stellt. Memorial Hospital - Die Tage nach Hurrikan Katrina rahmt die einzelnen Episoden mit Interviews ein, die Arthur „Butch“ Schafer and Virginia Rider mit der Belegschaft und Hinterbliebenen durchführen. Schafer, ein Ermittler der Medicaid Betrugseinheit, wurde vom Generalstaatsanwalt von Louisiana damit beauftragt, den Tod der Patientinnen und Patienten zu untersuchen. Es ist eine Untersuchung, die auch die beiden ermittelnden Personen an ihre Grenzen bringt. Konzentrieren sich die ersten fünf Episoden auf die Geschehnisse im Krankenhaus und die kaum vorstellbaren Bedingungen, denen sich die Menschen dort gegenübersahen, verlagern die letzten drei Episoden den Blick und bringen das Publikum damit in eine ungewohnte und mitunter auch unangenehme Position.

Wähnte man sich zuvor beispielsweise an der Seite von Krankenhausleiterin Susan Mulderick, die unvorbereitet und ohne entsprechende Notfallpläne mit einer Herkulesaufgabe betraut wurde, ein Krankenhaus, das Schutzsuchenden Unterschlupf gewährt hat, ohne Versorgung oder Strom am Leben zu erhalten, während gar nicht absehbar ist, ob und wenn ja, wann sie evakuiert werden können, wird man im Nachgang zu jener Distanz gezwungen, in der man sich wiederfindet, wenn man über die Ereignisse nur aus den Nachrichten erfährt. Dann nämlich, mit Abstand und in der luxuriösen Position, besonnen auf das Geschehene zurück zu blicken, mag man in vielerlei Hinsicht zu anderen Ergebnissen und Entscheidungen gelangen. In der Hitze des Moments jedoch, erscheinen die Handlungen der Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte sowie sämtlicher Beteiligter in jenem Krankenhaus auf eine Art und Weise heldenhaft, wie man sich selbst nur wünschen könnte, man würde handeln können in einer solchen Situation. Wenigstens, bis sich das Blatt am dritten Tag wendet und in den letzten beiden Tagen Entscheidungen getroffen werden, die einen fassungslos zurücklassen.

Memorial Hospital - Die Tage nach Hurrikan Katrina gibt verschiedenen Beteiligten eine Stimme, stellt Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen ebenso vor wie die Belegschaft. Zu sehen, wie diese in den ersten Tagen über sich hinauswächst, wie alle zusammenarbeiten, um einer lebensbedrohenden Katastrophe zu begegnen, ist inspirierend. So erschreckend es im gleichen Moment ist, mitanzusehen, wie wenig vorbereitet man auf bestimmte Ereignisse war, oder dass der Träger des Krankenhauses aus finanziellen Aspekten heraus eine Evakuierung der Pflegebedürftigen von LifeCare ablehnt, denen man ja nicht verpflichtet sei. Dieser strukturellen Inkompetenz, dem Unvermögen, alles Menschenmögliche für Schutzbedürftige zu tun, steht das Engagement einzelner gegenüber, die Überlebensgroßes leisten. Aber so einnehmend dieses alltägliche Heldendasein, das so oft übersehen wird, so grausam und erschreckend ist es mitanzusehen, wie diese Ordnung in den letzten Tagen in sich zusammenfällt. Dann, wenn das Personal angewiesen ist, Triagebänder zu verteilen, zu entscheiden, wer gerettet werden kann, und wer nicht – um letztlich darüber zu urteilen, dass kein lebender Patient zurückgelassen wird.

Kann man in den ersten Stunden nur den Kopf schütteln in Anbetracht der übermenschlichen Anstrengungen der Personen, die Patientinnen und Patienten über Treppenhäuser und improvisierte Durchreichen bis auf einen Helikopterlandeplatz tragen, macht einen das Schweigen, die stille Akzeptanz im Anschluss nur umso fassungsloser. Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass die alleinige Vorstellung dessen, was sich in diesem Krankenhaus abgespielt hat, einem nahegeht und regelrecht verfolgt. Memorial Hospital - Die Tage nach Hurrikan Katrina erweckt ein Drama zum Leben, das umso mehr berührt, da hier nicht überspitzt dargestellt werden muss. Im Gegenteil. So schlimm es ist, all dies zu sehen, es ist kein Vergleich dazu, wie es sich in diesen Momenten dort angefühlt haben muss, ohne jegliche Perspektive auf Rettung. Die Verantwortlichen fangen das Geschehen dabei nicht reißerisch ein, auch werden die Beteiligten nicht offen für ihre Handlungen verurteilt. Vielmehr unterstreicht die Serie, wie unterschiedlich die Wahrnehmung in dieser Ausnahmesituation bei den Personen gewesen ist. Zurückhaltend, pietätvoll und gleichzeitig mit einer Unnachgiebigkeit in Szene gesetzt, unterlegt mit wirklichen Aufnahmen der damals überfluteten Stadt und Nachrichtenausschnitten, ergibt dies eine geradezu dokumentarische Atmosphäre, eingeläutet von einem Vorspann, der sich wie ein Klagelied anhört.

Dies auch dank der Besetzung, deren Darbietungen durchweg unter die Haut gehen. Michael Gaston schlüpft in eine der intensivsten Rollen seiner Karriere, Cherry Jones und Cornelius Smith Jr. sind wie auch Robert Pine, Adepero Oduye und Julie Ann Emery auf eine einnehmende Weise getroffen. Ankerpunkt ist jedoch Vera Farmiga in der Rolle von Dr. Anna Pou. Ihre Wandlung wirkt lange nach, es ist eine Tour de Force, die in einem entrückten Selbstbildnis gipfelt, das schockiert. So findet Memorial Hospital - Die Tage nach Hurrikan Katrina eines nicht: Einen zufriedenstellenden Abschluss. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie es den Betroffenen erst ergehen muss.


Fazit:
Mit sichtlichem Aufwand und einer geradezu erschreckend dokumentarischen Detailtreue erzählen die Verantwortlichen in Memorial Hospital - Die Tage nach Hurrikan Katrina eine Tragödie nach, die viele Gesichter hat. Weshalb es notwendig ist, sich dieses wirkliche Drama vor Augen zu führen, führt eine Figur am Ende treffend aus: Um zu lernen und um sicherzustellen, dass sich so etwas nie wiederholt. Das macht das Gezeigte nicht einfacher, weder den Überlebenskampf zu Beginn, noch die erschreckenden Vorkommnisse, die darauf folgten. Die Aufarbeitung mit ihren Höhen und Tiefen beschäftigt hier nicht nur die durchweg hervorragend gespielten Figuren, sie wirkt auch beim Publikum nach. Die Miniserie deckt eine Bandbreite ab, die man sich kaum vorstellen kann, von inspirierend heldenhaftem Einsatz der Betroffenen, die um ihr eigenes und das Überleben der Patientinnen und Patienten kämpfen, bis hin zu den dunkelsten Momenten menschlichen Daseins, die man sich in der Form gar nicht ausmalen kann. Berührend, schockierend und durchweg fesselnd, ist das mehr als wichtig. Ein Wissen und Verständnis um diese Ereignisse ist überlebenswichtig. Nur dann kann man daraus lernen. So schwierig es auch ist, sich dem zu stellen.