Lola [2022]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 1. Dezember 2023
Genre: Science Fiction / Kriegsfilm

Originaltitel: LOLA
Laufzeit: 79 min.
Produktionsland: Irland / Großbritannien
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Andrew Legge
Musik: Neil Hannon
Besetzung: Emma Appleton, Stefanie Martini, Rory Fleck Byrne, Aaron Monaghan, Shaun Boylan, Hugh O’Conor, Philip Condron


Kurzinhalt:

Die Schwester Thomasina „Thom“ Hanbury (Emma Appleton) und Martha „Mars“ (Stefanie Martini) erfinden Ende der 1930er-Jahre ein Gerät, das Funkwellen aus der Zukunft empfangen kann. Sowohl Bilder als auch Töne. LOLA, wie sie die Erfindung taufen, ermöglicht ihnen einen Blick in eine faszinierende und erstrebenswerte Welt. Bis der Schrecken des Zweiten Weltkriegs über Europa hereinbricht. Als sich verheerende Angriffe auf ihre Heimat Großbritannien abzeichnen, nutzen sie die Nachrichtensendungen aus der Zukunft, um betroffene Regionen zu warnen. Lange bleiben sie unentdeckt, bis das britische Militär in Form von Lieutenant Holloway (Rory Fleck Byrne) und Major Cobcroft (Aaron Monaghan) sie aufspüren. Zusammen mit den Informationen aus dem Militärfunk können sie den Kriegsverlauf entscheidend beeinflussen. Doch als Mars Holloway näherkommt und ihm Bilder der ferneren Zukunft zeigen will, muss sie feststellen, dass sich diese geändert hat. Während Thom bereit ist, den Verlauf der Geschichte nachhaltig zu beeinflussen, beginnt Mars zu zweifeln. Doch dann kommt es zu einer fatalen Fehleinschätzung, die die gesamte Geschichte umschreibt …


Kritik:
Andrew Legges Lola verbindet die bekannte Frage des Science Fiction-Genres, ob man die Zukunft ändern sollte, wenn man weiß, was für schreckliche Dinge passieren werden, mit einem Found Footage Film, angesiedelt in einer alternativen Realität während des Zweiten Weltkriegs. Was sich schwer vorstellbar anhört, ist überaus clever gelöst und trotz des ein oder anderen Anachronismus passend in Szene gesetzt. Nicht zuletzt dank der kompakten Laufzeit ist es ein Film, dessen Themen einen noch beschäftigen, wenn der Abspann längst zu Ende ist.

Texttafeln zu Beginn und am Ende deuten an, dass das Gezeigte auf einer Filmrolle entdeckt worden sei, die aus dem Jahr 1941 stammt. Der darauf aufgenommene Film wird von Martha „Mars“ Hanbury durchgehend erzählt, die sich darin an ihre Schwester Thomasina, genannt Thom, richtet. Inspiriert von ihrem Vater, der Erfinder war, haben sie sich von klein auf gefragt, ob wenn Funkwellen so gut wie nicht zerfallen, man also Signale aus der Vergangenheit empfangen kann, dasselbe nicht auch für Funkwellen aus der Zukunft gilt? Zusammen haben sie ein die Welt veränderndes Gerät gebaut, LOLA. Als es am 1. Oktober 1938 in Südengland zum ersten Mal angeschaltet wird, entworfen von Mars, gebaut von Thom, eröffnet es ihnen einen Blick in ein unbekanntes Land: Die Zukunft. Sie hören Musik, die für Jahrzehnte nicht gespielt werden wird, sehen Modetrends und Nachrichten, die ihre Vorstellungen übersteigen. Doch mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs ändert sich ihr Blick in eine hoffnungsvolle, zukünftige Welt. Für Thom und Mars steht fest, dass sie die Fähigkeiten von LOLA für alle Menschen einsetzen müssen. Als „Engel von Portobello“ beginnen sie, anonym Meldungen künftiger Bombardements zu verbreiten. Sie retten unzählige Leben und als das Militär in Form von Lieutenant Holloway und Major Cobcroft sie ausfindig macht, wird LOLA zur militärischen Aufklärung eingesetzt.

Es ist faszinierend zu sehen, wie nach Regisseur Legge solche Informationen den Verlauf des Krieges beeinflusst haben könnten. Nicht nur, dass es Großbritannien gelingt, die Angriffe der Luftwaffe abzuwehren, auch die Marine der Nazis ist nicht mehr unbesiegbar. Doch mit ihren Einblicken in die unmittelbare Zukunft und der Anpassung der Kriegsführung, verändern Thom und Mars den weiteren Verlauf der Dinge. Was, wenn aus taktischen Gründen zivile Opfer in Kauf genommen werden, wie Thom es vorschlägt? Wie viele Menschenleben sind ethische Bedenken wert? Lola lässt Thom und Mars unterschiedliche Auffassungen vertreten. Während Thom eine präzise Strategin ist, die nie die Anerkennung für ihre Taten erhält, die Cobcroft vorbehalten ist, wird Mars, die sich zunehmend in Holloway verliebt, wie auch er in sie, von den Konsequenzen der Nutzung LOLAs zunehmend erdrückt. Ein veränderter Kriegsverlauf bedeutet aber nicht nur, dass Allianzen womöglich nicht geschlossen werden, die ansonsten geschlossen worden wären, sondern dass ganze Generationen von Menschen nicht die Leben leben werden, die im Grunde für sie bestimmt waren.

Mit den besten Absichten eingesetzt, im Falle von Thom sogar, um die „perfekte“ Gesellschaft zu erzeugen, in der es keine Verbrechen, keine Unfälle oder Verarmung der Menschen auf Grund falscher Entscheidung von Politikerinnen und Politikern mehr geben muss, bewirkt LOLA letztlich das genaue Gegenteil. Das in dokumentarischer Form zum Leben erweckt zu sehen, verleiht dem Gezeigten eine unerwartete Authentizität, eine greifbare Qualität, die einen von einer beobachtenden Rolle heraus zu jemandem macht, der das Gesehene auch einordnen und bewerten soll. Lola behält sich durchgehend den Stil eines mit einer Handkamera der damaligen Zeit aufgenommenen Films bei, zusammen mit Verschmutzungen, Unschärfen oder überstrahlenden Flächen. Der Look ist überaus gelungen und wird durch zahlreiche Einblendungen von tatsächlichen Nachrichtenbeiträgen ergänzt, bei denen der geänderten Zeitlinie Rechnung getragen wird. Bedenkt man dabei das Budget des unabhängig produzierten Films, ist das Ergebnis, zusammen mit der Ausstattung und den überwiegend unauffälligen Trickeffekten umso bemerkenswerter.

Dass die Erzählung am Ende erneut zum Element des Found Footage Films zurückfindet, rundet die Rahmenhandlung überdies ab und unterstreicht, wie kompakt die dystopische Erzählung ausgearbeitet ist. Sowohl Stefanie Martini als auch Emma Appleton erwecken die zwei unterschiedlichen Schwestern, deren Ziele zunehmend auseinanderdriften, gelungen und durchaus packend zum Leben, der Detailgrad der historischen Verknüpfungen ist es aber, der bei Lola am stärksten in Erinnerung bleibt. Lässt man sich auf die Erzählung ein, präsentiert der ungewöhnliche und stilistisch tadellos umgesetzte Film eine so faszinierende wie zum Nachdenken anregende Geschichte. Ob der Stil für die Charakterisierungen die beste Wahl ist, sei dahingestellt, zumal es zum Ende hin viele Aufnahmen gibt, die es so gar nicht geben könnte. Ungemein einnehmend ist es in jedem Fall.


Fazit:
Könnte ein Blick in die Zukunft uns letztlich daran hindern, in eben diese Richtung zu gehen, oder würde er letztlich nur noch Schlimmeres hervorrufen? Das Gedankenexperiment, das hinter Andrew Legges Science Fiction-Story steckt, ist so verlockend wie die Beantwortung schwierig. Angesiedelt in einer der schrecklichsten Zeiten der modernen Menschheitsgeschichte, ist der Impuls umso größer, die Geschichte zu beeinflussen, um das größtmögliche Leid zu verhindern. Die Absichten von Thom und Mars sind ehrenwert. Umso ernüchternder, in welche Richtung sich die Ereignisse entwickeln. Dabei will man gar nicht davon ausgehen, was geschehen könnte, wenn eine solche Technologie in die falschen Hände fällt. Lola ist ein inhaltlich ebenso faszinierender wie stimmungsvoll umgesetzter Film, dessen Ideen und ihre Auswirkungen einen nachhaltig beschäftigen. Handwerklich beeindruckend und mit vielen der Zeit angemessenen Elementen versetzt, ist das einfallsreiches Geschichtenerzählen, wie man es sich besser kaum vorstellen kann. Klasse!