Keine Zeit zu sterben [2021]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 29. September 2021
Genre: Action / Thriller / Drama

Originaltitel: No Time to Die
Laufzeit: 163 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Cary Joji Fukunaga
Musik: Hans Zimmer
Besetzung: Daniel Craig, Léa Seydoux, Rami Malek, Lashana Lynch, Ralph Fiennes, Christoph Waltz, Ben Whishaw, Naomie Harris, Jeffrey Wright, Ana de Armas, Billy Magnussen, David Dencik, Rory Kinnear


Kurzinhalt:

Nachdem James Bond (Daniel Craig) und Madeleine Swann (Léa Seydoux) von ihrer Vergangenheit eingeholt wurden, lebt Bond jahrelang zurückgezogen und allein im Ruhestand. Bis CIA-Agent Felix Leiter (Jeffrey Wright) an ihn herantritt mit der Bitte, einen entführten Wissenschaftler zu finden. Dieser ist in den Diebstahl einer verheerenden Bio-Waffe verwickelt und soll in Kuba bei einem Treffen der Verbrecherorganisation „Spectre“ zugegen sein, das Bond zusammen mit der Agentin Paloma (Ana de Armas) infiltriert. Ihm stellt sich die MI6-Spionin Nomi (Lashana Lynch) in den Weg, inzwischen die Agentin mit der Nummer 007. Wie es scheint, ist MI6-Leiter M (Ralph Fiennes) in die Entstehung jener Waffe verwickelt und so bleibt Bond keine Wahl, als ein letztes Mal in den Geheimdienst Ihrer Majestät einzutreten. Für eine Spur zu dem Verantwortlichen hinter dem Diebstahl, Lyutsifer Safin (Rami Malek), sucht James Ernst Blofeld (Christoph Waltz) auf. Doch Safin und Bond verbindet mehr, als letzterer ahnt und mehr als bei dieser Mission stand für James nie auf dem Spiel …


Kritik:
Mit beinahe zwei Jahren Verspätung, zum größten Teil nach Verschiebungen auf Grund der Corona-Pandemie, kommt James Bond 007 - Keine Zeit zu sterben endlich in die Lichtspielhäuser. Dass es der letzte Auftritt von Daniel Craig in der Rolle des britischen Geheimagenten im Dienste Ihrer Majestät sein würde, war lange bekannt und auch, dass Filmemacher Cary Joji Fukunaga, dessen Spielfilmdebüt Sin Nombre - Zug der Hoffnung [2009] ihm zahlreiche Preise beschert hat, einen Abschluss für diese Interpretation der Figur inszenieren würde. Der 25. Film der langlebigen Agenten-Reihe ist dabei ein überlanger und sehr lauter Action-Thriller geworden, der viele Elemente der frühen Filme aufgreift, gleichzeitig aber Wege geht, die Bond-Filme noch nie beschritten haben.

Waren die bisherigen Teile der Reihe inhaltlich eher lose miteinander verbunden, änderte sich das mit Craigs Einstand Casino Royale [2006], dessen Nachfolger Ein Quantum Trost [2008] gewissermaßen Minuten später anschloss. Die Geschichte von Skyfall [2012] scheint auf den ersten Blick zwar losgelöst, gehört jedoch zum großen Gesamtbild, das in Spectre [2015] einen Namen bekam. Keine Zeit zu sterben greift dessen Ende nach einem kurzen Rückblick in Madeleines Kindheit wieder auf und zeigt James Bond mit Madeleine Swann, die in ihrem Glück sowohl von ihrer als auch von seiner Vergangenheit wieder eingeholt werden. Nach einem zeitlichen Sprung fünf Jahre später, ist James im Ruhestand – und allein. Bis ihn der CIA-Agent Felix Leiter bittet, einen entführten Genetikexperten ausfindig zu machen. Dabei kreuzt James nicht nur erneut den Weg der Verbrecherorganisation „Spectre“, sondern auch der neuen Agentin, die beim britischen Geheimdienst MI6 inzwischen die Nummer 007 trägt und die ihn warnt, ihr nicht in die Quere zu kommen. Offenbar sind CIA und MI6 hinter derselben Sache her, stehen aber nicht auf derselben Seite.

Zu Beginn ist Bond deshalb für die CIA tätig und auf einer Mission, ohne die wahren Hintermänner oder deren Ziele zu kennen. In etwa der Hälfte des Films erfährt die Geschichte jedoch einen regelrechten Knick, was nicht nur dadurch deutlich wird, dass Bond wieder dort ist, wo er sein sollte, oder dass die anfangs präsente Madeleine wieder auftritt, nachdem sie eine gefühlte Stunde nicht zu sehen war. Tatsächlich erfährt das Publikum jetzt erst mehr über den eigentlichen Bösewicht des Films, den von Rami Malek gespielten Lyutsifer Safin, der wie viele Schurken der Reihe unermesslich reich sein muss und der über eine nicht endende Gefolgschaft verfügt. Bis Keine Zeit zu sterben jedoch erkennen lässt, was seine Absichten sind, ist der Film im letzten Drittel angekommen und es stellt sich zurecht die Frage, was man bis dahin überhaupt erfahren hat.

Dass es, wie so oft bei dieser Art Film, um die Weltherrschaft gehen muss und in dem Fall die Bio-Waffe „Heracles“ eine Rolle spielt, ist zwar offensichtlich, was jedoch Safins tatsächliche Motivation hinter seinem Plan ist und weshalb er in James Bond überhaupt einen Widersacher sieht, obwohl er ihn nie zuvor getroffen hat, macht Keine Zeit zu sterben nicht deutlich. Dafür ist das Drehbuch merklich bemüht, die offenen Enden der vorangegangenen Filme zu einem Abschluss zu bringen, was die Laufzeit von beinahe drei Stunden erklärt. Die erste Filmhälfte beschäftigt sich großteils mit Spectre, während Safin erst in der zweiten Hälfte eine spürbare Rolle spielt. Bis es soweit ist, scheint Filmemacher Fukunaga, der den Regieposten übernahm, nachdem Danny Boyle noch vor den hauptsächlichen Dreharbeiten ausgestiegen war, einen schier unmöglichen Spagat zu versuchen.

Mit vielen Anleihen an die vorigen Filme der Reihe, nicht nur diejenigen mit Daniel Craig in der Hauptrolle, wird das Flair eines klassischen Bond-Films heraufbeschworen, während die Figur hier aber Wege geht, die sie nie zuvor gegangen ist. Hinsichtlich der Stimmung erinnert das alteingesessene Fans an einen der besten und am meisten verschmähten Filme um den Doppelnullagenten: Im Geheimdienst Ihrer Majestät [1969]. Nicht nur, dass James hier ebenfalls sagt, „wir haben alle Zeit der Welt“, sogar Louis Armstrongs Lied ist im Film zu hören und auch die persönlichen Entwicklungen um die Hauptfigur sind vergleichbar. Zu dieser getragenen Atmosphäre trägt ebenfalls Hans Zimmers Score bei, der nicht nur Themen aus Craigs vorigen Filmen aufgreift, sondern maßgeblich von John Barrys unverwechselbaren Motiven geprägt ist. Der Soundtrack ist womöglich die größte Überraschung des Films, mit einem passend getragenen Titelsong von Billie Eilish.
Auch greifen die Verantwortlichen den Humor der Reihe wieder auf und mehr als zuvor ist James Bond auf die Hilfe seines Teams um Q, Moneypenny und die neue 007, Nomi, angewiesen. Viele kleine Momente wie diejenigen mit der von Ana de Armas toll gespielten CIA-Agentin Paloma machen schlicht Spaß beim Zusehen und die Wortgefechte sorgen oftmals für eine willkommene Auflockerung. Obwohl Keine Zeit zu sterben ebenfalls ein brutaler Agententhriller ist – Bond selbst tötet hier weit mehr Menschen, als die Schurken – hat sich die Darstellung der Figur sichtlich von derjenigen in Casino Royale verabschiedet. War James damals auch körperlich verletzlich und trug Blessuren von seinen Auseinandersetzungen davon, kann er sich hier mühelos durch eine wahre Armee kämpfen und wird allenfalls durch Explosionen kurzzeitig in die Knie gezwungen. Dafür bleibt er emotional verwundbar, worauf Craigs letztes Abenteuer auch inhaltlich hinarbeitet.

An der handwerklichen Umsetzung von Cary Joji Fukunaga gibt es kaum etwas zu bemängeln. Er findet zahlreiche einprägsame und imposante Einstellungen und die Actionmomente sind allesamt dicht an den Figuren inszeniert, wobei sie mitunter etwas verwackelt gefilmt und hektisch geschnitten werden. Insgesamt sorgt dies aber durchaus für Spannung. Die viel entscheidendere Frage ist, ob ihm der Abschluss der Figur von Craigs Bond gelungen ist und hier sei außer Acht gelassen, dass es für die schier unlösbare Aufgabe, die der Film seinen Helden aufbürdet, zwei Lösungen gäbe, von denen Bond sogar eine am Handgelenk trägt, die aber das Skript geflissentlich ignoriert. Vielmehr scheinen die Verantwortlichen so sehr darum bemüht, den erzählerischen Bogen des James Bond, wie er von Daniel Craig verkörpert wurde, zu einem Abschluss zu bringen, dass sie dabei vergessen, wie man seine Figur in Erinnerung behalten wird. Wenn wir James zum ersten Mal im Film begegnen, könnte er glücklicher kaum sein. Wenn wir ihn verlassen, ist es der vermutlich traurigste Moment seines Lebens. Er durchlebt zwar eine enorme Wandlung, doch wofür? Ob dies in Anbetracht der gesamten Entwicklung des letzten Filmdrittels die einzig sinnvolle oder gar die für die Figur passendste Auflösung ist, darf sicherlich debattiert werden. Es wird zudem nur schwer möglich sein, das Versprechen am Ende des Abspanns, „James Bond wird zurückkehren“, einzulösen, ohne dann auch alle übrigen Figuren wie M, Q oder Moneypenny erneut vorzustellen oder die Rollen neu zu besetzen. Auch diese haben in den letzten fünf Filmen eine sichtbare Wandlung erfahren. Anstatt zu erhalten, was erhaltenswert wäre, reißt Keine Zeit zu sterben mehr Brücken hinter sich ein, als notwendig. Das werden insbesondere diejenigen, die der Figur bereits seit Langem folgen, zurecht bedauerlich finden.


Fazit:
So aufwändig die Actionsequenzen sind und so riesig die Kulissen der großen Anlage des Bösewichts, in der er seine Pläne am Ende in die Tat umzusetzen gedenkt und die sichtlich an die überlebensgroßen Widersacher der Reihe von früher erinnern, mit beinahe drei Stunden Laufzeit ist Cary Joji Fukunagas Film spürbar zu lang. Er gerät nie langweilig, wohlgemerkt, doch die Geschichte erweckt auch durch den inhaltlichen Schnitt in der Mitte den Eindruck, als wollte man eineinhalb Filme in einem erzählen. Weder die Motivation des von Rami Malek gut verkörperten Bösewichts Safin, noch die Action selbst, in der es James Bond jeweils mit einer Heerschar an Gegnern zu tun bekommt, ergeben wirklich Sinn, sind aber ansprechend umgesetzt. Durchaus packend inszeniert, sollte man wenigstens Craigs Filme aber gesehen haben, um die inhaltlichen Zusammenhänge nachvollziehen zu können. Lange Zeit steht die Frage im Raum, was das Ziel des Schurken ist und die Antwort ist so einfach wie für die Filmreihe unspektakulär. Dafür bringt James Bond 007 - Keine Zeit zu sterben die fünf Filme umspannende Geschichte um Daniel Craigs Interpretation des britischen Geheimagenten zu einem Abschluss. Ob es der bestmögliche ist, kann diskutiert werden und es wird sicher schwer, hieran anzuschließen. Allein, weil es bisher bei allen Wechseln der Hauptdarsteller eine Konstante in der Filmreihe gab, Figuren im Hintergrund, die erhalten blieben. Dies wird nun kaum möglich sein. Die Besetzung ist durchweg gefordert, Daniel Craig scheint die Rolle wie sein Smoking auf den Leib geschneidert, und auch emotional steht spürbar viel auf dem Spiel. Mehr noch, als in der Reihe je zuvor. All das macht Keine Zeit zu sterben in sämtlichen Belangen besser als den vorigen Teil, an Craigs umwerfenden Einstand reicht er jedoch nicht heran.