Guillermo Del Toros Pinocchio [2022]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 11. Dezember 2022
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Originaltitel: Guillermo del Toro’s Pinocchio
Laufzeit: 117 min.
Produktionsland: USA / Mexiko / Frankreich
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Guillermo del Toro, Mark Gustafson
Musik: Alexandre Desplat
Stimmen: Gregory Mann, David Bradley, Ewan McGregor, Christoph Waltz, Tilda Swinton, Ron Perlman, Finn Wolfhard, Cate Blanchett, Burn Gorman, John Turturro, Tim Blake Nelson, Tom Kenny
Kurzinhalt:
Seit Jahrzehnten quält den Schreiner Geppetto (David Bradley) der Tod seines Sohnes Carlo. Eines Abends, stark betrunken, fällt er den Pinienbaum, den er am Grab seines Sohnes gepflanzt hatte und schnitzt daraus eine Puppe. Als Geppetto schläft, haucht der Waldgeist (Tilda Swinton) dem hölzernen Jungen Leben ein und gibt ihm auf, Geppettos Tage zu erhellen, denn sie haben den Schmerz des Schreiner lange beobachtet. Damit der Junge, den die Geister Pinocchio (Gregory Mann) nennen, auf dem rechten Pfad bleibt, soll die Grille Sebastian J. Grille (Ewan McGregor) ihn begleiten. Doch kaum zum Leben erweckt, hat Pinocchio seinen eigenen Kopf, ist ungehorsam. Als der faschistische Beamte Podestà (Ron Perlman) beabsichtigt, Pinocchio als Soldaten einzuziehen, schließt der sich dem Zirkus von Graf Volpe (Christoph Waltz) an. Volpe sieht in dem sprechenden Holzjungen eine Möglichkeit, viel Geld zu verdienen …
Kritik:
Guillermo del Toros Adaption des bekannten wie beliebten Kinderbuchs Pinocchio ist in vielerlei Hinsicht meisterhaft. Technisch und hinsichtlich des Produktionsdesigns gibt es hier so Vieles zu bewundern, dass es im ersten Moment überrascht, wie wenig die Geschichte des hölzernen Jungen, der seinen Platz in der Welt finden muss, letztlich emotional mitnimmt. Ausschlaggebend mag womöglich sein, dass so eindrucksvoll, fantasievoll und fantastisch die Erzählung umgesetzt ist, sie das Publikum oftmals verwundert zurücklässt.
Basierend auf den Geschichten und dem Roman von Carlo Collodi, Die Abenteuer des Pinocchio [1883], war die Adaption des Materials für del Toro seit vielen Jahren ein Herzensprojekt, das oftmals kurz davor stand, überhaupt nicht realisiert zu werden. Dass ein Filmstudio davon Abstand nehmen könnte, die Vision des Filmemachers finanzieren zu wollen, überrascht nicht. Der Faible Guillermo del Toros für außergewöhnliche Geschichten, die Fantasy mit tatsächlichen Ereignissen kombinieren, spiegelte sich unter anderem in Pans Labyrinth [2006] wider. Der enorme Aufwand, Pinocchio hierbei als Stop-Motion-Animationsfilm umzusetzen, wobei Animationsfilme tendenziell eher ein junges denn ein älteres Publikum ansprechen, würde in diesem Moment eine weitere Untersicherheit mit sich bringen, zumal del Toro Pinocchio nicht für ein Kinderpublikum konzipiert hat. Angesiedelt im faschistischen Italien der 1930er-Jahre, hat nicht nur Premierminister Benito Mussolini einen Auftritt. Die Geschichte handelt von Verlust, Trauer, Obrigkeitshörigkeit und Gehorsam. Die „Moral von der Geschichte“ ist dabei nicht so einfach einzufangen, zu komplex die Themen und zu uneins die verschiedenen Ansätze der Story.
Die beginnt mit dem Schreiner Geppetto, der nach dem Tod seines Sohnes Carlo während des Ersten Weltkriegs gebrochen ist. Zwanzig Jahre vom Verlust und der Trauer aufgefressen, schnitzt Geppetto im Alkoholrausch aus einer Pinie, die er am Grab seines Sohnes gepflanzt hatte, einen Jungen aus Holz. Die Waldgeister, die sich selten in die Dinge der Menschen einmischen, hauchen der Puppe Leben ein, nennen ihn Pinocchio und geben ihm den Auftrag, Geppettos Leben zu bereichern. Doch Pinocchio hört weder auf den Auftrag, noch auf Geppetto – oder die Grille Sebastian, die die ganze Geschichte erzählt und vom Waldgeist beauftragt wird, als Pinocchios Gewissen aufzutreten, um ihn auf dem rechten Pfad zu halten. Stattdessen lässt sich Pinocchio ständig ablenken, wird vom Zirkusdirektor Graf Volpe als Attraktion angeworben, auch um dem faschistischen Beamten Podestà zu entkommen, der Pinocchio als Soldaten verpflichten will, da die Puppe nicht sterben kann.
Pinocchio kombiniert somit viele Aspekte der Vorlage, wobei weder die übrigen Puppen, denen der hölzerne Junge begegnet, noch andere Tiere sprechen können. Gleichzeitig trifft er auf mehrere Bösewichte, darunter Podestà und dessen Sohn Kerzendocht, der sich später allerdings mit Pinocchio anfreundet. Aber auch Graf Volpe ist hier böse, nimmt Pinocchio wie Geppetto aus, behandelt seinen äffischen Assistenten Spazzatura schlecht und würde seine Seele für Geld verkaufen. Vor diesem Hintergrund einen eigenen moralischen Kompass zu finden, wäre für Pinocchio nicht nur überlebenswichtig, es würde ihn auf eine Reise schicken, auf der ihn zu begleiten sich lohnen würde. Doch stattdessen hält sich die Adaption einerseits damit auf, dass auch Geppetto mit sich und seiner Beziehung zu Pinocchio hadert, andererseits driftet die Erzählung immer wieder in Musical-Einspielungen ab, die die Geschichte nur wenig voranbringen.
Sieht man die überwiegend mit realen Bedrohungen und Gefahren bevölkerte Welt in Pinocchio, wirken Abschnitte wie derjenige, in dem zuerst Geppetto nebst Sebastian und später der hölzerne Junge vom Riesenhai verschluckt werden, oder diejenigen mit den Waldgeistern bzw. im Leben nach dem Tod, als würden sie nicht vollends zur restlichen Geschichte passen. Die Mischung aus Fantasy und Historie, insbesondere, wenn historische Figuren vorgestellt werden, macht einen unrunden, erzwungenen Eindruck. Umso mehr, da ein zentrales Element des Ausgangsmaterials hier gar keine Rolle spielt: Pinocchios Reise, ein wirklicher Junge aus Fleisch und Blut zu werden. Etwas ähnliches stellt die Erzählung hier zwar vor, greifbar ist Pinocchios Entwicklung diesbezüglich jedoch nicht.
Das macht es schwer, mit der Geschichte in Pinocchio wirklich mitzufiebern, die bei einer Laufzeit von beinahe zwei Stunden mindestens 15 Minuten zu lange scheint. Zu viele Nebenhandlungen, die doch nicht wirklich interessieren, ziehen das Gezeigte nur in die Länge, statt es wirklich zu bereichern. Handwerklich kommt man indes aus dem Staunen kaum heraus. Das Design der Figuren und jener Welt könnte bezaubernder kaum sein und die Stop-Motion-Technik fügt sich so nahtlos zusammen, dass es einem den Atem verschlägt. Doch so viel es an einzelnen Aspekten zu bewundern gibt und so sehr das Zusammenspiel die eindeutige Handschrift von Filmemacher Guillermo del Toro trägt, es überzeugt mehr durch die technische Brillanz als die erzählerische Herzlichkeit. Das ist auch etwas schade.
Fazit:
Anstatt den ungehorsamen Pinocchio abzuschleifen, seinen Willen zu brechen, erweist es sich hier als Tugend, selbst zu denken und für die eigenen Überzeugungen einzustehen. Das ist nicht nur lobenswert, sondern auch vor dem Hintergrund der dargestellten Auswirkungen des Faschismus umso treffender und wichtiger. Doch kommen viele Elemente, selbst wenn sie anfangs vorgestellt werden, nicht zum Zug. Weder ist Pinocchio am Wohl Geppettos interessiert, noch kann Sebastian als Gewissen Pinocchios auftreten und seine moralische Entwicklung lenken, weil er schlicht kein Bestandteil seiner Entwicklung mehr ist. Wozu solche Aspekte aber aufgeworfen werden, wenn sie keine weitere Rolle spielen, erschließt sich nicht. Auch verfolgt Pinocchio kein wirklich es Ziel, weder zeigt er Reue, noch ist er bestrebt, ein wirklicher Junge zu werden. Mit den Figuren mitzufiebern, fällt in Guillermo Del Toros Pinocchio daher schwer und so fühlt sich der Film unnötig lang an. Darüber tröstet allenfalls das fantastische Design und die handwerklich fabelhafte Umsetzung hinweg. Gerade in Anbetracht der Beteiligten und der langen Zeit, in der das Projekt vor dem geistigen Auge des Filmemachers gereift ist, hätte man jedoch mehr und eine stimmigere Erzählung erwartet.