Die Einsamen Schützen (Pilotfilm) [2001]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 02. Februar 2003
Genre: Science Fiction / Thriller

Originaltitel: The Lone Gunmen
Laufzeit: 45 min.
Produktionsland: Kanada / USA
Produktionsjahr: 2001
FSK-Freigabe: -

Regie: Rob Bowman
Musik: Mark Snow
Darsteller: Bruce Harwood, Tom Braidwood, Dean Haglund, Zuleikha Robinson


Kurzinhalt:
Die "Einsamen Schützen" sind eine Gruppe Hacker und Verschwörungstheoretiker, die es sich zum Ziel gemacht haben, dunkle Machenschaften der Regierung aufzuklären.
So soll der neue "Octium IV" Computerprozessor, der einen immensen Geschwindigkeitsschub in der Computerbranche bringt, mit speziellen Funktionen ausgestattet sein, damit die Regierung die Computernutzer ausspionieren kann.
Die drei "Einsamen Schützen" Byers (Bruce Harwood), Frohike (Tom Braidwood) und Langly (Dean Haglund) wollen den Chip während einer Präsentation stehlen, doch kurz vor ihrem Ziel wird ihnen der Chip von Yves Adele Harlow (Zuleikha Robinson) vor der Nase weggeschnappt.
Anschließend erfährt Byers, dass sein Vater Bertram Byers (George Coe), zu dem er in den letzten Jahren keinen engen Kontakt hatte, bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Als die Schützentruppe eigene Ermittlungen bezüglich der Todesumstände anstellt, müssen sie erkennen, dass Byers Vater, der für die Regierung gearbeitet hat, einer Splittergruppe auf die Schliche gekommen war, die eine vollbesetzte Passagiermaschine in einen Wolkenkratzer steuern will, um dadurch die Rüstungsindustrie anzukurbeln.


Kritik:
Wenn man den Pilotfilm heute ansieht, könnte man denken, dass die Macher takt- und rücksichtslose Einschaltquotenjäger sind, die auch mit den widerwärtigsten Immitationen nur an die Quote denken. Ein Flugzeug in ein Hochhaus zu steuern, ist seit dem 11. September 2001 keine utopische Science-Fiction-Vorstellung mehr, sondern traurige Realität.
Doch was die Autoren von Die Einsamen Schützen im Pilotfilm ersannen, wurde erst später vom wahren Leben eingeholt: Der Pilotfilm wurde im März 2001 ausgestrahlt, ein halbes Jahr vor dem Attentat auf das World Trade Center – und als ob der Zufall gar nicht genug bekommen könnte, das anvisierte Gebäude in Die Einsamen Schützen ist ebenfalls das "World Trade Center".
Nach dem Terroranschlag im September 2001 waren Fiktionen über von der US-Regierung inszenierte Verschwörungen verständlicherweise nicht gern gesehen, aber soweit kam es mit dieser Thriller-Serie gar nicht, im Juni 2001 war sie vom Sender Fox bereits abgesetzt worden.

Fans der Mystery-Serie Akte X [1993-2002] sind die drei Gestalten Byers, Frohike und Langly nicht neu, sie hatten ihren ersten Auftritt in der eben genannten Kultserie bereits 1994 und waren bis zu ihrem traurigen Ende in der letzten Staffel von Akte X immer wieder zu sehen. In Kürze hatte sich um die Chaotentruppe eine Fangemeinde geschart, die Serienerfinder Chris Carter mit einer eigenen Lone Gunmen-Serie zufriedenstellen wollte; doch als der Erfolg ausblieb, wurde das Projekt nach nur 13 Episoden beendet. Verschiedene Storyenden, die in den 13 Episoden nicht abgeschlossen wurden, brachten die Autoren in Akte X in einer der letzten Episoden der Serie dann zu einem mehr oder weniger überzeugenden Abschluss.
Ansich war das Erfolgsrezept aber durchaus vielversprechend: Einige altbekannte X-Files-Veteranen sind mit an Bord gewesen, angefangen bei den Autoren, über die Darsteller, bis hin zu Regisseur Rob Bowman, der unter anderem auch den Akte X-Kinofilm inszenierte (Akte X - Der Film [1998]), und dem Komponisten Mark Snow.

Die Story selbst besitzt gerade heute mehr Aktualität denn je, und das in zweierlei Hinsicht; einerseits ist der angesprochene Versuch, ein Flugzeug in ein Hochhaus fliegen zu lassen, nicht mehr reine Fiktion sondern bittere Wahrheit geworden, aber auch der Nebenplot mit dem "Octium IV" ist heute nicht mehr nur Science Fiction, sondern kurz nahe Zukunft.
TCPA (Trusted Computing Platform Alliance) wurde vom größten Chiphersteller Intel gegründet und beschreibt Grundfunktionen kommender Computerprozessoren. Kern der Sache ist eine im Chip integrierte Abfrage nach Seriennummern und Kennungen von benützer Hard- und Software. Bereits beim Einschalten erkennt der Chip, ob eine Software rechtmäßig installiert ist, oder raubkopiert wurde, ob eine spezielle Steckkarte im Computer sich mit der anderen Umgebung verträgt, oder nicht.
Die Industrie preist die neuen Technologien, die bis nächstes Jahr flächendeckend eingesetzt werden sollen (erste Exemplare kommen zur Zeit in die Regale), als logischen Schritt in der Bekämpfung von Internetpiraterie an, und gleichzeitig werden die Möglichkeiten der sicheren und stabileren Arbeitsumgebung am PC gelobt – der weltgrößte Softwarehersteller Microsoft wird mit "Palladium" die dazu nötige Softwarebasis liefern, damit man in Zukunft im Internet gekaufte Musik oder Filme wirklich nur auf dem betreffenden Rechner ansehen/anhören kann, ohne die Möglichkeit, mit Hilfe von speziellen Tools diese Stücke doch auf einen anderen PC zu übertragen.
Die meisten Computernutzer sind sich einig: das bedeutet Zensur und Überwachung, auch wenn die Industrie das nicht zugeben möchte. Die Möglichkeiten sind vielfältig und erschreckend zugleich. Wer weiß schon wirklich, was das Betriebssystem einem Server im Internet mitteilt, wenn man online gegangen ist? Statistiken über das Nutzerverhalten? Informationen zu benutzten Webseiten oder gelesenen Dokumenten?
Big Brother wird auch am PC seinen endgültigen Einzug halten und dauerhaft dagegen wehren kann man sich ohnehin nicht!
Dass Die Einsamen Schützen diese Entwicklung bereits 2001 vorwegnahmen, zeigt, dass die Macher mehr als je zuvor der Wirklichkeit einen Schritt voraus waren und sich durchaus Gedanken gemacht haben, anstatt nur auf erzwungene oder hanebüchene Verschwörungstheorien zu setzen.

Abgesehen von der Verschwörungsgeschichte bekommen die Zuschauer einen Blick ins Privatleben der Schützen spendiert, etwas, das Akte X-Fans lange gefordert und bisher nicht bekommen haben.
Doch mit Charakterzeichnung und -entwicklung wird wie in den meisten Pilotfilmen gespart, stattdessen verlässt sich der Film auf die Haupthandlung, die zwar spannend umgesetzt, aber für eine 45-minütige Episode schlicht zu komplex ist.
Es ist eine regelrechte Krankheit der letzten Jahre, dass Pilotfilme nicht mehr wie in früheren Zeiten Spielfilmlänge besitzen, sondern in das serienkonforme Format gepresst werden. Den Einsamen Schützen tat dieser Beschnitt eindeutig nicht gut, besonders zu Beginn und am Ende wirkt der Film gehetzt und sprunghaft.
Die Geschichten mit dem Chip und der Regierungsverschwörung sind ebenfalls nicht sonderlich gekonnt miteinander verwoben, und man bekommt als Zuschauer das Gefühl, als wäre diese erste Episode ursprünglich 70 oder 80 Minuten lang gewesen und nachträglich nicht unbedingt sinnvoll zusammengkürzt worden.
Während Akte X seit der 7. Staffel darunter leidet, dass sämtliche Szenen ausgewalzt werden und die Darsteller betont langsam sprechen, um die dürftigen Stories und den ohnehin spärlichen und kläglichen Dialog auf 43 Minuten breitzutreten, gibt es zumindest beim Pilotfilm von den Einsamen Schützen schlicht zuviel Story für die mögliche Zeit. Dementsprechend zu kurz kommen die einzelnen Szenen und die gebotenen Sets werden nicht ausgenutzt.
In fünf Minuten sind die Hauptdarsteller an Bord eines Flugzeuges, fliegen irgendwo hin (den Bestimmungsort hat man als Zuschauer nie mitbekommen) und kurz darauf ist die Episode zu Ende.
Selten genug kommt es vor, aber hier wäre mehr eindeutig besser gewesen.

Die Darsteller spielen die aus Akte X bekannten Rollen gewohnt gut und überzeugend, die besondere Chemie zwischen ihnen herrscht immer noch, aber einen Sprung, was die Vertrautheit angeht, bekommt man leider nicht gezeigt.
Die ersten Zweifel bleiben, ob die drei eine eigene Serie ausfüllen und am Leben halten können, Potential besitzen sie allerdings auf jeden Fall. Neue Bösewichte werden zwar eingeführt (Overlord), aber nicht genau genug beleuchtet oder in ausgiebigem Maße gezeigt, um darüber urteilen zu können, wie sie sich in der Zukunft bewähren könnten.
Als Neue im Bunde ist Zuleikha Robinson zu sehen, die als Yves den weiblichen Pluspunkt der Serie darstellen soll und in den kommenden Folgen mehr eingebunden wird. Aber auch von ihr hat man bislang zu wenig gesehen, als dass man einschätzen könnte, ob ihre Mitwirkung von Nutzen ist, oder nicht. Ob ihr Charakter nötig war, darüber können die Fans streiten, ein Blickfang ist sie auf jeden Fall.

Die größte Enttäuschung an Die Einsamen Schützen ist zweifelsohne die Musik von Mark Snow, der Veteran, der mit seiner Akte X-Melodie eine neue Ära der Serienmusik einläutete und ein unverkennbares Markenzeichen geschaffen hat.
Den Schützen spendiert er ein monotones, aufdringliches und mit E-Gitarren versetztes Geklimper, das von den Szenen ablenkt und überwiegend überhaupt nicht dazu passt.
Von sphärischen Klängen oder einer einprägsamen Melodie ist leider nichts zu sehen. Fans werden zurecht den Kopf schütteln; nach 8 Jahren Akte X scheint Snow keine neuen Einfälle mehr zu haben – so störend wie in Die Einsamen Schützen war seine Musik allerdings bisher nur sehr selten, nicht einmal in Smallville [seit 2001].

Kamera und Schnitt der Episode sind überdurchschnittlich gut, können sich mit den von E.R. - emergency room [seit 1994] oder C.S.I. - Tatort Las Vegas [seit 2000] gesetzten modernen Standards allerdings nicht messen; verglichen mit den letzten beiden Staffeln von Akte X ist es jedoch ein regelrechter Quantensprung, nachdem Chris Carters erste Serie so radikal abgebaut hatte.

Die Einsamen Schützen hätte das Potential gehabt, eine wirklich unterhaltsame Serie zu werden, skurrile Charaktere waren vorhanden und die Story des Pilotfilms hätte ohne Zweifel für eine Kinoumsetzung getaugt. Wenn man allerdings schon im Vorfeld weiß, dass die Serie nach wenigen Folgen wieder abgesetzt wurde, ist es müßig sich vorzustellen, was hätte sein können.
Langly, Frohike und Byers haben sicherlich genug Charme, um mehr als ein paar Minuten in einer Akte X-Episode überzeugen und unterhalten zu können, auch wenn der Pilotfilm deutlich zu kurz geraten ist. Vielleicht werden diese anfänglichen Mängel ja in den kommenden Episoden ausgemerzt.

Leider finden die deutschen Fans keinen vernünftigen Abschluss zur Serie, da dieser schon früher auf ProSieben in Akte X gezeigt wurde.
Dass man sich hierzulande im Übrigen mit einer falschen Synchronstimme von Langly zufriedengeben muss, ist angesichts der Tatsache, dass der deutsche Verleih knapp zwei Jahre Zeit mit der Synchronisierung hatte, eine Zumutung.


Fazit:
Wo Akte X in den letzten Jahren enttäuschte, kann der Die Einsamen Schützen-Pilotfilm überzeugen: Eine interessante Story, charmante Charaktere und eine solide Umsetzung, die allerdings noch Spielraum nach oben offen lässt.
Wäre da nicht Mr. Snows unterdurchschnittliche Musik, und der Pilotfilm länger geworden, würde es sich durchaus um sehr gute Unterhaltung handeln.
Fans der Lone Gunmen sollten sich ihre kurzen Abenteuer allerdings keinesfalls entgehen lassen, und sei es nur als Memoiren der drei skurrilen Figuren.