Trust [2010]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 29. Januar 2012
Genre: DramaOriginaltitel: Trust
Laufzeit: 106 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2010
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: David Schwimmer
Musik: Nathan Larson
Darsteller: Clive Owen, Catherine Keener, Liana Liberato, Jason Clarke, Viola Davis, Chris Henry Coffey, Spencer Curnutt, Aislinn DeButch, Noah Emmerich, Olivia Wickline, Zoe Levin, Zanny Laird, Yolanda Mendoza, Shenell Randall, Jordan Trovillion, Brandon Molale
Kurzinhalt:
Die Welt der 14jährigen Annie (Liana Liberato) ändert sich so schnell. Nicht nur, dass sie inzwischen auch zu den Partys der beliebtesten Mädchen der Schule eingeladen wird, sie hat es ins Team der Volleyballmannschaft geschafft. Ihre Eltern Will (Clive Owen) und Lynn (Catherine Keener) sind mit dem Umzug ihres Bruders Peter (Spencer Curnutt) aufs College beschäftigt, und ihre kleine Schwester Katie (Aislinn DeButch) nimmt auch Zeit in Anspruch. Der einzige, dem sich Annie wirklich anvertrauen kann, von ihrer besten Freundin Brittany (Zoe Levin) abgesehen, ist ihr Onlinefreund Charlie. Seit Monaten schreiben sie schon miteinander, für Annie ist es ihr erster Freund. Dann schlägt Charlie ein Treffen in einem Einkaufszentrum vor.
Erst Brittany bemerkt, dass etwas geschehen ist. Annie wird von der Schulleitung in ein Krankenhaus gebracht, ihre Eltern und sogar FBI-Agent Tate (Jason Clarke) informiert. Charlie, mindestens Mitte 30, hat Annie vergewaltigt, selbst wenn sie es noch nicht als solches realisiert. Während die Psychologin Gail Friedman (Viola Davis) versucht, Zugang zu Annie zu bekommen, beginnt für sie und für die Familie eine Tortur, bei der ihre Vergewaltigung nur den Anfang, und vermutlich noch nicht einmal das Grausamste darstellt ...
Kritik:
Es gibt viele Momente in Trust, die unter die Haut gehen. Die meisten davon in der zweiten Filmhälfte. Einer bringt dabei auf den Punkt, worum es Regisseur David Schwimmer in seinem zweiten Kinofilm ging. Will, Vater der vierzehnjährigen Annie, meint, sie würden eine schwere Zeit durchmachen, woraufhin Annie es hinausschreit: Sie wurde vergewaltigt, nicht die Familie. Die einzige Bitte, die sie an ihren Vater stellt ist, dass er aufhört, sie jeden Moment daran zu erinnern.
Das Thema, dem sich das Drama annimmt ist so grausam wie stigmatisierend. In einem Onlinechat lernt Annie den zwei Jahre älteren Charlie kennen. Sie unterhalten sich, tauschen die intimsten Geheimnisse aus, über Wochen hinweg. Und das in einer Zeit, in der Annie von niemandem verstanden wird. Wie könnte man auch? Sie ist ein Teenager, in einem unverständlichen Strudel der Gefühle. Ihr Vater ist von der Arbeit eingenommen und kümmert sich samt der Mutter Lynn nicht nur um die jüngere Katie, sondern um ihren älteren Bruder Peter, der für das College umzieht. Nur Charlie hat Verständnis und ist immer für sie da. Dann gesteht er, dass er nicht 16, sondern in Wirklichkeit 20 ist. Nach dem anfänglichen Schock stellt sich das alte Vertrauen wieder ein, und Charlie macht den Vorschlag, dass sie sich treffen sollen. Da bemerkt sie, dass er auch keine 20, sondern Mitte 30 ist.
Trust lenkt den Blick gleichsam auf Annie wie auf ihre Familie. Darauf, was nach jenem Nachmittag im Motel geschieht. Glücklicherweise bleiben uns Details davon erspart, und doch sehen wir in ihr die Veränderung. Aus dem lachenden, glücklichen Mädchen ist jemand geworden, der nicht versteht was mit ihr passiert. Zuerst die Tat selbst, dann jedoch, als ihre Freundin Brittany Verdacht schöpft und die Schulleitung informiert, wie sich Ärzte, Psychologen und FBI um sie kümmern. Wie soll sie verstehen, dass was Charlie getan hat, Unrecht war? Immerhin hat er ihr so oft gesagt, dass sie etwas Besonderes sei. Nicht nur, dass ihr Vater sie ansieht, als hätte sie etwas falsch gemacht, durch die Überwachung meldet sich Charlie nicht mehr. Und Annie ist der Meinung, es wäre ihre Schuld.
Es muss für die Familie ebenso schlimm sein zu erfahren, was dem eigenen Kind widerfahren ist, wie mitansehen zu müssen, wie es die Tat und den Täter auch noch verteidigt. Das Drehbuch von Andy Bellin und Robert Festinger beobachtet nicht nur, wie sich Annie verändert, sondern auch, wie ihr Umfeld darauf reagiert. Während Lynn darum bemüht ist, durch Verständnis die Familie zusammen zu halten, setzt sich Will in den Kopf, den Täter ausfindig machen zu wollen. Darunter leidet nicht nur seine Arbeit, sondern vor allem seine Familie, weil er alle möglichen Informationen zu den Sexualstraftätern mit in sein Haus nimmt. Einen Zufluchtsort für Annie, Will oder Lynn gibt es nicht mehr. Das FBI kann zwar feststellen, dass Annies Peiniger bereits bekannt ist, doch wer sich hinter der DNA verbirgt, wissen sie nicht. Die Psychologin Gail Friedman findet zwar Zugang zu Annie, doch erst eine Erkenntnis bringt sie dazu, sich zu öffnen.
Aus Berichten hört man es immer wieder, wie jene Verbrecher genau wissen, wie sie die Jungen und Mädchen dazu bekommen, allen Selbstschutzinstinkt und alle Vorsicht zu vergessen. Wie sie die richtigen Formulierungen zur richtigen Zeit verwenden, an das Erwachsensein-Gefühl ihrer Opfer appellieren. Dem in der ersten 30 Minuten beizuwohnen ist unangenehm und macht richtiggehend wütend. Die Auswirkungen des Verbrechens nicht nur auf Annie, sondern ihre gesamte Familie übertragen zu sehen, ist erschütternd und zermürbend. Wie kann man Will einen Vorwurf machen, etwas unternehmen zu wollen? Wie könnte Annie anders, als ihn dafür zu hassen? Wenn David Schwimmer mit seinem Gespür für die Figuren ihr Innerstes nach außen kehrt, gelingt Trust ein Blick auf ein Trauma, das unvorstellbare Narben hinterlässt. Ohne dies, wie in Hollywood so oft, mit einem Vergeltungsthriller zu kombinieren, kann es nur einen möglichen Ausgang geben. Dieser ist mutig, wird für ein Großteil des Publikums jedoch schwer anzunehmen sein.
Liana Liberato gelingt eine packende Darbietung, die in ihrer Natürlichkeit all jenes Vertrauen, jene Unschuld, jene Neugier und jene Verletzlichkeit widerspiegelt, die für ein 14jähriges Mädchen normal sind. Sie weiß nie mehr, als sie wissen könnte und verhält sich immer so, wie ein Teenager, dessen Vertrauen in alle Menschen um sie herum zerstört wurde. Zuerst in ihre beste Freundin, die sie verrät, dann in ihre Eltern, die sie nicht verstehen – und schließlich, ihr Vertrauen in Charlie. Doch bis zu dieser Erkenntnis ist es ein langer Weg.
Unterstützt wird die junge Darstellerin von einem ebenso geforderten und engagierten Cast. Darunter Catherine Keener und Clive Owen. Und auch Chris Henry Coffey.
Auf der Heimvideoveröffentlichung finden sich einige nicht verwendete Szenen. Ein paar davon, beispielsweise Wills letztes Gespräch mit dem FBI-Agenten, oder der kurze Austausch mit dem Mann, den Will während des Volleyballspiels angreift, hätten ebenso in den Film übernommen werden können wie Peters Unterhaltung mit seiner Mutter. Sie füllen ein paar Lücken, die bei Trust leider geblieben sind.
Fazit:
Die Vergewaltigung selbst, dies scheint Regisseur Schwimmer festhalten zu wollen, ist nicht das Schlimmste, was dem Opfer widerfährt. Die Auswirkungen der Tat, die veränderten Blicke der Freunde und Familie, die öffentliche Bloßstellung, die Hänseleien in der Schule, all das scheint wie eine zweite Vergewaltigung, deren Wunden noch viel langsamer heilen. Wenn überhaupt.
Trust zeichnet ein aufmerksames, nicht aufdringliches Porträt dessen, was im Nachhinein geschieht und verlässt sich dabei ganz auf seine Figuren. Das ist nicht nur berührend, sondern lässt einen mitunter verzweifeln angesichts dessen, was es für Annie und ihre Familie bedeutet. Man fragt sich zu Recht, wie ein solches Drama zu einem Ende kommen mag, und ob es denn irgendeinen Hoffnungsschimmer bereithält. Vielleicht findet Trust hier den einzig glaubwürdigen Ansatz.