Der Spion [2020]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 7. Januar 2022
Genre: Drama / Thriller

Originaltitel: The Courier
Laufzeit: 112 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Dominic Cooke
Musik: Abel Korzeniowski
Besetzung: Benedict Cumberbatch, Merab Ninidze, Rachel Brosnahan, Jessie Buckley, Angus Wright, Željko Ivanek, Kirill Pirogov, Anton Lesser, Maria Mironova, Vladimir Chuprikov


Kurzinhalt:

Im Herbst des Jahres 1960 treten Dickie Franks (Angus Wright) vom britischen Handelsministerium und die Amerikanerin Helen Talbot (Rachel Brosnahan) an den Geschäftsmann Greville Wynne (Benedict Cumberbatch) heran. Schnell wird ihm klar, dass beide nicht die sind, die sie vorgeben, zu sein. Franks ist beim britischen Geheimdienst MI6, Talbot bei der CIA. Sie wollen Wynne anwerben, nicht als Spion, sondern als Kurier. Vor Kurzem hatte sich der hochrangige, sowjetische GRU-Beamte Oleg Penkovsky (Merab Ninidze) an die CIA gewandt, um Informationen auszutauschen in Anbetracht der sich immer stärker zuspitzenden Krise. Da jedoch Personen im Geheimdienst vom russischen KGB überwacht werden, hoffen Talbot und Franks, mit Wynne als Zivilist eine unauffällige Kontaktperson etablieren zu können. Ohne seine Frau Sheila (Jessie Buckley) einweihen zu können, geht Greville darauf ein und kann auch den Kontakt zu Penkovsky herstellen. Doch die internationalen Spannungen nehmen zu und damit steigt auch die Gefahr, dass beide enttarnt werden …


Kritik:
In einer Zeit, in der Superhelden mit übermenschlichen Fähigkeiten das Publikum in die Kinos locken, ist Dominic Cookes Film Der Spion eine geradezu erdende Erfahrung. In dem auf Tatsachen basierenden Spionagedrama, dessen Originaltitel („Der Kurier“) deutlich passender ist, stehen zwei Männer im Zentrum, die zu Helden werden, obwohl sie keine Superkräfte besitzen. Dass sie dennoch ihr Leben aufs Spiel setzen, um die Welt zu einem sichereren Ort zu machen, macht ihren Mut nur umso inspirierender.

Der Spion erzählt die Geschichte des britischen Geschäftsmanns Greville Wynne, der im November 1960 vom britischen Geheimdienst MI6 angeworben wurde, um nach Moskau zu reisen. Als sich die Spannungen während des Kalten Krieges zwischen dem Westen und der UdSSR zuspitzen, bietet der hochrangige, sowjetische GRU-Beamte Oleg Penkovsky dem Westen Informationen an, doch die Beschäftigten der westlichen Behörden werden von dem russischen Geheimdienst KGB zu stark überwacht. Wynne als Kurier einzusetzen, scheint ein sicherer Plan. Doch gerade, als die Kubakrise eskaliert, droht Penkovsky aufzufliegen.
Dieser Hintergrund ist real und dass Wynne vom MI6 als Kurier eingesetzt wurde, ebenso. Ob er und Penkovsky an der Kubakrise beteiligt waren, wie hier vorgestellt, ist nicht gesichert. In diesem Aspekt das Drehbuch von Tom O’Connor als historisch korrekt zu bezeichnen, ist insofern schwierig, auch wenn viel Recherchearbeit geleistet wurde – was bei von beiden Seiten des Konflikts als „geheim“ eingestuften Operationen ohnehin nur bedingt verlässlich ist.

Sieht man Greville Wynnes Bereitschaft, sein Leben zu riskieren, um Informationen für sein Land zu transportieren, davon jedoch gelöst, ist dies ein ebenso heroischer Akt wie derjenige von Oleg Penkovsky, der seine Überzeugungen und seine Regierung verrät, um das Land, das er geschworen hat zu beschützen, zu erhalten. Vor dem Hintergrund des irrwitzigen Wettrüstens zwischen Ost und West gibt sich Der Spion nicht nur merklich Mühe, Penkovsky als Figur, als Familienvater und Patrioten vorzustellen, sondern auch aufzuzeigen, weswegen er trotz der Annehmlichkeiten, die er und seine Familie in Russland genossen, diesen Weg wählte. Hadert Wynne zu Beginn mit den Gefahren, die für ihn mit den Reisen nach Moskau einhergehen, scheint es bei Penkovsky eher die Angst zu sein, was geschieht, wenn er nichts tut. Der innere Kampf ist bei beiden Männern sichtbar, auch dank der erstklassigen Darbietungen. Benedict Cumberbatch, der für die Rolle merklich abgenommen hat, gelingt ein vielschichtiges und greifbares Porträt jenes Mannes, der tat, was sich für manche herausfordernd anhören mag, wenn man sich die Konsequenzen jedoch bewusst macht, mehr Furcht einflößend klingt. Als Verräter wider Willen verleiht Merab Ninidze Penkovsky viele Schattierungen. Es ist eine ebenso sehenswerte Darbietung wie diejenige von Jessie Buckley als Grevilles Ehefrau Sheila, die nach zurückliegenden Verfehlungen Grund genug hat, ihrem Mann zu misstrauen, deren Stärke aber gerade im letzten Drittel imponiert.

Dabei beginnt Der Spion wie eine klassische Agentengeschichte, beschreibt die Übergabe von Informationen, den Austausch von Unterlagen und das Misstrauen, dem sich Wynne in Moskau bei seinen Besuchen gegenübersieht ebenso, wie das Misstrauen, das ihm zuhause bei seiner Frau entgegenschlägt. Dies wäre alles unverfänglich, würde sich nicht im Hintergrund der Konflikt zwischen Ost und West zuspitzen. So weicht die Erzählung in der zweiten Hälfte einem packend gespielten und ebenso dargebrachten Drama. Trotz einiger temporeicher Situationen kommt Regisseur Dominic Cooke dabei ohne übertriebene Actionmomente aus, sondern zieht die Spannung vielmehr aus dem persönlichen Dilemma, in dem sich die Figuren wiederfinden. Er kleidet seinen Film in zurückhaltende Bilder, die allerdings das Flair jener Zeit gelungen einfangen, sowohl hinsichtlich der Aufnahmen während Wynnes Missionen als auch bezogen auf die tadellose Ausstattung. Es ist eine Präsentation, die abgerundet wird durch eine stimmungsvolle musikalische Untermalung und Aufnahmen des wirklichen Greville Wynne am Ende, die verdeutlichen, dass es für Mut keine Maske und keinen Umhang braucht. Nur bräuchte es eben mehr davon.


Fazit:
Das Angebot, das Greville Wynne unterbreitet wird, klingt wie ein Abenteuer: Als Spion für Königreich und Vaterland aktiv zu sein, selbst wenn er gar nicht weiß, was für Dokumente er überhaupt transportiert. Doch gerade einmal 15 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs kann er sich nur zu gut ausmalen, was mit ihm geschehen würde, sollte er in Russland enttarnt werden. Regisseur Dominic Cooke zeichnet in ihm wie auch in Oleg Penkovsky das Bild zweier Männer, die nicht tun wollen, was sie tun müssen. Das entspricht nicht dem, was ein Publikum, das auf eine temporeiche Agentengeschichte aus ist, wohl erwartet. Doch es ist eine Geschichte, die gerade durch ihren wahren Hintergrund fesselt und in gewisser Weise auch inspiriert. Mit zwei starken und ergreifenden Darbietungen im Zentrum, ist Der Spion ein beinahe altmodischer und vermutlich durchaus realistischer Einblick in die internationale Geheimdienstarbeit zu Beginn der 1960er-Jahre. Im Verlauf wird sie zunehmend ernster und wandelt sich zu einem packenden Drama, das, wenn man sich darauf einlässt, die Porträts zweier Helden zeichnet, die auf unterschiedlichen Seiten standen – aber so verschieden offenbar nicht waren. Sehenswert.