The New Mutants [2020]

Wertung: 2.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 1. November 2021
Genre: Fantasy / Horror

Originaltitel: The New Mutants
Laufzeit: 94 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Josh Boone
Musik: Mark Snow
Besetzung: Blu Hunt, Maisie Williams, Anya Taylor-Joy, Charlie Heaton, Henry Zaga, Alice Braga, Adam Beach


Kurzinhalt:

Mitten in der Nacht wird die Jugendliche Dani (Blu Hunt) von ihrem Vater aufgeweckt und in Sicherheit gebracht, während das Cheyenne-Reservat, in dem sie leben, verwüstet wird. Als sie wieder aufwacht, befindet sich Dani in einer abgeschirmten Einrichtung unter der Aufsicht von Dr. Cecilia Reyes (Alice Braga). Sie erklärt Dani, dass sie die einzige Überlebende ist und eine Mutantin. Da nicht bekannt ist, was Danis Fähigkeiten sind, wurde sie in ein umfunktioniertes, alte Krankenhaus gebraucht. In der Einrichtung ebenfalls untergebracht sind Rahne (Maisie Williams), Illyana (Anya Taylor-Joy), Roberto (Henry Zaga) und Sam (Charlie Heaton). Sie alle verbindet, dass ihre besonderen Fähigkeiten eine Gefahr für sich und andere darstellen. Wenn sie gelernt haben, diese Fähigkeiten zu kontrollieren, können sie laut Reyes von ihrem Auftraggeber weiter unterrichtet werden. Alle fünf Jugendliche sind der Meinung, dass es ihnen ermöglicht wird, X-Men zu werden. Doch dann suchen sie Alpträume und Visionen heim, die ihre tiefsten Ängste heraufbeschwören und das Hospital, in dem sie sich befinden, entpuppt sich als tödlicher Käfig, in dem sie gefangen sind …


Kritik:
Die Entstehungsgeschichte von Josh Boones The New Mutants ist derart verzweigt und interessant, dass eine ehrliche Retrospektive des Filmemachers überaus verlockend klingt. Sie wäre vermutlich interessanter als der letztendliche Film, der wohl den letzten im bisherigen X-Men-Universum darstellt, bis die Superhelden für das Marvel Cinematic Universe (kurz MCU) irgendwann wiederbelebt werden. Vielleicht ist aber gerade die komplizierte Entstehung auch der Grund, weswegen sich die Reihe nach einigen Höhepunkten selbst ins Aus katapultiert hat.

Ursprünglich bereits im Jahr 2017 gedreht, wurde damals über The New Mutants, auch bekannt als X-Men: New Mutants, berichtet, dass sich der Film von den bisherigen Teilen dahingehend unterscheiden sollte, dass es nicht um die Rettung der Welt gehen und die Geschichte auch inhaltlich eine andere Richtung einschalten sollte. Boone kündigte seinerzeit einen Horrorfilm im Superheldenuniversum an, bei dem aber wenigstens Professor X als bekannte Figur mit an Bord sein sollte. Zahlreiche Drehbuchänderungen später, waren die bekannten Charaktere gestrichen und statt einem düsteren Horrorfilm, sollte das Publikum nun eine „Young Adult“-Story erwarten, also heranwachsende Figuren, auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Nach den Testvorführungen war das damalige Studio 20th Century Fox durchaus zufrieden und man gab Boone wohl den Auftrag, mit Nachdrehs doch eher seine Vision der Geschichte umzusetzen, also einen düstereren Fantasyfilm, der seiner Aussage nach kaum digitale, sondern praktische Effekte verwenden sollte. Doch dann kam die Firmenübernahme von Fox durch Disney und The New Mutants war eines der Projekte, die buchstäblich durch das Raster fielen. Nicht nur, dass der neue Eigentümer des Films offenbar nicht wusste, wie er damit umgehen sollte, man hatte wohl auch Bedenken, den Film unter dem Dach des Medienunternehmens zu veröffentlichen, das die Marvel-Comic-Verfilmungen beheimatete. Teil dieses MCU ist The New Mutants nämlich nicht. So schlummerten die gedrehten Szenen und eine Rohfassung in den Schubladen der Verantwortlichen, ehe Regisseur Boone den Auftrag bekam, den Film doch noch fertig zu stellen – ohne Nachdrehs und während er selbst in anderen Projekten investiert war.

Dem Ergebnis sieht man diesen Werdegang bedauerlicherweise durchweg an, wobei es keinen Kritikpunkt darstellt, dass The New Mutants keine bekannten Figuren mitbringt. Sich auf neue Charaktere in diesem weitläufigen Comic-Universum zu konzentrieren, könnte sogar erfrischend sein und dass Filmemacher Boone in der Lage ist, junge Figuren glaubwürdig einzufangen, hat er nicht zuletzt mit dem Drama Das Schicksal ist ein mieser Verräter [2014] bewiesen. Selbst die Idee einer Horrorstory im Superhelden-Kosmos klingt interessant, doch worauf sich das Publikum einstellen muss, sieht man bereits in den ersten Minuten, in denen die junge Danielle, „Dani“, Moonstar von ihrem Vater geweckt wird, während eine Naturgewalt das Cheyenne-Reservat, in dem sie leben, verwüstet. Der Abschnitt ist derart verwackelt und dunkel eingefangen, dass das Publikum keinen Überblick vermittelt bekommt, was geschieht. Ähnlich verhält es sich auch beim Finale, das viele Stilmittel des Anfangs wieder aufgreift.

Was dazwischen geschieht, ist leider weit weniger unheimlich oder unterhaltsam, als es sich im ersten Moment anhört: Nach den Ereignissen zu Beginn wacht Dani in einer abgelegenen Einrichtung auf, einem alten Krankenhaus, in dem sie die Ärztin Dr. Reyes behandelt. Andere Patientinnen und Patienten sind Rahne, Illyana, Sam und Roberto. Sie alle sind Mutanten, die ihre Fähigkeiten aber nicht kontrollieren können und damit eine Gefahr für sich und andere sind. Rahne kann sich in eine Wölfin verwandeln, Sam sich als ‚Cannonball‘ rasend schnell, aber wenig kontrolliert bewegen. Roberto wird heiß wie die Sonne und verbrennt alles um sich herum, wenn er nicht konzentriert ist, während Illyana Zauberfähigkeiten besitzt. Teleportation, ein spezielles Schwert, sogar einen kleinen Drachen und eine andere Dimension kann sie manifestieren. Nur was Danis Fähigkeiten sind, weiß niemand. Reyes verspricht ihnen, dass wenn ihre Behandlung erfolgreich verläuft, sie in eine andere Einrichtung kommen und so, wie sie es formuliert, interpretieren die Jugendlichen, dass damit die Begabtenschule von Professor X gemeint ist.

Bis die Figuren alle vorgestellt werden, nimmt sich The New Mutants sehr viel Zeit. So viel, dass man gar nicht anders kann als zu bemerken, dass diese Einrichtung, die mit einem Kraftfeld abgeschirmt ist, so dass die jungen Mutantinnen und Mutanten nicht fliehen können, viel zu groß scheint für die fünf Personen. Auch, dass mit Dr. Reyes nur eine einzige Aufsichtsperson vor Ort ist, wirkt geradezu aberwitzig. Es ergibt ebenso wenig Sinn, wie weshalb die Jugendlichen sich gegenseitig an einen Lügendetektor anschließen, um sich gegenseitig über ihre Fähigkeiten zu befragen. Vier von ihnen kennen sich schon und haben sich sicher bereits ausgetauscht, während Dani nicht einmal an das Gerät angeschlossen wird.

Bis die Geschichte überhaupt in Gang kommt, braucht es erstaunlich lange. Dann erst werden die Mutanten von Visionen und Alpträumen ihrer schlimmsten Ängste heimgesucht. Doch anstatt dies nacheinander aufzubauen, jede Nacht auf eine andere Person zu verteilen, geschieht dies beinahe zeitgleich. Dass weder Reyes, die davon seltsamerweise nicht betroffen scheint, noch die Mutanten eine Verbindung herstellen, in Anbetracht wann diese Vorkommnisse begonnen haben, ist erstaunlich. Das Publikum ist hier bereits viel weiter, selbst wenn das Drehbuch nicht erkennen lässt, wie lange die einzelnen Mutantinnen und Mutanten überhaupt bereits in der Einrichtung sind, oder wer vor ihnen dort war. Dass die Geschehnisse erst mit dem letzten Neuzugang aufgetreten sind, sollte allen Beteiligten an sich aufgehen.
Bedauerlich ist das insofern, dass hier durchaus Potential schlummert, selbst wenn das grundsätzliche Setting in der unheimlichen Umgebung altbekannt klingt. Atmosphärisch könnte das gelingen, aber spätestens, wenn die Manifestationen die Einrichtung überrennen, kommen die unzureichenden Trickeffekte zum Tragen. Die erinnern eher an eine Fernsehserie, denn einen Spielfilm, und man muss sich durchaus fragen, wohin das gar nicht so niedrige Budget des Films geflossen ist.

Am Ende will der dreizehnte und wohl letzte Film jener X-Men-Reihe zu viel und gleichzeitig doch nicht genug. Einerseits soll die Story über Mutationen einmal mehr Spiegelbild für Toleranz sein, aber der Ansatz, dass die jungen Mutantinnen und Mutanten sich und ihre Fähigkeiten so annehmen müssen, wie sie sind, geht in dem wenig gelungenen Effektegewitter beim Finale unter. Ein gleichgeschlechtliches Paar hier vorzustellen, ist an sich eine gute Idee, die Anziehungskraft der beiden Figuren kommt aber buchstäblich aus dem Nichts. Ebenso wenig greifbar sind die Charaktere von Sam und Roberto, wohingegen die Wandlung bei Illyana im besten Fall als weit hergeholt bezeichnet werden kann. Dass es keinen zentralen Bösewicht gibt – wobei Dr. Reyes, die sich ihre Gewissensentscheidung allzu einfach macht, durchaus als Bösewichtin zählen kann – mag bewusst gewählt sein. Doch da sich die Horrorelemente allesamt auf die zweite Filmhälfte beschränken, wirkt die Struktur von The New Mutants im günstigsten Falle hölzern. Zu Beginn eine mäßig überzeugende und langgezogene Geschichte über das Erwachsenwerden, ohne jegliche neue Ansätze, danach eine seichte Horrorstory und ein Finale, das es weder hinsichtlich Aufbau, noch Finesse mit den zahlreichen besseren Comic-Verfilmungen aufnehmen kann, ist es rundum schlicht enttäuschend.


Fazit:
Ein wenig junge Erwachsene auf der Suche nach sich selbst, ein bißchen gruseliger Horror und eine Prise Superheldenepos am Ende. Josh Boones X-Men-Film ist in etwa so uneinheitlich und fahrig, wie die Produktionsgeschichte vermuten lässt. Jedes Element für sich könnte funktionieren, wenn die Geschichte sich auch darauf einlassen würde. Aber anstatt die Traumata der jungen Menschen ernst zu nehmen, werden sie im Vorbeigehen thematisiert und mit Kalendersprüchen unterlegt, dass man sich fragen muss, wer die Dialoge der einzig erwachsenen Person hier geschrieben hat. Passend dazu gibt es auch eine Lebensweisheit am Ende, die unmittelbar von einer Postkarte zu stammen scheint. Handwerklich ist das über weite Strecken unspektakulär, aber erstaunlich statisch. Anfang und Ende sind jedoch so dunkel eingefangen, dass es den Eindruck erweckt, man wollte die unterdurchschnittlichen Trickeffekte so verbergen. Schade ist es um die Besetzung, die hier stellenweise wenig vorteilhaft in Szene gesetzt oder nicht entsprechend gefordert wird. Sie alle hätten eine bessere Geschichte verdient, als diese, und man kann nur vermuten, wie viel hiervon darauf zurück zu führen ist, dass The New Mutants nicht der Film ist, der er ursprünglich sein sollte. So lobenswert es ist, dass Filmschaffende ihre Vision verfolgen dürfen, man sollte ihnen auch erlauben, sie am Ende so umzusetzen. Was ansonsten dabei herauskommt, ist in diesem Fall nur leidlich unterhaltsam und weder als eigenständiger Film, noch als letzter der Reihe zu empfehlen.