The King of Staten Island [2020]

Wertung: 3 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 27. Juni 2020
Genre: Komödie / Drama

Originaltitel: The King of Staten Island
Laufzeit: 137 min.
Produktionsland: Frankreich / USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Judd Apatow
Musik: Michael Andrews
Besetzung: Pete Davidson, Marisa Tomei, Bill Burr, Bel Powley, Maude Apatow, Steve Buscemi, Ricky Velez, Lou Wilson, Moisés Arias, Luke David Blumm, Alexis Rae Forlenza, Pamela Adlon


Kurzinhalt:

Für den 24jährigen Scott (Pete Davidson) klingt sein Plan, ein Restaurant zu eröffnen, in dem sich Gäste tätowieren lassen können, ebenso wie für seine Freunde, darunter Oscar (Ricky Velez), aber auch seine heimliche Freundin Kelsey (Bel Powley), schlüssig und erfolgversprechend. Dass sie alle ständig Gras rauchen und ihre Zeit mit Nichtstun verbringen, rückt ihr Urteilsvermögen jedoch in ein anderes Licht. Dabei kann für Scott auch alles so bleiben, wie es ist. Er wohnt immer noch zuhause bei seiner Mutter Margie (Marisa Tomei) und seine Schwester Claire (Maude Apatow) geht nun aufs College. Obwohl Scott mit seinen Freunden sogar Witze darüber macht, dass er seinen Vater vor 17 Jahren verloren hat, als der Feuerwehrmann bei einem Einsatz ums Leben kam, tatsächlich hat Scott den Verlust nie überwunden. Als sich seine Mutter ausgerechnet auf eine Beziehung mit dem Feuerwehrmann Ray (Bill Burr) einlässt, gerät der Status quo aus dem Gleichgewicht – und Scott ist nicht gewillt, das hinzunehmen …


Kritik:
Es ist schwer zu sagen, was für einen Film Regisseur und Ko-Autor Judd Apatow mit The King of Staten Island erzählen möchte. Inhaltlich gerät die Dramödie so ziellos wie ihre Hauptfigur. Das ist insofern schade, da die Besetzung nicht nur toll ausgesucht ist, sondern den Personen in der Geschichte eine greifbare Authentizität verleiht. Das Frustrierende daran ist, dass der zentrale Charakter nicht nur der unsympathischste von allen ist, sondern auch der uninteressanteste.

Dabei wäre es falsch zu sagen, dass Pete Davidson in der Hauptrolle keine gute Darbietung zeigen würde. Im Gegenteil, die Rolle des 24jährigen Scott ist ihm buchstäblich auf den Leib geschrieben, so dass sich zahlreiche Erlebnisse von Davidsons wahrem Leben im Film widerspiegeln. Sein Vater war – ebenso wie Scotts im Film – Feuerwehrmann und starb bei einem Einsatz. In The King of Staten Island wirft der Verlust den damals siebenjährigen Scott vollkommen aus der Bahn. Seine Mutter, die ihn und seine Schwester Claire ohne Hilfe großzieht, bleibt beinahe zwei Jahrzehnte allein. Während Claire inzwischen ihren High School-Abschluss macht und aufs College geht, wohnt Scott immer noch zu Hause. Er arbeitet nicht, verbringt viel Zeit mit seinem Freunden, darunter Oscar, sieht sich Filme an und spielt Videospiele. Und raucht ständig Marihuana. Es gibt kaum einen Moment in der ersten Filmhälfte, in der er nicht mehr oder weniger unter Drogeneinfluss steht.

Man erkennt Scott auf den ersten Blick an seinen unzähligen Tattoos, die er am ganzen Körper trägt, bis auf sein Gesicht. Er meint in einem Moment, dass er sich immer dann tätowieren lässt, wenn er Dinge zu verarbeiten hat, um ihn zu beruhigen – er muss eine sehr stressige Jugend gehabt haben. Dabei wird Scott nicht müde zu erzählen, wie überlebensgroß sein Vater in seiner Erinnerung gewesen ist. In Erzählungen wird er als witziger, mutiger und rundum perfekter Held dargestellt, und auf ein Podest gestellt, das Scott nie erreichen könnte. Also versucht er es auch gar nicht. So plätschert seine Beziehung zu Kelsey vor sich hin und wenn man ihn fragt, was er aus seinem Leben machen will, erzählt er davon, ein Restaurant zu eröffnen, in dem sich Gäste tätowieren lassen können. Eine Ausbildung als Tätowierer hat er nicht, nichtsdestotrotz versucht er sich an seinen Freunden. Und auch an dem neunjährigen Harold. Dass er durch sein Ich-bezogenes Verhalten sowohl seiner Mutter als auch seiner Schwester das Leben schwermacht, erkennt Scott nicht, vielmehr setzt er, als seine Mutter jemanden findet, der sie glücklich macht, alles daran, die Beziehung zu sabotieren.
Kurzum: Scott ist jemand, den man nicht gern um sich haben möchte.

Diese Erkenntnis setzt auch bei den anderen Figuren irgendwann ein, die hinter seine schnippisch-witzige Fassade blicken, dank der er mit schlagfertigen Kommentaren Situationen auflockert, selbst wenn er tatsächlich gemein ist zu Menschen, die es gut mit ihm meinen. Und berechnend obendrein, wie wenn Scott seine Kelsey aufsucht, die sich eine feste Beziehung wünscht, nur weil er nicht auf der Straße schlafen möchte. Dass der Verlust seines Vaters ihm als Kind den Boden unter den Füßen weggezogen hat, ist nicht bestritten, allerdings beschreitet The King of Staten Island dabei keine neuen Wege. Findet Scotts Mutter nach etwa einer halben Stunde im Feuerwehrmann Ray jemanden, den sie gern um sich hat, fragt man sich, wohin sich der Film entwickeln soll. Ist Scott an sich die Hauptfigur, verbringt der Film einige Zeit mit ihr, dann wieder mit Ray und seinen Kindern. Es ist, als würde sich die Geschichte vom Leben treiben lassen. Dass irgendwann so etwas wie ein Lernprozess bei Scott einsetzt, ist keine Überraschung, wohl aber, wie lange alle Menschen um ihn herum es mit ihm aushalten.

Dabei entwickeln Marisa Tomei als Scotts Mutter und Bill Burr als Ray eine gelungene Chemie und selbst die drei naiven Freunde von Scott wirken interessanter als er. The King of Staten Island scheint nicht gewillt, eine richtige Komödie sein zu wollen, oder aber ein Drama, bei dem die traumatisierte Hauptfigur alle Menschen in ihrer Umgebung ins Unglück stürzt. Judd Apatow versucht sich an einer Mischung aus beidem, die am Ende geradezu bewusst oberflächlich erscheint. Nicht nur angesichts der übrigen Besetzung, sondern der Figuren, wie der von Steve Buscemi gespielte Feuerwehrmann Papa, der im letzten Drittel Scott die Szenen förmlich stiehlt, bleibt der Eindruck, dass hier zu viel Potential ungenutzt bleibt.


Fazit:
Für eine traumatisierte Hauptfigur, deren egoistisches Verhalten, bei dem er seine Bequemlichkeit über das Glück seiner Mutter stellt, ist Scott trotz allem schlicht zu „nett“. Zwar ist er in seinen Aussagen und seinem Verhalten überaus berechnend, aber eine Böswilligkeit mag man ihm nicht unterstellen. Nur so entwickelt das Drama nie die Zugkraft, die es haben möchte und alle anderen Charaktere scheinen interessanter als derjenige im Zentrum. So ziellos wie Regisseur Judd Apatow seinen Film erzählt, dauert es viel zu lange, ehe Scott überhaupt so etwas wie eine Perspektive erhält, wobei die groben Wegstationen alles andere als überraschend sind. Die mäandrierenden Dialoge sorgen für eine greifbare Authentizität und unbestritten gelingt dem Film eine gute Stimmung, doch es fehlt ein wirklicher Anfang oder auch ein richtiges Ende für die Reise der Figur. Stellenweise ist das durchaus witzig und ebenso greifbar gespielt. Als Improvisationskunst wäre The King of Staten Island auch eindrucksvoll, als Drama oder Komödie allerdings ist das zu unentschlossen und zahnlos und mit deutlich über zwei Stunden mehr als eine halbe Stunde zu lang. Auch darum baut die Geschichte nie die emotionale Wucht auf, die sie haben könnte. Oder sollte.