The Hate U Give [2018]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 20. Januar 2020
Genre: Drama / Krimi

Originaltitel: The Hate U Give
Laufzeit: 133 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: George Tillman Jr.
Musik: Dustin O’Halloran
Besetzung: Amandla Stenberg, Regina Hall, Russell Hornsby, Anthony Mackie, Issa Rae, Common, Algee Smith, Sabrina Carpenter, K.J. Apa, Dominique Fishback, Lamar Johnson, TJ Wright, Megan Lawless, Rhonda Johnson Dents


Kurzinhalt:

Weil die 16jährige Starr Carter (Amandla Stenberg) und ihre Familie in einem sogenannten, afroamerikanischen „Problemviertel“ leben, haben ihre Eltern Lisa (Regina Hall) und Maverick (Russell Hornsby) entschieden, sie und ihre zwei Brüder auf eine etwas entfernt gelegene, vornehmlich von Weißen besuchte Privatschule zu schicken. Als Starrs Sandkastenfreund Khalil (Algee Smith) anbietet, sie nach einer Party nach Hause zu fahren, werden sie von einer Verkehrsstreife abgehalten und Khalil bei der Kontrolle vom Polizisten erschossen. Während die Gemeinde, angeführt von der Anwältin April Ofrah (Issa Rae), ihrer Wut über die anhaltende, rassistische Polizeigewalt zunehmend mit Demonstrationen Ausdruck verleiht, muss Starr entscheiden, ob sie vor einer Grand Jury aussagen will, die entscheiden wird, ob der Polizist sich vor Gericht wird verantworten müssen. Länger zu schweigen ist für sie keine Option, selbst wenn sie dadurch ins Visier des Gangsters King (Anthony Mackie) gerät, für den Khalil dealte und der eine gemeinsame Vergangenheit mit Starrs Vater hat …


Kritik:
Basierend auf dem gleichnamigen Debütroman von Autorin Angie Thomas erzählt The Hate U Give eine fiktive Geschichte, die kaum mehr aus dem Leben gegriffen sein könnte. Darin muss eine sechzehnjährige, farbige Teenagerin aus einem armen Viertel einer amerikanischen Stadt mitansehen, wie ihr Freund aus Kindertagen von einem weißen Polizisten erschossen wird. Der Blick in den Alltag einer afroamerikanischen Familie durch die Augen dieses Mädchens nach der Tat ist nicht nur schockierend. Die Wut der Figuren und der Filmemacher wird geradezu greifbar. So gerechtfertigt und verständlich sie ist, ein Aspekt lässt das sehenswerte Drama leider vermissen.

Trifft das Publikum nach einem kurzen Prolog zum ersten Mal auf die Protagonistin Starr Carter, die das Geschehen stellenweise aus dem Off kommentiert, dann könnte sie eine ganz normale Jugendliche sein. Ihr Lachen ist unbeschwert, ihr Umgang mit ihren Brüdern wie man es erwarten würde und auch in der Schule hat sie Freunde gefunden. Zu diesem Zeitpunkt weiß man noch nicht, dass sie schon vor Jahren Schlimmes erlebt hat und selbst wenn sie erzählt, dass ihre Familie in einer gefährlichen Gegend wohnt, ihre Eltern sie aber gerade deshalb auf eine weiter weg gelegene, renommierte Schule schicken, dann hört man sie zwar darüber sprechen, aber man versteht es nicht. Wie soll ein weißes Publikum begreifen, was es insbesondere in Teilen der USA bedeutet, auf Grund der Hautfarbe anders behandelt zu werden?
Filmemacher George Tillman Jr. zeigt an Starr, wie es sich für sie anfühlt, als Farbige an einer Eliteschule zu sein, an der vornehmlich weiße Kinder unterrichtet werden. Wie einige Ihrer Freundinnen und Mitschüler sich mit ihr umgeben, Umgangssprache der farbigen Bevölkerung annehmen, als wäre es ein Trend und sie ein Aushängeschild. Gleichzeitig wird sie in ihrer eigenen Nachbarschaft als Außenseiterin angesehen, hat sie doch schulisch für „Flucht“ angetreten, als wäre ihr Zuhause nicht gut genug für sie.

Auch wenn die Zweifel bleiben, wozu sie gehört, schildert Starr ihr Leben in The Hate U Give doch hoffnungsvoll und fröhlich. Bis zu jener Verkehrskontrolle, bei der ihr Jugendfreund Khalil dem Polizisten wiederholt widerspricht, sich entgegen der Aufforderung, stehen zu bleiben, durch das offene Fenster ins Auto beugt und mit einem Gegenstand in der Hand wieder aufrichtet. Sekunden später ist er tot und die Gemeinde ebenso in Trauer wie in Aufruhr angesichts eines weiteren Farbigen, der von einem Polizisten erschossen wurde. Statt dass sich die Medien auf die himmelschreiende Ungerechtigkeit stürzen würden, gerät Khalils Umfeld in den Fokus. Um seine Familie zu unterstützen, hatte er sich als Drogendealer bei dem nur „King“ genannten Gangster im Viertel verdient. So, wie Starrs Vater früher. Um Khalils Andenken zu bewahren, entscheidet sich Starr, nicht länger zu schweigen. Sie will aussagen, in einem Fernsehinterview, in dem sie die Perspektivlosigkeit für Kings Macht und Einfluss verantwortlich macht. Und sie will vor der Grand Jury bezeugen, was geschehen ist, so dass die Geschworenen entscheiden, ob gegen den Polizisten Anklage erhoben wird. Erfahrungsgemäß kommen diese Fälle der Polizeigewalt nicht einmal vor Gericht.

Hier liegt der an sich einzige Schwachpunkt des thematisch ebenso tragischen wie aktuellen Dramas. Scheint der junge Polizist angesichts seiner folgenschweren Fehleinschätzung anfangs durchaus schockiert, erhält er den gesamten Film über keine Stimme mehr. The Hate U Give prangert zu Recht an, wie die Opfer in der öffentlichen Meinung herabgesetzt werden, als wäre ihr Leben weniger wert, je nachdem, welche Entscheidungen sie getroffen hatten. Doch selbst wenn es das Verhalten des Polizisten nicht entschuldigt und eine Erklärung nie aufwiegen kann, welche Konsequenzen aus seiner Entscheidung erwachsen, man sollte ihm zumindest die Möglichkeit geben, sich zu äußern. Es gibt einen solchen Moment, in dem Starr von ihrem Onkel, Polizist Carlos, ein Einblick in die Polizeiarbeit gegeben wird, doch der ist zu schnell vorüber. Und so greifbar die Figuren und die Handlung insgesamt sind, was sie erleben, klingt merklich bekannt.

Wovon das Drama hingegen spürbar profitiert, ist die hervorragende Besetzung, angefangen mit Amandla Stenberg. Nicht nur, dass sie der Thematik eine greifbare Präsenz verleiht, zu sehen, wie diese anfangs fröhliche Teenagerin an der Trauer zu verzweifeln droht, ehe die Wut, die sich in ihr aufbaut, ihr ein Ziel und eine Stärke verleiht, ist beeindruckend verkörpert. Die übrigen Beteiligten stehen dem in nichts nach. Dem Filmemacher gelingt mit The Hate U Give ein ebenso aktuelles wie packendes Porträt einer Gesellschaft, deren Spaltung nicht nur spürbar ist, sondern Menschenleben kostet. Wie sich das auf eine Familie, auf eine junge Person auswirken kann, ist fantastisch und sehenswert geschildert. Und ermutigend obendrein.


Fazit:
Die Nebenhandlung um den Gangster King ist für das eigentliche Drama an sich nicht notwendig, sorgt am Ende jedoch für eine starke und immerhin positive Botschaft, gerade für diejenigen, die Opfer der gezeigten Umstände sind. Bedauerlich ist jedoch, dass dem Polizisten kein Platz eingeräumt wird. Es sind Kritikpunkte, die angesichts der übrigen Präsentation und der Erzählung kaum ins Gewicht fallen. Von einer bemerkenswerten Besetzung durchweg erstklassig verkörpert, fängt Regisseur George Tillman Jr. das Geschehen ein, ohne seine Figuren einzuengen. Wie wichtig allen Beteiligten die Aussage von The Hate U Give sein muss, lässt sich angesichts der spürbaren Wut und der herausstechenden Forderung nach Veränderung, mit der das Drama erzählt ist, erahnen. Dies ist ein wichtiger und starker Film, der das schwierige Thema auf eine Art aufbereitet, dass auch ein jugendliches Publikum Lehren daraus ziehen kann. Will man eine bessere Zukunft aufbauen, kann man nicht früh genug damit anfangen.