The Eye [2002]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 16. Januar 2005
Genre: Horror

Originaltitel: Jian gui
Laufzeit: 95 min.
Produktionsland: Hong Kong / Großbritannien / Thailand / Singapur
Produktionsjahr: 2002
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Oxide Pang Chun, Danny Pang
Musik: Orange Music
Darsteller: Lee Sin-je, Lawrence Chou, Chutcha Rujinanon, Yut Lai So, Candy Lo, Yin Ping Ko, Pierre Png, Edmund Chen, Wai-Ho Yung


Kurzinhalt:
Mit zwei Jahren ist Wong Kar Mun (Lee Sin-je) erblindet und hat die Welt nur durch Hören und Tasten kennen gelernt. Fast 20 Jahre später nimmt sie durch eine Hornhaut-Transplantation die Gelegenheit wahr, ihr Augenlicht wieder zu erlangen. Anfangs sieht sie noch verschwommen, doch je klarer ihr Blick wird, desto häufiger erkennt sie Personen, die von anderen Menschen nicht wahrgenommen werden.
Als ihr klar wird, dass sie die Toten sehen kann, möchte sie sich in ihrer Wohnung einschließen, bis sie sich schließlich mit ihrem Therapeuten Dr. Wah (Lawrence Chou) auf die Suche nach der Ursache für ihre Gabe macht, die sehr wahrscheinlich von der Spenderin ihrer Hornhaut ausgeht – so beginnt für Wong Kar Mun die Reise in eine furchteinflößende Welt, die sie noch nie gesehen hat, und in der sie nicht weiß, was wirklich ist und was nicht.


Kritik:
Es ist der Taktik der Filmverleihe zu verdanken, dass man in den USA und Europa die meisten asiatischen Horror-Kult-Filme erst dann zu sehen bekommt, wenn das Hollywood-Remake entweder schon in Produktion ist, oder gar bereits veröffentlicht. So geschehen bei Ringu [1998], für dessen Remake Ring [2002] das Original kurzerhand vom US-Videomarkt genommen wurde – man möchte sich ja nicht die Kino-Kundschaft abspenstig machen. Da sich findige Fans die DVDs aber problemlos aus Hong Kong importieren, musste Hollywood schließlich die Latenzzeit der Remakes verkürzen, so geschehen bei Ju-on: The Grudge [2003], dessen Remake mit Sarah Michelle Gellar nur ein Jahr nach dem Original veröffentlicht wurde.
Im Falle vom über zwei Jahre alten The Eye war die Traumfabrik allerdings nicht so schnell; das Remake ist erst für Weihnachten 2005 angekündigt. Interessenten haben somit noch genügend Zeit, sich das Original aus der Videothek auszuleihen – und wer keine Schwierigkeiten damit hat, sich auf das Werk einzulassen, wird bei dem unheimlichen, gruseligen und sehr gut fotografierten Horror-Thriller-Drama von den Pang Brothers auf seine Kosten kommen.

Zu verdanken ist das vor allem dem Drehbuch, das zwar im Rückblick einige Lücken aufweist und auch Parallelen zu The Sixth Sense [1999] besitzt, aber dennoch dank innovativer und ungewöhnlicher Ideen zu überzeugen weiß.
So beginnt die Geschichte mit einer jungen Frau, die durch eine Hornhaut-Transplantation ihr Augenlicht wieder erlangt – dass sie nach 18 Jahren Blindheit selbst mit neuer Hornhaut nicht mehr sehen könnte, da sich die Nerven-Enden im Auge zurückgebildet hätten, sei den Machern aus dramaturgischen Gesichtspunkten verziehen. Doch was zunächst wie die asiatische Version von Blink - Tödliche Augenblicke [1994] beginnt, wandelt sich schnell in einen unheimlichen Horror-Film, dessen subtile und offensichtliche Schock-Momente das Skript sehr gut herausarbeitet. Dabei sind es vor allem alltägliche Situationen, in denen Wong Kar Mun sich den Geister-Erscheinungen augesetzt sieht und die den Zuschauer dementsprechend beruhigen.
Während man als Zuseher allerdings relativ schnell hinter das Geheimnis dieser Erscheinungen kommt, vergeht im Mittelteil des Films etwas zu viel Zeit, bis sich die Hauptfigur ihrer eigentlichen Begabung bewusst wird. Obwohl die bedrohliche Stimmung permanent aufrecht erhalten wird, hätte man das Drehbuch hier etwas straffen können.
Sobald sich Wong Kar Mun jedoch auf die Suche nach der Ursache ihrer Visionen macht, nimmt auch das Drehbuch wieder Fahrt auf, verknüpft vermeintlich belanglose Details, die zu Beginn eingeführt wurden, geschickt zur tatsächlichen Hintergrund-Geschichte des Films und findet mit einem sehr intensiven Finale einen gebührenden Abschluss.
Wer jedoch nach der Sequenz im thailändischen Haus der Meinung ist, die Pang Brothers würden den Film so ruhig ausklingen lassen, der irrt – das eigentliche Action-Finale ist nicht nur hervorragend geschrieben und aufgebaut, es ist zudem erstklassig gefilmt, choreographiert und tricktechnisch ein audio-visueller Sturm für die Sinne.

Inszenatorisch beweisen die Regisseure Oxide Pang Chun und Danny Pang ein Auge für opulente, einfallsreiche Bilder, die dank der sehr guten Bildkomposition zu jeder Zeit durchdacht wirken und gerade im Szenen-Aufbau mit den Toten eine derart beklemmende Stimmung aufkommen lassen, dass man The Eye ohne Übertreibung einen der gruseligsten Filme der letzten Jahre nennen kann. Dabei fangen die Macher sowohl die Metropole Hong Kong gut ein, als auch die "zweite" Welt, in der sich Wong Kar Mun bewegt.
Mit ungewöhnlichen Blickwinkeln, einer stetig anziehenden Spannung und einem exzellent ausgetimten Schluss beweisen die Pang Brothers, dass das moderne Asien-Kino selbst den großen Hollywood-Produktionen ohne Weiteres gewachsen ist.

Die Darsteller sind ansich alle überaus motiviert, allen voran Lee Sin-je, die als zerbrechliche und eingeschüchterte Hauptfigur eine sehr gute Darbietung abliefert. Neben der anfänglichen Begeisterung für die neue Erfahrung des Sehens, bringt die sogar als Sängerin bekannte Schauspielerin auch die Furcht vor den unbekannten Figuren, und nicht zuletzt, wie Wong Kar Mun lernt, ihre Begabung einzusetzen, äußerst überzeugend dar.
Die junge Yut Lai So, die als Wong Kar Muns Schwester Yingying relativ wenig zu sehen ist, agiert ebenso routiniert wie Yin Ping Ko als ihre Großmutter.
Als größter Schwachpunkt des Films erweist sich allerdings Lawrence Chou, der für einen Therapeuten einen zehn Jahre zu jungen Eindruck macht und lediglich beim Finale glaubhaft spielt; davor wird man das Gefühl nicht los, dass der jugendliche Mime mit seiner Rolle schlicht überfordert ist.
Die übrige Besetzung verkörpert ihre Rollen angemessen, wozu auch die Geister-Darsteller zählen, die mit ihrem gelungenen Spiel tatsächlich Furcht einflößen.

Musikalisch überrascht The Eye mit einigen sehr eingängigen Themen, von denen vor allem die Hauptmelodie und das Motiv während der unheimlichen Szenen im Gedächtnis bleiben. Hier unterstützt Orange Music das Geschehen im Film gekonnt, untermalt die Bilder mit einer pochenden, das Tempo steigernden Musik. Anderes gilt hingegen bei den etwas mäandrierenden Szenen, in denen der Score zu belanglos, zu fröhlich, zu klimpernd erscheint.
Glücklicherweise halten sich diese Momente in Grenzen, so dass man die beiden vorherrschenden, exzellent eingesetzten Themen genießen kann.

Für die großteils in Hong Kong spielende Produktion kehrten die Pang Brothers, die dort zwar aufgewachsen aber inzwischen nach Thailand ausgewandert sind, in ihre Heimat zurück – mit Erfolg. The Eye wurde in Asien ein Kino- und Video-Hit, zog in der Zwischenzeit bereits eine Fortsetzung nach sich und öffnete den Regisseuren die Türen in Hollywood, wo sie bereits an einem neuen Horror-Thriller arbeiten.
Wer sich hierzulande die DVD aus der Videothek ausleiht, hat die Möglichkeit, den Film entweder in kantonesisch mit optionalen deutschen Untertiteln anzusehen, oder in einer deutschen Synchronfassung. Wie "gut" asiatische Filme meistens synchronisiert sind, bemerkt man im Fernsehen zum Beispiel bei vielen älteren Jackie Chan-Werken und erinnert sich mit Grausen daran. Umso erfreulicher, dass der deutsche Verleih "Highlight" für The Eye ein hochwertiges Synchronstudio verpflichtete, das auf bekannte und routinierte Sprecher zurückgriff, und inhaltlich ebenfalls eine saubere Übersetzung abgeliefert hat. Das Bildmaterial der DVD weist zwar vereinzelte Unreinheiten auf, ein Fest für die Ohren ist aber der in "Dolby Digital 5.1" abgemischte Raumklang. Gerade in den spannenden Sequenzen wird dieser vollends ausgenutzt, und findet beim buchstäblich feuergefährlichen Finale darüber hinaus seinen verdienten Höhepunkt. Interessenten sei die DVD deshalb wärmstens empfohlen.

Nach einigen gruseligen Sequenzen muss man als Zuschauer erst mal richtig durchatmen. Die Pang Brothers wechseln langsamen Szenen-Aufbau mit schnellen Schockmomenten geschickt ab, so dass sich der Zuschauer selten darauf einstellen kann; dank der sehr guten Darsteller-Leistungen, der hervorragenden Optik und der eindringlichen Erzählweise des Films zählt The Eye zu den besten Exporten des asiatischen Horror-Films und richtet sich mit seiner unkonventionellen, einfallsreichen und durchgängigen Story auch an ein westliches Publikum. Manche Dialoge mögen zwar etwas gestelzt wirken, aufgrund der guten Synchronisation ist der Film aber selbst auf Deutsch außerordentlich sehenswert.
Dass die Regisseure zudem nicht auf Ekel-Effekte, sondern den subtilen Grusel setzen, dürfte vielleicht Splatterfans enttäuschen, alle anderen jedoch, dich sich lieber von erwachsenen Filmen unterhalten lassen wollen, danken den Machern für ihre Einsicht.


Fazit:
Es ist eine wahre Flut von Horror-Werken aus Asien, die zur Zeit die Welt überrollt. Die meisten, zum Teil menschenverachtend brutalen werden zwar auf entsprechenden Festivals gezeigt und beeindrucken vor allem diejenigen Zuschauer, denen ohnehin ein Besuch beim Psychiater gut tun würde, die ruhigeren, weitaus furchteinflößenderen allerdings lassen den Horror im Kopf des Zuschauers real werden und beängstigen gerade dadurch.
Wie Ring zeigt The Eye sehr wenig Brutalität und beunruhigt vielmehr mit seiner konstant angespannten Atmosphäre in ähnlichem Maße. Die Darsteller machen ihre Sache gut; optisch gehört der Film der Pang Brothers zu den besten des Genres der letzten Jahre; und infolge des herausragenden Finales ist auch der etwas lang gezogene Mittelteil schnell vergessen, zumal zahlreiche Szenen beim Publikum tatsächlich Gänsehaut erzeugen.
Schon nach wenigen Minuten hat man als Zuschauer Mühe durchzuatmen – und genau so sollte ein guter Horror-Film sein.