Sissy [2022]

Wertung: 3 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 5. Februar 2023
Genre: Horror / Komödie

Originaltitel: Sissy
Laufzeit: 102 min.
Produktionsland: Australien
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 18 Jahren

Regie: Hannah Barlow, Kane Senes
Musik: Kenneth Lampl
Besetzung: Aisha Dee, Hannah Barlow, Emily De Margheriti, Daniel Monks, Yerin Ha, Lucy Barrett


Kurzinhalt:

Auch wenn Cecilia (Aisha Dee) das ausgeglichene und von Glück erfüllte Leben, das sie ihren Followern auf Social Media in ihren Videos ausmalt, selbst nicht lebt, sondern wie andere ihre Abende mit Fertigessen auf der Couch verbringt, sie wirkt zumindest zufrieden mit ihrem Leben. Bis sie beim Einkaufen auf ihre ehemals beste Freundin Emma (Hannah Barlow) trifft, die für ihre eigene Verlobungsfeier angereist ist. Emma lädt Cecilia zuerst zur Party ein und anschließend zum Mädelswochenende. In der Hoffnung, an die Freundschaft von damals anzuknüpfen, sagt Cecilia zu, muss aber feststellen, dass sie kein wirklicher Teil von Emmas Leben mehr ist. Ihre Verlobte Fran (Lucy Barrett) begleiten den Ausflug ebenso wie Tracey (Yerin Ha) und Jamie (Daniel Monks). Vor allem aber findet das Wochenende im Haus von Alex (Emily De Margheriti) statt, die damals auf dieselbe Schule ging und die mit Cecilia ein traumatisches Erlebnis verbindet. Während des Wochenendes treten alte Animositäten wieder zum Vorschein und dass Alex Cecilia nur „Sissy“ nennt, ein Name, mit dem sie früher bereits gehänselt wurde, bringt das Fass zum Überlaufen. Es folgt eine Gewaltspirale, aus der es für Cecilia kein Entkommen gibt …


Kritik:
Die australische Horrorsatire Sissy ist schwer einzuordnen. Auf der einen Seite gelingt den Verantwortlichen hinter der Kamera, neben Kane Senes auch Nebendarstellerin Hannah Barlow, ein so unerwarteter wie beißender Kommentar gegen die heile Influencerwelt, die auf den verschiedensten Social Media-Plattformen vorgelebt wird. Auf der anderen reiht sich auch Klischee an Klischee und die Gewaltspitzen sind teilweise so brutal umgesetzt, dass sich das nur an ein ganz bestimmtes Publikum richtet.

Im Zentrum der Erzählung steht die Titel gebende Cecilia, die als Influencerin mit Selbsthilfe- und Meditationsvideos 200.000 Follower um sich schart. Vor einem pinkfarbenen Hintergrund nimmt sie ihre Videos auf, verbreitet positive Botschaften und blüht durch die Herzchen, Likes und Kommentare unter ihren Videos auf. Doch wenn die Kamera ausgeschalten wird, tritt Cecilia in eine Küche, in der zwar Magnetschilder mit positiven Aussagen am Kühlschrank kleben, ansonsten stapelt sich aber das Geschirr. Bewirbt sie in den Videos gesunde Ernährung, greift sie nach der Aufnahme zur kalten Pizza und lässt sich ebenso vom Reality-TV berieseln wie alle anderen. Beim Einkaufen begegnet Cecilia ihrer besten Freundin aus der Kindheit, Emma. Die ist derzeit in der Stadt, um ihre Verlobung zu feiern und lädt Cecilia ein, sie erst dorthin zu begleiten und anschließend zu einem Mädelswochenende mit ihren Freundinnen. Dort trifft Cecilia auf Alex, mit der sie ein traumatisches Erlebnis verbindet. Als die Cecilia dann immer wieder „Sissy“ nennt, ein Name, mit dem sie als Kind bereits gehänselt wurde, brechen bei ihr alle Dämme und es geschehen grausame Dinge.

Was die Prämisse dabei durchaus interessant macht ist der Umstand, dass Cecilia gleichermaßen Täterin wie Opfer der Situation ist. Letzteres zumindest in gewisser Hinsicht. Dies hängt mit etwas zusammen, was zwischen ihr und Alex geschehen ist, als beide noch Kinder waren. Das Ereignis deutet Sissy immer wieder an und löst es schließlich auf, ehe Cecilia ihre Mordserie beginnt. Denn, und diesen Punkt arbeiten die Verantwortlichen gelungen heraus, für Cecilia war und ist die Freundschaft zu Emma mehr, als man im ersten Moment vermuten würde. In einer Heimvideoaufnahme, die sie aus einer Zeitkapsel ausgräbt, wird die junge Cecilia gezeigt, wie sie sagt, dass die beiden nicht nur „beste Freundinnen für immer“ sein würden, sondern dass sie sich für die Zukunft wünscht, dass sich nichts ändert. Nun, der Wandel ist ein zentraler Bestandteil des Lebens, auch wenn Cecilia in ihren Influencer-Videos ein Seil um sich herum auslegt, um sich darin vor allen Einflüssen zu schützen. Auf der Verlobungsparty steht sie inmitten der anderen Gäste und strahlt, doch im Grunde ist sie ganz allein. In Emmas Leben nimmt sie keinen wirklichen Platz ein, obwohl Cecilia die damalige Zeit und die Freundschaft nie vergessen hat. Auch beim Mädelswochenende wirkt sie fehl am Platz und dass dieses ausgerechnet in Alex’ Haus stattfindet, in dem beide aufeinander treffen, bringt die gegenseitige Ablehnung nur noch mehr zur Geltung.

Die Charakterisierung von Cecilia ist dabei auf mehreren Ebenen überaus treffend. Zum einen in der Beziehung, dass sie selbst auf Social Media Tipps zur Selbsthilfe gibt, während sie selbst eine zutiefst psychotische Persönlichkeit ist. Andererseits, dass sie für ihre Hilfestellungen bei den sozialen Medien keinerlei Verantwortung übernehmen will. Dabei liegen diese Art Beiträge beunruhigender Weise im Trend. Halbgare Lebensweisheiten gepaart mit der Suggestion perfekt gestylter Lebensentwürfe ergeben bei einem labilen Publikum eine gefährliche Mischung, zumal die ständige Selbstdarstellung mit dem Hunger nach Anerkennung und Bestätigung die psychische Instabilität mitunter nur noch vergrößern kann. Dies überspitzt aufzugreifen, gelingt Sissy ausgesprochen gut.

Doch zu diesen Momenten gesellen sich Szenen, in denen Cecilia ihre Wut auf die Welt, die sie ablehnt oder ihr wenigstens nicht die Aufmerksamkeit schenkt, die sie glaubt zu verdienen, in unbändiger Gewalt bündelt. Meist aus dem Affekt heraus, in zunehmendem Verlauf mit Vorbereitung und Planung. Die Ideen der jeweiligen Morde erinnern hinsichtlich der expliziten Darstellung mitunter an Game of Thrones [2011-2019], doch soll die Brutalität in Sissy amüsieren und unterhalten, was auch der dudeligen Musik geschuldet ist, die zu Beginn noch durchaus passend erscheint, aber im Verlauf immer stärker an fröhlich-bunte Animationsfilme oder Komödien aus den 1970er-Jahren erinnert. Sieht man das aber im Zusammenhang mit Momenten, in denen den Opfern der Gewalt angekündigt wird, was mit ihnen geschehen wird, sie anschließend in Zeitlupe auf brutale Weise ermordet werden, dann ist das nicht mehr nur ausgesprochen gewalttätig, sondern schlicht grausam und unnötig explizit.

Da fällt es auch kaum mehr ins Gewicht, dass die Maskeneffekte durchaus eindrucksvoll sind, wohingegen sich das knappe Budget unter anderem dadurch bemerkbar macht, dass die Stunts spürbar schlichter ausfallen, als sie selbst andeuten. Dem hält Hauptdarstellerin Aisha Dee mit einer durchweg beeindruckenden Darbietung entgegen, die nicht nur Cecilias innere Zerrissenheit zum Ausdruck bringt, sondern gleichermaßen ihre Selbsttäuschung bei der Bewertung ihrer eigenen Taten. So ist sie zwar keine sympathische Figur, aber eine, der man gleichermaßen ungläubig wie fasziniert folgt. Sissy glorifiziert sie nicht und fällt auch eine eindeutige Aussage zur Scheinheiligkeit jener Social Media-Bubble, doch das ändert letztlich nichts daran, dass dies in eine Geschichte eingebettet ist, die die Gewalt nicht zur Abschreckung, sondern zu Unterhaltungszwecken nutzt. Auch dafür gibt es ein Publikum.


Fazit:
Die Filmschaffenden Hannah Barlow und Kane Senes stellen eine Person vor, die mit Ablehnung nicht umgehen kann, sich aber gleichzeitig in den sozialen Medien als Influencerin inszeniert und dort Gelassenheit und Selbstakzeptanz predigt, wobei sie selbst immer wieder „Ich werde geliebt“ rezitiert. Das ist so entblätternd, wie in einer Umgebung gefährlich, in der sie stets wie das fünfte Rad am Wagen scheint und ihre vermeintlich so glückliche Kindheitsfreundschaft Zug um Zug demontiert wird. Daraus einen psychologischen Horrorthriller zu erzählen, ist eine gute Idee und der Subtext über die Gefahren von Social Media auf psychisch nicht stabile Personen so unerwartet wie treffend. Aber trotz einer bemerkenswert starken Darbietung im Zentrum, treten all diese Merkmale in den Hintergrund. Sowohl in der Ausgangsidee als auch in den gedrehten Szenen steckt ein besserer Film, als Sissy letztlich ist. Das liegt nicht an der eigenartigen, aber in vielen Momenten durchaus einfallsreich kreativen Optik, und auch nicht an der über weite Strecken wenig passenden, musikalischen Untermalung, die das Gezeigte überhöht witzig gestaltet. Vielmehr ist es den unnötig expliziten Gewaltspitzen geschuldet, die gegenüber den Opfern – und nicht der Täterin – grausam sind. Bedenkt man dann noch, dass der Verlauf der Geschichte alles andere als überraschend und in seinen Entscheidungen sogar arg vorhersehbar ist, dann tritt die Sozialsatire hinter der verkrampft erzwungenen Gewalt zurück und nagt selbst für die meisten Genrefans am Unterhaltungswert. Schade.


Sissy-Packshot Sissy
ist ab 23. Februar 2023
als Video-on-Demand, Blu-ray und DVD
im Verleih von PLAION PICTURES GmbH erhältlich!
Urheberrecht des Bildes liegt bei
PLAION PICTURES GmbH / Highway Films.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung.