Promising Young Woman [2020]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 24. Januar 2022
Genre: Drama / KrimiOriginaltitel: Promising Young Woman
Laufzeit: 113 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: Emerald Fennell
Musik: Anthony Willis
Besetzung: Carey Mulligan, Bo Burnham, Alison Brie, Clancy Brown, Jennifer Coolidge, Laverne Cox, Chris Lowell, Molly Shannon, Connie Britton, Adam Brody, Max Greenfield, Christopher Mintz-Plasse, Sam Richardson, Alfred Molina
Kurzinhalt:
Tagsüber fristet Cassie (Carey Mulligan) ihre Zeit in einem Coffee-Shop, eher mäßig motiviert und unscheinbar lässig gekleidet. Nachts jedoch verwandelt sie ihr Äußeres, je nachdem, in welchen Club oder in welche Bar es sie zieht. Dann gibt sie sich stark betrunken, willenlos und wartet darauf, dass ein scheinbar netter Mann versucht, ihren offenbar schwachen Zustand auszunutzen, um ihm eine Lektion zu erteilen. Auslöser für ihren Rachefeldzug ist ein traumatisches Erlebnis in ihrer Vergangenheit und dies loszulassen, in Männern etwas anderes als mögliche Täter zu sehen, fällt ihr schwer. Selbst, als sie zufällig den Kinderarzt Ryan (Bo Burnham) trifft, in dessen Jahrgang sie einst Medizin studierte, ehe sie abbrach. Die Begegnung könnte ihr einerseits Vertrauen zurückgeben, doch sie reißt auch alte Wunden auf, die nie verheilt sind – und bei denen sich die Möglichkeit bietet, für späte Gerechtigkeit zu sorgen …
Kritik:
Regisseurin Emerald Fennell gelingt mit Promising Young Woman ein Film, bei dem man bereits von den ersten Minuten an mit Händen zu greifen weiß, worum es im Kern geht, selbst wenn der Film die Begrifflichkeiten dafür nie ausspricht. Teils schwarzhumoriges Drama, teils Krimi, ist dies vor allem von Carey Mulligan herausragend gespielt und mit einer Atmosphäre eingefangen, die gleichermaßen Gänsehaut und Unbehagen versprüht. Dabei kann man den Titel bereits so zweideutig interpretieren wie die Hauptfigur selbst auftritt.
Wenn das Publikum sie zum ersten Mal sieht, sitzt Cassie in einem chicen Business-Kostüm sturzbetrunken in einem Club und kann sich kaum mehr aufrechthalten. Ein junger Mann bietet ihr an, sie nach Hause zu bringen, weist den Taxifahrer jedoch an, zu seiner Wohnung zu fahren, wo er Cassie weiter Alkohol gibt, sie auf das Bett legt und beginnt, sich an der scheinbar willenlosen Frau zu vergehen – bis sie sich vollkommen nüchtern aufsetzt und unmissverständlich fragt, was er glaubt, hier zu tun. Was Cassie mit dem Mann anstellt, verrät Promising Young Woman lange nicht, doch sieht man sie eine Strichliste in einem Notizbuch führen, kann man sich zumindest etwas darunter vorstellen. Woche für Woche gibt sie in einer Bar, einer Disco oder einem Club vor, sie wäre kaum bei Sinnen und erteilt den scheinbar ehrbaren, netten Männern, die diesen Zustand aber nutzen wollen, um sie zu missbrauchen, anschließend eine Lektion. Tatsächlich fällt es schwer, sie nicht dafür zu feiern und zu sehen, wie skrupellos die gut gekleideten, teils in hochbezahlten Jobs situierten Männer sich an ihr vergehen würden, ist gelinde gesagt schockierend. Nun gibt es sicherlich diejenigen, die behaupten, eine Frau, die sich so aufreizend kleidet, die sich derart betrinkt, müsse mit so etwas rechnen. Es ist wohl die schäbigste Ausrede für ein Verbrechen, die man sich nur vorstellen kann und es sagt im Grunde nur etwas über diejenigen, die ein Sexualdelikt – eine Vergewaltigung – rechtfertigen oder relativieren, indem sie die Schwere des Verbrechens davon abhängig machen würden, wie zurechnungsfähig die Opfer dabei sind.
Dabei wirft Fennell in ihrem Spielfilmregiedebüt, bei dem sie gleichzeitig die Vorlage liefert, nicht nur einen Blick auf die abscheulichen Männer, die Frauen missbrauchen, sondern auch auf das System, das diesen Missbrauch toleriert, herabwürdigt und überhaupt mit ermöglicht. Sei es der Taxifahrer, der beim Blick in den Spiegel eine unzurechnungsfähige Frau sieht, aber nicht einschreitet, als sein Fahrgast die Adresse ändert. Oder die Universitäts-Dekanin, die Anschuldigungen junger Frauen, sie seien sexuell belästigt oder missbraucht worden, nicht ernst nimmt, weil man den jungen Männern mit ihren vielversprechenden Karrieren die Zukunft nicht verbauen wolle und am Ende immerhin nur Aussage gegen Aussage stehe. In einem unerwarteten wie gelungenen Gastauftritt wird auch ein Blick auf die Rechtsbeistände geworfen, die es als Geschäftsmodell entdeckt haben, Söhne gutbetuchter Familien zu vertreten, indem versucht wird, die Opfer, die den Mut haben, sie zu äußern, durch kompromittierende Beiträge in den Sozialen Medien zu diskreditieren. Nichts von dem, was Promising Young Woman hier thematisiert, ist wirklich neu. Doch bringt das Drama diese Punkte auf eine so gelungene Art und Weise hervor, dass sie geradezu erdrücken.
Das gelingt auch zu einem großen Teil dank Hauptdarstellerin Carey Mulligan, die in beiden Facetten ihrer Figur hervorragend aufgeht. Sei es als Racheengel mit einem eiskalten Blick, oder als 30jährige junge Frau, die nach dem Abbruch ihres vielversprechenden Medizinstudiums wieder bei den Eltern wohnt und in einem Coffee-Shop arbeitet. Die Kontraste ihrer Figur könnten größer kaum sein und auch wenn das Drehbuch langsam offenlegt, was es mit ihrer besten Freundin Nina auf sich hat und wie dies mit Cassies nächtlichen Feldzügen zusammenhängt, das grobe Bild ist von Anfang an spürbar. Zu sehen, wie schwer es ihr fällt, nach ihren Erfahrungen überhaupt Vertrauen zu einem Mann zu finden, als sie den Kinderarzt Ryan kennenlernt, der mit ihr zusammen studierte, und sie sich näher kommen, ist greifbar und der Verlauf der Beziehung, selbst wenn nicht überraschend, doch packend. Der einzige, wirkliche Kritikpunkt an dem toll bebilderten und einer bemerkenswerten Symbolik inszenierten Promising Young Woman ist das Ende, welches das Publikum nicht ansatzweise mit dem Gefühl der Genugtuung entlässt, das man sich erhoffen würde. Doch gleichzeitig fällt es schwer, sich einen passenderen Abschluss vorzustellen. Für Cassie als gleichermaßen gebrandmarkte wie gebrochen Figur, und die Verbindung zu ihrer Vergangenheit, die sie auf ihre Mission überhaupt erst entsandte.
Fazit:
Filmemacherin Emerald Fennell unterteilt nicht grobschlächtig in die Frauen, die hier Opferrollen bekleiden und Männer, die durchweg Täter sind. Auf beiden Seiten gibt es auch diejenigen, die Gewalt ermöglichen, weil sie nicht einschreiten. Cassies Rachefeldzug stellt dabei nicht nur das Opfer-Täter-Verhältnis auf den Kopf, sondern rückt diejenigen ins Licht, die andere Menschen ausnutzen. Wie viele es hiervon gibt, lässt sich nur erahnen. Die schiere Anzahl der Fälle, von denen berichtet wird, ist erschreckend, die Dunkelziffer in jedem Fall schockierend. Promising Young Woman ist insoweit Mahnmal für Frauen, die von hier anfangs nett auftretenden Männern ausgenutzt werden, und Warnung für das männliche Publikum, dass solche Taten stets ein Verbrechen sind – und das Wegsehen nicht weniger fatal. Als erstklassig gespieltes, ebenso hervorragend eingefangenes, teils böse amüsantes und in vielen Momenten unangenehmes, vielschichtiges Drama, ist Fennell einer der besten und sehenswertesten Filme jenen Jahres gelungen. Da teils emotional aufwühlend, nicht einfach, aber wichtig.