Perfect World [1993]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 7. Januar 2017
Genre: Drama / Krimi / Thriler

Originaltitel: A Perfect World
Laufzeit: 138 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1993
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Clint Eastwood
Musik: Lennie Niehaus
Darsteller: Kevin Costner, Clint Eastwood, Laura Dern, T.J. Lowther, Keith Szarabajka, Leo Burmester, Paul Hewitt, Bradley Whitford, Ray McKinnon, Jennifer Griffin


Kurzinhalt:

In der Halloween-Nacht des Jahres 1963 brechen die Sträflinge Butch Haynes (Kevin Costner) und Terry Pugh (Keith Szarabajka) aus dem Huntsville Staatsgefängnis in Texas aus. Auf der Suche nach einem weiteren Fluchtfahrzeug dringt Terry in die Wohnung von Gladys Perry (Jennifer Griffin) und ihren drei Kindern ein. Als die Situation eskaliert, nehmen Butch und Terry Gladys' achtjährigen Sohn Phillip (T.J. Lowther) als Geisel und setzen ihre Flucht fort. Während Texas Ranger Chief Red Garnett (Clint Eastwood) mit Unterstützung der Mitarbeiterin des Gouverneurs, Sally Gerber (Laura Dern), die Suche nach den Flüchtigen leitet, entwickelt sich zwischen Butch und dem Jungen so etwas wie eine Freundschaft. Nichtsdestoweniger setzt Haynes alles daran, außer Landes zu gelangen ...


Kritik:
Bereits die erste Einstellung von Clint Eastwoods Perfect World lässt erahnen, dass die Geschichte mehr enttäuschte Figuren zurücklassen wird, als solche, die gefunden haben, wonach sie suchten. Es ist eine Atmosphäre, die zu Beginn des letzten Drittels aufbricht, wenn die "perfekte Welt" des Titels greifbar scheint, ehe die Stimmung unwiederbringlich kippt. Die ungewöhnliche Freundschaft, die sich hier zwischen einem achtjährigen Jungen und seinem Entführer, einem geflohenen Strafgefangenen im Texas der frühen 1960er Jahre entwickelt, richtet sich mit den nuancierten Figuren an ein ruhiges Publikum.

Bis zum ungewöhnlichen Finale ist Regisseur Eastwood dabei so wenig vor der Kamera zu sehen, wie in kaum einem anderen seiner Filme, in denen er auch eine der tragenden Rollen bekleidet. Als Texas Ranger Chief Red Garnett soll er die beiden entflohenen Gefangenen Butch Haynes und Terry Pugh schnappen, die inzwischen den achtjährigen Phillip als Geisel bei sich haben. Im Wahljahr des Gouverneurs stellt dieser Red die Mitarbeiterin Sally Gerber als Spezialistin zur Seite. Sie hat sich im Gefängnis mit Haynes beschäftigt und soll helfen, sein Verhalten besser abschätzen zu können. Eine Hilfe, die der erfahrene Ranger nicht annehmen möchte.
Sieht man, wie sich die Ranger hier einzig auf Straßensperren und Hinweise aus der Bevölkerung zu verlassen scheinen, um die Gefangenen zu finden, scheinen die Methoden im Vergleich zu heute geradezu primitiv. Bedenkt man andererseits die niedrige Bevölkerungsdichte, auf die man aus den einsamen Landschaftsaufnahmen schließen kann, dann muss man sich jedoch fragen, welche Möglichkeit Red Garnett sonst bliebe.

So amüsant Perfect World insbesondere bei den Momenten mit den Rangern ist, die Geschichte setzt ihr Augenmerk auf Haynes und Phillip, die nach kurzer Zeit allein unterwegs sind. Der Junge, der ohne Vater groß geworden ist und sich den seltsamen Blicken der anderen Kinder ausgesetzt sieht angesichts dessen, was er als Zeuge Jehovas nicht tun oder feiern darf, findet in dem charmanten Butch mehr als nur einen Freund. Er entdeckt eine Vaterfigur, die er so nicht kennt. Haynes' Motivation, sich mit dem Jungen über das Mindestmaß hinaus zu beschäftigen, wird im Lauf des Films zunehmend klarer, auch wenn Filmemacher Eastwood immer dann, wenn die Sympathien auf Seiten Haynes' beginnen zuzunehmen, einem erneut vor Augen führt, dass dieser trotz allem ein Verbrecher ist.

Die Chemie zwischen Hauptdarsteller Kevin Costner und dem Phillip verkörpernden T.J. Lowther trägt die Geschichte so solide, dass die hervorragend ausgewählten Bilder vollkommen in den Hintergrund treten. Nicht nur, dass Perfect World das Flair der frühen 1960er-Jahre fabelhaft einfängt, Clint Eastwood besitzt ein Auge für tolle Perspektiven, in denen auch ohne Dialog zum Ausdruck kommt, was in den Figuren vorgeht. So routiniert er selbst vor der Kamera agiert, seine Figur scheint ebenso zu wenig genutzt wie die von Laura Dern verkörperte Sally Gerber, die hier kaum in Aktion zu sehen ist.

Auch wenn die etwas mehr als zwei Stunden Laufzeit ohne besondere Actionmomente auskommen, die von Butch Haynes ausstrahlende Bedrohung verleiht der Geschichte ein ständiges Momentum. Worauf sie zusteuert, wird viele Zuseher nicht überraschen, auch wenn der letztendliche Grund unvorhergesehen kommt. Es ist vielmehr die Art, wie Regisseur Eastwood seinen Film erzählt, der ihn auszeichnet. Das durchaus melancholische Porträt dieser ungewöhnlichen Freundschaft beinhaltet für ein ruhiges Publikum viele tolle Momente, auch wenn es nicht in dem Maße mitreißt, wie man es vermuten würde.


Fazit:
Die letztendliche Erkenntnis von Texas Ranger Red Garnett bringt Darsteller Clint Eastwood mit der für ihn gewohnt trockenen Art auf den Punkt. Umso bedauerlicher, dass er bis dahin kaum gefordert ist. Im Zentrum steht der entgegen dessen Image von Kevin Costner gespielte Verbrecher Butch Haynes, dessen Motivation am Ende greifbar wird, ohne dass das Drama einen vergessen lässt, was er alles bereits getan hat. Perfect World verschiebt geschickt Sympathien und lässt einen das Geschehen durch die Augen des jungen Phillip erleben, der in Haynes einen Freund und Vater sieht. Das geht so lange, bis auch seine Welt vor ihm zusammenbricht. Das letzte Drittel ist packend und intensiv, die Darsteller auch dann in Hochform, wenn sie nicht viel zu tun haben. Hier eine positive Botschaft zu finden, fällt schwer, aber vielleicht ist der Film gerade deshalb sehenswert, weil die Aussage nicht ermutigend ist.