Oben [2009]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 29. September 2009
Genre: Animationsfilm / Komödie / Unterhaltung

Originaltitel: Up
Laufzeit: 96 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2009
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Pete Docter, Bob Peterson
Musik: Michael Giacchino
Originalstimmen: Edward Asner (Fred Maire), Christopher Plummer (Karlheinz Böhm), Jordan Nagai (Maximilian Belle), Bob Peterson (Dirk Bach, Claus-Peter Damitz), Delroy Lindo (Stefan Günther), Jerome Ranft (Pierre Peters-Arnolds), John Ratzenberger (Reinhard Brock)


Kurzinhalt:
Nicht nur, dass Carl Fredricksen (Edward Asner / Fred Maire) nach dem Tod seiner Ehefrau immer mehr vereinsamt, dem murrigen Rentner wird in seinem eigenen Haus das Leben durch eine Baufirma schwer gemacht, die es am liebsten sehen würde, wenn er auszieht – und auch sein Grundstück neu bebaut werden könnte. Dabei reagiert er bei einer Konfrontation über und wird vom Gericht gezwungen, in ein Seniorenwohnheim umzusiedeln. Am Morgen, als er abgeholt werden soll, trauen die Pfleger ihren Augen nicht: mit unzähligen Ballons schafft es Carl, sein Haus abheben zu lassen und flieht so in ein Abenteuer, von dem er mit seiner verstorbenen Frau so lange geträumt hatte.
Allerdings hat Carl nicht mit dem jungen Pfadfinder Russell (Jordan Nagai / Maximilian Belle) gerechnet, der sich als blinder Passagier an Bord befindet. Von einem Unwetter nach Süden abgedrängt, finden sich beide wenig später in der Nähe von Carls Ziel wieder. Doch bevor sich der kauzige alte Mann seinen und den Lebenstraum seiner Frau erfüllen kann, müssen beide noch ein Abenteuer bestehen, bei dem auch Carls Kindheitsheld, der Entdecker Charles Muntz (Christopher Plummer / Karlheinz Böhm), eine Rolle spielt. Der galt seit Jahrzehnten als verschollen ...


Kritik:
In einer Zeit und in einer Gesellschaft, in der die Menschen immer älter werden, haben sie doch eines immer gemeinsam: durch die vielen verschiedenen Möglichkeiten, die uns die Welt heute bietet, haben wir vielseitige und doch in gewissem Sinn präzise Vorstellungen, wie unser Leben einmal aussehen und verlaufen soll.
Die Tragik des Älterwerdens besteht in der Erkenntnis, dass das Leben meist ganz andere Entwicklungen bereithält. So auch für Carl Fredricksen, der seit dem ersten Aufeinandertreffen mit seiner Jugendliebe Ellie genau wusste, was er mit ihr erleben wollte. Doch das Leben hatte Anderes für beide im Sinn. Und nun, da sie im Ruhestand sind, hatte Carl eine Reise zu jenem Abenteuer geplant, das sie vor so langer Zeit erleben wollten. Doch dann wird ihm Ellie genommen und Carl, seit vielen, vielen Jahren nun das erste Mal ganz allein, blickt seinem Lebensabend in einem einsamen Haus voller Erinnerungen entgegen. Die Geschichte des Ehepaares Fredricksen, welche die Künstler der Animationsschmiede Pixar in Oben in den ersten Minuten erzählen, lässt sich ohne ein gesprochenes Wort in jeder Sprache treffend verstehen. Es ist ein Leben, wie es sich so oft, überall auf der Welt abspielt, und das einem genau deshalb so nahe geht. Was die Erzähler bei Pixar aus der an sich sehr traurigen Prämisse allerdings gestalten, wie sie daraus eine fantasievolle Reise in eine verlorene Welt entwickeln, ohne jedoch das persönliche Schicksal Carls aus den Augen zu verlieren, ist nicht nur beeindruckend, sondern bewegend.

Mit Oben präsentiert das preisgekrönte Studio den inzwischen zehnten, abendfüllenden Spielfilm, der erstmals auch in ausgewählten Kinos in 3D zu sehen ist. Aber während oft vorrangig über die gelungene Räumlichkeit gesprochen wird, die in der Tat ausgereifter wirkt als beispielsweise bei Bolt - Ein Hund für alle Fälle [2008] oder Ice Age 3 - Die Dinosaurier sind los [2009], wird gerne vergessen, dass Oben auch in einer herkömmlichen Vorführung überzeugt und begeistert. Und das einerseits durch die Story selbst, wie auch durch die Figuren Carl und Russell, die vom ersten Auftreten an so sympathisch wirken, dass man ihrer Reise aufmerksam folgt und sogar daran teilhaben möchte.
Seit jeher war man bei Pixar darum bemüht, Geschichten zu erzählen, die auf keine andere Art und Weise hätten erzählt werden können. Oben ist hier keine Ausnahme. Mit unzähligen, an seinem Haus befestigten Ballons flieht Carl Fredricksen (samt Haus) aus dem Alltag und tritt seine Reise nach Südamerika zu jenem verschollenen Paradies an, das ihn und Ellie schon immer faszinierte. Zusammen mit einem blinden Passagier, dem motivierten aber untalentierten Pfadfinderjungen Russell, bestreitet er auf seiner Reise ungeahnte Abenteuer und trifft schließlich nicht nur auf den Held seiner Kindheit, der inzwischen jedoch ganz andere Ziele verfolgt. Oder hat sich Carls Perspektive seit seiner Jugend gewandelt? So einfallsreich und voller Hommagen die Odyssee jenes ungleichen Duos ist, verbirgt sich insbesondere für das erwachsenere Publikum hinter Oben eine Erkenntnis, die man sich selbst nur dann vor Augen führt, wenn man zurückblickt und feststellt, dass man sich das eigene Leben an sich ganz anders vorgestellt hatte. Carl lernt neu, dass sich die Abenteuer im Alltag verbergen, dass man mitunter Abstand von sich selbst benötigt, um Zusammenhänge zu erkennen. Vor allem aber lässt er den Zuschauer diesen Lernprozess miterleben. Und das auf eine so berührende Art und Weise, dass man sich als Zuseher nur staunend wundern kann, wie es jenen Geschichtenerzählern immer wieder gelingt, dem Publikum die Figuren so schnell und unvermittelt nahe zu bringen.

Die Evolution des animierten Films, insbesondere in den letzten zehn Jahren, kommt Oben dabei ebenfalls zugute. Von den photoähnlichen Hintergründen der Landschaft und Vegetation in Südamerika, über malerische Einstellungen wie den Sonnenaufgang nach Gefangennahme des ungewöhnlichen Haustieres "Kevin", bis hin zu optischen Verzerrungen durch Bullaugen und Brillengläser oder dem Bartwuchs Carls, überzeugt die Darbietung durch eine Vielzahl von Details, die das glaubwürdige Gesamtbild nur unterstützen.
Auch in Bezug auf Perspektivenauswahl, Szenenkomposition oder allein die Mimik der Figuren, braucht sich Up, so der Originaltitel, vor "normalen" Filmproduktionen nicht zu verstecken. Interessanterweise gelingt es gerade durch die Geschichte, die eigentlich nicht übermäßig spannend geraten ist, und durch die liebenswerten, weil "echten" Charaktere, dass Oben nicht nur die Animationsfilmkonkurrenz weit hinter sich lässt. Auf Zuschauer allen Alters wartet hier ein fantasievolles Abenteuer, dessen lebensbejahende und hoffnungsvolle Aussage jedoch denjenigen Erwachsenen im Publikum vorbehalten bleibt, die sich mit ihrem bisherigen Leben und dem Verlauf ihres zukünftigen auseinandersetzen (wollen). Und auch das gehört irgendwann zum Älterwerden.


Fazit:
Es heißt, das Leben passiert immer dann, wenn man nicht hinsieht. Carl fragt sich nun, da er allein ist, ob das Leben, wie er es sich vorgestellt hatte, nicht an ihm vorbei gezogen ist. Die Wahrheit hält allerdings eine Erkenntnis bereit, auf die der kauzige Mr. Fredricksen gar nicht vorbereitet ist.
Gekleidet in eine vor Details sprühende, fantastische Geschichte, ist Oben ein mitreißender und perfekt gemachter Abenteuerfilm. Doch woran die Filmemacher das (erwachsenere) Publikum auf herzliche Art und Weise erinnern wollen, sieht man nicht nur mit den Augen. Und einem animierten Trickfilm eine solche Dimension zu verleihen, darin besteht die wahre Kunst.