My Sailor, My Love [2022]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 21. Januar 2024
Genre: Drama

Originaltitel: My Sailor, My Love
Laufzeit: 103 min.
Produktionsland: Finnland / Irland / Belgien
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: Klaus Härö
Musik: Michelino Bisceglia
Besetzung: James Cosmo, Brid Brennan, Catherine Walker, Nora-Jane Noone, Aidan O’Hare, Bob Kelly, Nova Farrelly, Molly McCann, Carol O’Reilly, Ciara Fallon, Shane McCarthy, Shane G. Casey, Tara Flynn, Tim Landers, Ciara McKeown


Kurzinhalt:

Der pensionierte, verwitwete Seemann Howard Grimes (James Cosmo) lebt zurückgezogen in seinem Haus an der Küste Irlands. Obwohl seine Tochter Grace (Catherine Walker) durch die Arbeit als Schwester im Krankenhaus stark beansprucht ist, nimmt sie sich die Zeit, regelmäßig zu ihm zu fahren und nach dem Rechten zu sehen. Doch die Beziehung zwischen Vater und Tochter ist schwierig und unterkühlt. Howard bringt es kaum über sich, Grace überhaupt in die Augen zu sehen. Als sie sieht, in welch verheerendem Zustand der Haushalt ist, engagiert sie gegen den Willen ihres Vaters eine Haushaltshilfe. Annie (Brid Brennan) soll an zwei Tagen in der Woche für Ordnung sorgen und für Howard kochen. Der gibt sich Annie gegenüber abweisend und schroff. Doch mit der Zeit entwickeln die zwei lebenserfahrenen Menschen Vertrauen zueinander und es entsteht eine Bindung, die Grace nicht vorgesehen hat – oder gutheißt. Denn während ihr Vater wieder Mut fasst und nach vorn blickt, zerbricht Graces eigenes Leben Stück um Stück, was die Beziehung zu ihrem Vater nur noch mehr belastet …


Kritik:
Mit einer geradezu zärtlichen Zurückhaltung erzählt der finnische Filmemacher Klaus Härö in My Sailor, My Love von einer späten Liebe und einem Leben voll Bedauern und Vorwürfen. Es ist ein leises Drama, getragen von drei herausragenden Darbietungen und eingefangen vor einer der malerischsten und gleichzeitig rausten Landschaften, die man sich vorstellen kann. Ein reifes Publikum kann hier viel vor allem in den Momenten entdecken, in denen nicht gesprochen wird.

Dabei ist die Liebesgeschichte zwischen zwei älteren Menschen nur ein Teilaspekt. Der pensionierte Kapitän Howard Grimes und seine Tochter Grace stehen gleichermaßen im Mittelpunkt. Howard lebt zurückgezogen weit ab in einem ohnehin dünn besiedelten Teil Irlands an der windgepeitschten Küste. Das Haus ist von den Gezeiten gezeichnet und drinnen wird am ehesten deutlich, worum sich der ehemalige Seemann nicht kümmert. Überall stapeln sich Zeitungen und Gerümpel, in der Küche hat er seit Ewigkeiten nicht abgewaschen und seine Wäsche im Spülbecken liegen. Als ihn seine Tochter Grace zu seinem Geburtstag aufsucht, findet sie den Haushalt in einem desolaten Zustand vor und möchte daher eine Haushaltshilfe engagieren, was ihr Vater strikt ablehnt. Als Grace es dennoch tut und die ältere Annie Bell bei Howard in der Tür steht, gibt sich der bärbeißige Howard geradezu verletzend abweisend und bietet Annie sogar Geld, wenn sie sein Haus verlässt. Doch nachdem er entdeckt, dass Annie seine Seemannsuniform hat reinigen lassen, die er auf den Müll geworfen hatte, erkennt er, wie sehr er Annie, die ihm nie etwas Böses wollte, verletzt hat und macht sich auf, sich bei ihr zu entschuldigen.

Sieht man diese beiden Figuren fortan während ihrer gemeinsamen Zeit aufblühen, dann ist es beinahe, als würde man zwei verliebte Teenager beobachten. Annie, die Howard zweimal die Woche aufsucht, räumt nicht nur auf und kocht, sie leistet ihm Gesellschaft. Es entwickelt sich eine Beziehung, geprägt nicht von einer körperlichen Anziehung, sondern vom Naturell des jeweils anderen. Vermutlich auch in dem Wissen, dass Begegnungen wie ihre im Alter seltener werden. Während Howard, der sich zuvor kaum aufraffen konnte, aus seinem Sessel aufzustehen und das Kreuzworträtsel wegzulegen, einen neuen Sinn im Leben findet, jemand, der seine Tage erhellt, befindet sich Graces Leben in einer Abwärtsspirale. Ihre Arbeit als Krankenschwester ist nicht nur für sie belastend, unter ihrer Aufopferung für die Arbeit und ihren Vater leidet auch ihre Beziehung mit Martin.

My Sailor, My Love spricht lange Zeit nicht aus, was zwischen Grace und ihrem Vater vorgefallen ist, dass sie kaum ein Wort miteinander wechseln, sein Blick derart kalt und bitter, gleichzeitig aber auch verletzt und gequält erscheint. Zu seiner eigenen Tochter ist Howard stets distanziert, während er nicht nur zu seinen Söhnen, die ihn nur zum Geburtstag aufsuchen und sich sonst nicht kümmern, sondern auch zu Fremden ein offeneres Verhältnis pflegt. Man könnte nun vermuten, Filmemacher Härö würde diese Figuren ihre Konflikte aufarbeiten lassen, mit Annie als Bindeglied. Doch so tiefsitzende Enttäuschungen und Verletzungen lassen sich nicht mit Leichtigkeit überwinden und obwohl Grace sich in einer Therapie alledem zu stellen versucht, ist sie nicht in der Lage, reflektiert auch ihre eigene Rolle in der Situation zu erkennen und anschließend zu handeln.

Behutsam nähert sich das Drama dem Kern der schwierigen Beziehung zwischen Vater und Tochter, der Grace als tragischste Figur der Geschichte offenbart. Früh gezwungen, Verantwortung für jemand anderen zu übernehmen, sucht sie seither Erfüllung darin, für andere zu sorgen – nun für ihren Vater Howard. Doch zerbricht sie gleichzeitig daran, dass ihr die Anerkennung dafür verwehrt bleibt. Die einzige, die bei alledem merklich kurz kommt, ist Annie, über deren Hintergrund kurz gesprochen, dieser aber nicht vertieft wird. Wie Howard hat auch sie mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen, was es umso nachvollziehbarer macht, weshalb sie beide es scheuen, die Sicherheit ihrer gewohnten, wenn auch einsamen Umgebung gegen etwas einzutauschen, von dem sie nicht wissen, ob es von Dauer ist.

Dabei schwingt in den Blicken der Figuren allein so viel Verletzung und Verletzlichkeit mit, dass es umso mehr berührt. Die Darbietungen von James Cosmo, Brid Brennan und Catherine Walker besitzen eine alltägliche Natürlichkeit, bei der förmlich mit Händen zu greifen ist, wie das Vertrauen zwischen Howard und Annie wächst, wie sie introvertiert schweigsam und schüchtern doch eine Hoffnung hegen, die sie kaum auszusprechen wagen. My Sailor, My Love ist ergreifend gespielt und in Bildern eingefangen, die in der kargen, windigen Landschaft die Einsamkeit der Figuren ebenso widerspiegeln wie ihre Liebe zueinander in den warmen Sonnenuntergängen. Es ist eine Geschichte über Enttäuschungen und Hoffnung, die das Leben mit sich bringt – und es prägt.


Fazit:
Vieles bleibt am Ende unausgesprochen, zwischen Grace und Howard, aber auch zwischen Howard und Annie. Wie verletzend die Behandlung für Grace durch ihren Vater sein muss, stets zurückgewiesen zu werden, kann man nur erahnen. Was zwischen Vater und Tochter vorgefallen ist, ist mehr, als man ertragen kann, geschweige denn vergeben. Regisseur Klaus Härö erzählt von Figuren, die Narben mit sich tragen, die man nicht sieht, sie aber doch fürs Leben zeichnen. Howard, der seine Vergangenheit nie gesteht, da er fürchtet, dass er dafür abgelehnt werden könnte, ist durch James Cosmo vor allem in den Momenten, in denen seine Enttäuschung und Hilflosigkeit zum Ausdruck kommen, herzzerreißend zum Leben erweckt. My Sailor, My Love vereint unendliche Tiefpunkte zwischenmenschlichen Zusammenlebens mit der Hoffnung, jemanden zu finden, der einen trotz alledem akzeptiert. Es ist eine feinfühlige, warme und bittersüße Geschichte gleichermaßen, die einem vor Augen führt, wie kostbar jeder Moment ist, und dass es nie zu spät ist, sich auf jemanden einzulassen. Sich zu verlieben und geliebt zu werden. Toll bebildert mit Aufnahmen, die mühelos einem Gemälde entsprungen sein könnten, fantastisch und berührend gespielt. Für ein ruhiges Publikum. Schön!