Millennium: Verdammnis [2009]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 11. Februar 2012
Genre: Krimi / Drama

Originaltitel: Flickan som lekte med elden
Laufzeit: 174 min.
Produktionsland: Schweden / Dänemark / Deutschland
Produktionsjahr: 2009
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Daniel Alfredson
Musik: Jacob Groth
Darsteller: Michael Nyqvist, Noomi Rapace, Lena Endre, Peter Andersson, Michalis Koutsogiannakis, Sofia Ledarp, Jacob Ericksson, Yasmine Garbi, Paolo Roberto, Ralph Carlsson, Georgi Staykov, Micke Spreitz, Hans Christian Thulin, Johan Kylén, Jennie Silfverhjelm, Per Oscarsson, Sunil Munshi, Anders Ahlbom, Magnus Krepper


Kurzinhalt:
Ein Jahr ist vergangen, seit Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) seinen guten Ruf als Journalist mit der Hilfe der Hackerin Lisbeth Salander (Noomi Rapace) wiederherstellen konnte. Seither ist sie wie vom Erdboden verschwunden und scheint auch nicht gefunden werden zu wollen. Blomkvists Magazin Millennium erhält von dem aufstrebenden Dag Svensson (Hans Christian Thulin) das Angebot, einen heiklen Artikel zu veröffentlichen. Darin erläutert er nicht nur die Hintergründe eines Mädchenhandelrings, der international operiert, sondern nennt auch prominente Namen von dessen Kundenkreis. Doch kurz bevor der Artikel erscheint, wird Svensson ermordet aufgefunden. Auf der Tatwaffe finden sich die Fingerabdrücke von Lisbeth Salander.
Während Blomkvist von ihrer Unschuld überzeugt ist, zieht Ermittler Bublanski (Johan Kylén) anfangs keine anderen möglichen Täter in Betracht. Erst, als Lisbeths Freundin Miriam Wu (Yasmine Garbi) von einem großgewachsenen Mann (Micke Spreitz) entführt wird, verdichten sich die Hinweise, dass es hier um mehr geht, als nur um eine persönliche Fehde gegen Lisbeth. Von ihrem ehemaligen Vormund Palmgren (Per Oscarsson) erfährt Blomkvist schließlich von den persönlichen Verstrickungen der jungen Frau, die tief in ihre Vergangenheit reichen. Und die sie offensichtlich mit einer tödlichen Präzision eingeholt haben ...


Kritik:
Sieht man die ersten Hintergründe der Geschichte von Verdammnis sich entwickeln, erinnert dies in der entstehenden Atmosphäre und Bedrohung durchaus an Verblendung [2009]. Doch anstatt sich auf den Storyaspekt um einen Mädchenhandelring in Schweden mit Kontakten in Osteuropa zu konzentrieren, wird dies nur als Aufhänger genutzt, um den Krimi um die familiäre Verstrickung von Lisbeth Salander kreisen zu lassen. Dagegen ist zwar nichts einzuwenden, doch erweckt dies nicht nur den Eindruck, dass eine interessante Geschichte gar nicht weiter verfolgt wird, sondern die weitreichenden Einblicke in Lisbeths Vergangenheit entmystifizieren eine Figur, die gerade von dem gelebt hat, was man nicht über sie wusste. Abgesehen davon, dass die vielen Zufälle und Zusammenhänge sehr konstruiert erscheinen.

Dabei beginnt die Story damit, dass Lisbeth sich nach ihren Erlebnissen im ersten Teil der Millennium-Trilogie um nichts mehr sorgen müsste. Den Kontakt zu Journalist Mikael Blomkvist oder ihren bisherigen Arbeitskollegen hat sie abgebrochen. Das Loslassen fällt ihr trotzdem schwer, lässt ihre Vergangenheit sie doch nicht los und schließlich kehrt sie nach einem Jahr nach Schweden zurück. Dort sucht sie ihren Vormund Bjurman auf, mit dem sie nach wie vor eine Rechnung offen hat. Doch wenig später wird Lisbeth wegen dreifachen Mordes gesucht, wobei zwei Opfer Bekannte von Mikael Blomkvist sind. Der ermordete, aufstrebende Journalist Dag Svensson stand kurz vor Fertigstellung eines Artikels bei Blomkvists Magazin Millennium, in welchem nicht nur Hintergründe, sondern auch prominente Freier eines Mädchenhandelrings genannt werden sollten.
Während die Polizei Lisbeth als einzige Verdächtige sieht, und statt nach einem Motiv zu suchen ihre Vergangenheit in psychiatrischer Betreuung heranzieht, glaubt Blomkvist nicht an ihre Schuld – obwohl er weiß, wozu sie fähig ist. Was folgt ist eine Ermittlung, die zwar einige Nebenstrecken nimmt, aber letztlich mehr von Lisbeth und Mikael vorangetrieben wird, als von der Polizei, obwohl der Krimi nicht selten aus deren Sicht erzählt wird.

Man sollte dem Drehbuch zugutehalten, dass man erst im letzten Drittel bemerkt, dass die Ausgangslage nicht ausgenutzt wird. Bis dahin sind wir von der Verdächtigung gegen Lisbeth und dem Auftauchen eines großgewachsenen, blonden Schergen, der keinen Schmerz zu kennen scheint, so verwundert, dass einen die für bekannte und neu eingebrachte Nebenfiguren entstehende Bedrohung durchaus beunruhigt. Verdammnis gibt sich bis zum Finale zwar weniger brutal, selbst in der Vorstellungskraft des Publikums, doch geht das Erwähnte nahe, weil es Charaktere trifft, die einem wichtig sind. Dabei ist es doch überaus verwunderlich, dass Lisbeth, trotz ihrer meist ablehnenden Haltung, nicht nur interessiert, sondern immer unsere Aufmerksamkeit hält. Man hat das Gefühl, man könnte sich auf sie verlassen, auch wenn sie nie selbst um Hilfe bitten würde. Noomi Rapace gelingt dabei die Gratwanderung einer willensstarken jungen Frau, die so überzeugt ihre Vergangenheit abgeschüttelt hat, um doch wieder in ihre bekannten Muster zu verfallen. Wir sehen sie im schlimmsten Fall leiden, aber nie gebrochen.
Einige Überraschungen der Geschichte kommen dabei durchaus unverhofft, und manche Momente, insbesondere zwischen Mikael und Lisbeth, selbst wenn sie nicht in einem Raum sind, lassen die Zuseher wissend schmunzeln, doch letztendlich entwickelt sich die Story in sehr geraden Bahnen. Als regelrecht antiklimaktisch entpuppt sich das Finale selbst, bei dem man (trotz des Klischees) darauf hoffen würde, dass sich die Situation aus Verblendung für die beiden Protagonisten umdrehen würde. Doch gerade, wenn die innere Anspannung steigt, angesichts dessen, was offensichtlich wäre, endet die Geschichte abrupt. Mag sein, dass der kommende dritte Teil direkt daran anschließt, doch enttäuscht es im ersten Moment.

Nicht nur an den Hauptdarstellern, auch an den zahlreichen und ebenso geforderten Nebenrollen wird klar, wie hochkarätig die Besetzung ist. An fesselnden Figuren mangelt es nicht, sei es in Lisbeths Vergangenheit, ihrem Umfeld in Schweden oder aber Mikaels Gruppe bei Millennium. Doch werden diese wenn, dann nur kurz angeschnitten, aber selten weiter verfolgt. Klärende Momente bei der zerfahrenen Polizeieinheit werden einem ebenso vorenthalten, wie ein richtiger Abschluss.
So beweist Verdammnis vor allem, dass der mittlere Teil einer Trilogie immer noch der schwierigste ist. Dafür bleibt die Geschichte zu unstrukturiert, und der interessante, aber gar nicht so verworrene Hintergrund zu unübersichtlich erzählt.


Fazit:
Es ist nicht, dass Lisbeth Salander als Figur weniger interessiert, wenn man mehr über ihre Vergangenheit erfährt. Nur wird die Vorstellungskraft des Publikums nicht mehr gefordert, wenn sie komplett durchleuchtet wird. Es ergeht uns in dem Moment wie Mikael Blomkvist, der ein Kapitel ihres Lebens entdeckt, das seine Beziehung zu ihr vermutlich dauerhaft prägen wird. Sie ist Dreh- und Angelpunkt von Verdammnis, ihr Hintergrund, ihre Familie und ihr erster Vormund Holger Palmgren spielen eine zentrale Rolle. Dafür allerdings gerät die anfänglich vorgestellte Story um einen Verbrecherring, der junge Mädchen aus Osteuropa nach Schweden führt, um sie dort an zahlungswillige Freier zu vermieten, vollkommen in Vergessenheit. Es mag sein, dass es letztlich auch nicht hierum gehen sollte, doch ist das Thema zu wichtig, um es als Fußnote abzutun.
An der Umsetzung gibt es nichts zu bemängeln. Verdammnis ist tadellos gespielt, und ebenso gut gefilmt. Der Flair des "Neuen" ist mit den bekannten Figuren etwas verloren gegangen, doch dafür verwebt der Krimi viele Figuren und ebenso viele Schauplätze gekonnt, ohne dass man das Gefühl hätte, sich zu verlieren. Wie sich das im Gesamtbild der Millennium-Reihe einfügt, bleibt abzuwarten, doch es wäre sehr verwunderlich, wenn Vergebung [2009] hierauf nicht aufbaut.