Joe - Die Rache ist sein [2013]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 15. Oktober 2014
Genre: Drama / Thriller

Originaltitel: Joe
Laufzeit: 117 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2013
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: David Gordon Green
Musik: Jeff McIlwain, David Wingo
Darsteller: Nicolas Cage, Tye Sheridan, Gary Poulter, Ronnie Gene Blevins, Adriene Mishler, Brian Mays, Aj Wilson McPhaul, Sue Rock, Heather Kafka, Brenda Isaacs Booth, Anna Niemtschk


Kurzinhalt:

Ehe etwas Neues aufgebaut werden kann, muss das Alte niedergerissen werden. Getreu dem Motto bereitet Joe (Nicolas Cage) vor, dass Waldstücke gerodet und dann neu bepflanzt werden können. Dafür beschäftigt er beinahe ein Dutzend Männer. Als der junge Gary (Tye Sheridan) vor ihm steht und ihn um einen Job bittet, bietet Joe ihm gegen seine Überzeugung einen an. Eines Tages bringt Gary seinen alkoholkranken Vater Wade (Gary Poulter) mit, doch er arbeitet nicht zuverlässig. Zudem sieht Joe, wie Wade Gary verprügelt und ihm den Wochenlohn abnimmt.
Während sich die Situation bei Gary zuhause zuspitzt, rächt sich Willie-Russell (Ronnie Gene Blevins) an Joe, der ihn zuvor in seine Schranken verwiesen hat. An allen Fronten muss sich Joe entscheiden, ob er klein beigibt, oder zurückschlägt. Für sich und für Gary. Dabei hat ihn dies bereits einmal ins Gefängnis gebracht ...


Kritik:
Im ruhig erzählten Drama Joe - Die Rache ist sein, dessen deutscher Zusatz im Titel die eigentliche Aussage ad absurdum führt, leben die Figuren ohne Perspektive in einer trostlosen, hoffnungslosen Gegend. Doch Regisseur David Gordon Green zeigt nicht, weshalb dem so ist. Er arbeitet weder die Ursache heraus, noch wird greifbar, weswegen die Menschen von dort nicht weggehen. Dafür vereint er durchweg begabte Schauspieler und fordert sie zu eindringlichen Darbietungen, die unter die Haut gehen.

Angeführt werden sie von Nicolas Cage, der hier eindrucksvoll beweist, weshalb er einst als einer der besten Akteure seiner Generation gepriesen wurde. Sein Charakter Joe verdient sein Geld damit, dass er gesunde Bäume vergiftet. Wenn die Bäume tot sind, dürfen sie abgeholzt und neue gepflanzt werden. Er hat zweieinhalb Jahre im Gefängnis verbracht und wird von denen, die ihn kennen, respektiert, auch wenn er keinem Kampf aus dem Weg geht. Sieht man, mit welcher Sorgfalt Regisseur Green seine Figuren vorstellt, wie gelebt Joes Wohnung aussieht, dann kann man nicht anders als sich zu fragen, was bis zu diesem Tag mit ihnen geschehen ist. Die Wohnungseinrichtung, zu der auch eine rosafarbene Decke oder Sofakissen mit Hundemotiv gehören, lassen die Handschrift einer Frau vermuten. Aber von einer Andeutung abgesehen, verrät Joe nichts darüber. Der Film hinterlässt viele lose Enden.

Eines Tages trifft Joe auf den Jungen Gary, der ihn um Arbeit bittet. Verkörpert wird er von Tye Sheridan, der bereits in Mud - Kein Ausweg [2012] eine grandiose Leistung zeigte und hier einmal mehr oscarreif spielt. Da Gary angibt 15 Jahre alt zu sein, stellt Joe ihn ein. Gary wohnt mit seinen Eltern und seiner Schwester in einem heruntergekommenen Haus, sein Vater ist ein Trinker, der ihn und die anderen im Suff verprügelt. Auch Joe trinkt bei allen Gelegenheiten und am Ende kann man es auf den Alkohol zurückführen, wenn Joe Dinge tut, die ihn nur weiter in Schwierigkeiten bringen. Es ist, als wäre der Alkohol wie das Gift, durch das die Bäume sterben. Nur vergiftet er die Menschen.

Bis auf Gary und seine Schwester scheint jeder in Joe - Die Rache ist sein zu trinken. Auch als Joe vollkommen unvermittelt angegriffen wird, hat sich der Täter vorher Mut angetrunken – und nimmt danach zur Belohnung gleich noch einen großen Schluck. In dem stillen Joe findet Gary eine Identifikationsfigur. In einer Welt voller Enttäuschungen muss er für Gary ausreichen, auch wenn er im Grund ein schlechtes Vorbild ist. Dabei steckt in Joe das Potential zu einem besseren Menschen. Auch Connie, die für einige Zeit bei ihm bleibt, scheint es in ihm zu sehen, doch vor ihr verschließt er sich ebenso wie vor allen anderen.

Das Drama steuert vom ersten Moment an darauf zu, dass Joe einschreitet, um die Misshandlungen, die Gary erdulden muss, zu beenden. Bis es soweit ist, vergeht im Mittelteil zu viel Zeit, in der die Milieustudie den rauen Alltag beleuchtet, ohne seine Wurzeln aufzuzeigen. Man sieht, dass es Cages Joe schwer fällt, morgens aufzustehen, und man kann ihm dabei nur beipflichten: Wofür auch? Nur weshalb er es dann tut, verschweigt Joe.
Der kurz nach den Dreharbeiten verstorbene Gary Poulter, der auch in Wirklichkeit obdachlos war und von dessen Persönlichkeit vielleicht viel mehr in Garys Filmvater Wade steckt, verkörpert den gezeichneten Alkoholabhängigen auf eine beängstigende Art und Weise. Es gibt eine Szene im Film, in der er einem anderen Obdachlosen nachstellt, um ihm die gerade gekaufte Flasche wegzunehmen – sie gehört zum tragischsten und Furcht einflößendsten, was seit langem im Film zu sehen war. Und sieht man, was zu tun Wade am Ende durch seine Sucht bereit ist, dann bleibt keine Frage, wie viel von der menschlichen Seele nach Jahren dieser Vergiftung noch übrig ist.


Fazit:
Die rauen Bilder, die Regisseur David Gordon Green findet, scheinen so ungeschminkt wie seine Charaktere. Das Licht erweckt dabei immer den Eindruck, als würde es dämmern, als wären die Figuren gefangen, kurz bevor der Tag anbricht. Es lassen sich viele Sinnbilder in Joe - Die Rache ist sein erkennen, sei es in den Bäumen, Joes Hund oder der unterschwelligen Aggression, die vielen Szenen anhaftet.
Doch so gut all das ist und so intensiv und niederschmetternd zugleich die tollen Darbietungen, der Film braucht viel Zeit, um sich selbst zu finden und wenn er es tut, weiß man nicht, ob die Feststellung am Schluss all das wert war. Zumal die Motivation der meisten Figuren deren Geheimnis bleibt. Das mag realistisch sein, doch muss man sie verstehen, um aus ihren Fehlern lernen zu können. Man hat das Gefühl, als würden sie es selbst nicht.