Helden der Wahrscheinlichkeit - Riders of Justice [2020]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 17. Januar 2022
Genre: Drama / Action / Komödie

Originaltitel: Retfærdighedens ryttere
Laufzeit: 116 min.
Produktionsland: Dänemark / Schweden / Finnland
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Anders Thomas Jensen
Musik: Jeppe Kaas
Besetzung: Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Andrea Heick Gadeberg, Lars Brygmann, Nicolas Bro, Gustav Lindh, Roland Møller, Albert Rudbeck Lindhardt, Anne Birgitte Lind, Omar Shargawi, Jacob Lohmann, Henrik Noël Olesen, Gustav Dyekjær Giese


Kurzinhalt:

Gerade erst hat Offizier Markus (Mads Mikkelsen) seinen Auslandseinsatz verlängert, als ihn die Nachricht erreicht, dass seine Frau bei einem Unglück ums Leben kam. Um sich um seine Teenagertochter Mathilde (Andrea Heick Gadeberg) zu kümmern, kehrt Markus nach Hause zurück und ist, wie Mathilde, mit der Trauer überfordert, will sich das aber nicht eingestehen. Dann tritt das Mathematik-Genie Otto (Nikolaj Lie Kaas) an ihn heran, der ebenfalls im Unglückszug war. Er ist der Auffassung, dass dies kein Zufall gewesen sein kann und belegt Markus dies mit seiner Wahrscheinlichkeitstheorie. Zusammen mit Lennart (Lars Brygmann) und Emmenthaler (Nicolas Bro) hat er einen Mann identifiziert, der für das Unglück verantwortlich sein soll. Das eigentliche Ziel war ein hochrangiges Bandenmitglied der „Riders of Justice“, das in Kürze gegen die Gang vor Gericht aussagen sollte. Darum fasst Markus den Plan, sich an der Gang zu rächen, seine drei Mitstreiter sollen ihm die erforderlichen Hintergrundinformationen liefern. Für alle vier hat ihre gemeinsame Mission etwas Therapeutisches …


Kritik:
Anders Thomas Jensens Helden der Wahrscheinlichkeit - Riders of Justice handelt weniger von Wahrscheinlichkeiten als von Kausalität, davon, wie bestimmte Dinge zusammen hängen und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie sich vorhersagen lassen. Eingebettet in eine teils bitterböse, actionreiche Komödie, ist dies im Kern ein Drama mit emotional „beschädigten“ Figuren im Zentrum. Das klingt wie eine kaum vereinbare Mischung, ist aber in vielerlei Hinsicht mehr als gelungen.

Die Geschichte beginnt, nach einem kurzen Prolog, der die Kausalitätskette (Ursache und Wirkung) in Gang setzt, bei der Teenagerin Mathilde und ihrer Mutter Emma, die beschließen, weil das Auto nicht anspringt und Mathilde die Schule heute verpassen wird, sich einen Tag frei zu nehmen. Immerhin hatte sich der im Ausland stationierte Soldat und Familienvater Markus gerade bei ihnen gemeldet, dass sein Einsatz nochmals verlängert wird. Unmittelbar nachdem Emma von dem gerade eben entlassenen Wahrscheinlichkeitsmathematiker Otto in der U-Bahn ein Platz angeboten wird, stirbt sie bei einem schrecklichen Unglück. Darum kehrt Markus früher nach Hause und versinkt, wie Mathilde, in Trauer, die sie beide nicht verarbeiten können. Doch Otto glaubt nicht an einen Unfall, oder Zufall, denn ebenfalls Opfer der Katastrophe ist ein Kronzeuge, der in Kürze gegen den vor Gericht stehenden Kopf der verbrecherischen Bande „Riders of Justice“ hätte aussagen sollte. Tatsächlich findet Otto zusammen mit Lennart, der ein Talent besitzt, Informationen in verschlossenen Systemen aufzuspüren, und ihrem ehemaligen Kollegen Emmenthaler Beweise für seine Vermutung. Da die Polizei ihnen nicht zuhören will, wenden sie sich an Markus, der sich aufmacht, den Tod seiner Frau an den Riders of Justice zu rächen.

Wenn dies weit hergeholt klingt, dann, weil es das auch ist. Helden der Wahrscheinlichkeit ist kein in diesem Sinne ernst gemeinter Thriller. Stattdessen zeigt Filmemacher Jensen, wie Personen wie Markus oder Otto, selbst Mathilde, nach einer ihr Leben aus der Bahn werfenden Tragödie darum bemüht sind, all dem einen Sinn zu verleihen. Hilfreich ist dabei, eine verantwortliche Person benennen zu können, eine, die die Schuld trägt. Denn gegen wen soll sich die hilflose Wut und Verzweiflung ansonsten richten, die man empfindet? Professionelle Hilfe lehnt Markus immer wieder ab, auch für seine Tochter.
Dabei sind alle Figuren dieser ungleichen Truppe, die sich um Markus schart, Otto, Lennart und Emmenthaler, stark traumatisiert. Lennart ist der einzige, der dies offen zugibt, wenn er stolz erzählt, dass er weit über 4.000 Therapiestunden hatte. Absurd wird es aber dadurch, dass er glaubt, deshalb die anderen, allen voran Mathilde, therapieren zu können. Seine Fixierung mit Markus’ Scheune scheint zu Beginn noch amüsant, ebenso wie Emmenthalers auffällig gereizte Art, die sich in einer geradezu beängstigenden Waffenaffinität auswächst. Doch deckt der Film auf, was diesen Figuren widerfahren ist, ebenso Otto, dann verliert sich die amüsante Stimmung in Windeseile.

So auch, wenn die vier die erste Verbindung zwischen dem Unfall und der Verbrechergang finden. Helden der Wahrscheinlichkeit - Riders of Justice blickt hier in Abgründe, menschliche und Menschen gemachte. Was wir uns selbst antun und was anderen. Regisseur Anders Thomas Jensen tut dies auf eine überraschend humorvolle Art und Weise, stellt der Tragik eine Absurdität gegenüber, so dass die drei verschroben auftretenden Charaktere, die Art, wie sie miteinander umgehen und auf einander achten, zu der Therapiegruppe werden, die Markus immer ablehnt. Die Dynamik der Figuren untereinander ist dabei regelrecht spürbar und der Humor teils so trocken, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Im Zentrum glänzt Mads Mikkelsen mit einer ruhigen, verschlossenen Darbietung, bei der aber nicht nur zu sehen ist, wie es unter der Oberfläche brodelt, ihn seine Trauer verzehrt, sondern der teils eiskalte Blick verrät, wie weit entrückt er sein kann, wenn er muss. Umso packender ist die Verzweiflung, die aus ihm herausbricht, wenn das Konstrukt, das er sich geschaffen hat, um all dies zu verstehen, in sich zusammenfällt.

Dass alle tragenden Figuren, sogar der osteuropäische Bodashka, der im Kreuzfeuer landet, einen besonderen Moment zugeschrieben bekommen, eine Geschichte und eine Vergangenheit, ist den Verantwortlichen hoch anzurechnen. Es verleiht der Story ein emotionales Gewicht, das sich gerade dann auszahlt, wenn die Riders of Justice, nachdem ihre ersten Mitglieder Markus’ und seinen Mitstreitern zum Opfer gefallen sind, die vier ins Visier nehmen. Doch gerade hier schlummert die größte Schwäche von Jensens Film, denn während die einzelnen, durchaus brutalen Momente, in denen Markus den Spieß umdreht und die Gewalt verherrlichende Bande unter Druck setzt, nicht nur unerwartet kommen, sondern auch überraschen, ist das Finale selbst doch weit absehbar und darüber hinaus bedeutend schneller vorbei, beinahe antiklimaktisch, als dass es mitreißen könnte. Doch das ist nur ein Aspekt und einer, der im Gesamtbild weit weniger schwer wiegt, als die vielen Elemente, die hier gelungen sind.

Die im Verleih von Splendid Film und Neue Visionen erschienene Heimvideoveröffentlichung wartet auf Blu-ray Disc neben dem Film in deutscher und dänischer Sprachfassung, jeweils im hochwertigen DTS-HD 5.1 Master Audio-Format, mit zwei Trailern zum Film sowie weiteren Filmvorschauen auf. Zudem gibt es noch ein kurzes Making-of sowie ein Interview mit Regisseur Jensen sowie Darsteller Nikolaj Lie Kaas, die zudem „Aufsager zum Kinostart“ auf deutsch an das Publikum richten. Einen Audiokommentar oder Interviews mit der übrigen Besetzung gibt es aber bedauerlicherweise nicht. Dafür wartet die Veröffentlichung mit einem Wendecover ohne FSK-Logo auf. Im Mediabook erwartet Interessierte darüber hinaus ein 20-seitiges Booklet.
Nicht zuletzt dank der tadellosen Bildqualität werden Fans von Helden der Wahrscheinlichkeit - Riders of Justice mit der Veröffentlichung mehr als zufrieden sein.


Fazit:
Die Idee, eine Rachegeschichte als Gruppentherapie zu erzählen, klingt interessant, doch greift Regisseur Anders Thomas Jensen diesen Ansatz zu spät auf und verliert ihn zu früh aus den Augen. Denn bis sich die Truppe findet, bis Markus die Verbrecherbande ins Fadenkreuz nimmt, vergeht viel Zeit und es gibt bis auf einen Moment, in dem er bewusst den Kampf zu ihnen bringt, zu wenige Momente dieser Art. Dafür widmet sich der Film in überraschendem Maß seinen zentralen Figuren und stellt sie mit ihren Eigenheiten und einem nicht zu leugnenden Zusammengehörigkeitsgefühl als eine greifbare Gruppe dar, mit der man mitfiebert. Auch dank der tollen Besetzung ist das gelungen, der Mix aus Actionkomödie und Charakterdrama ungewöhnlich, die Balance aber toll getroffen. Es mag sein, dass Helden der Wahrscheinlichkeit - Riders of Justice erzählerisch nicht ganz den Weg geht, den man vermuten oder sich erhoffen würde, doch die teils absurd-komische und dann wieder bedrückend ernste Achterbahnfahrt ist sehenswertes und einfallsreiches europäisches Kino.


Helden der Wahrscheinlichkeit - Riders of Justice-Packshot Helden der Wahrscheinlichkeit - Riders of Justice ist ab
23. Januar 2022 digital sowie ab
28. Januar 2022 als Blu-ray, DVD und Mediabook im Verleih von
splendid film GmbH und Neue Visionen Filmverleih erhältlich!
Urheberrecht des Bildes liegt bei
splendid film GmbH und Neue Visionen Filmverleih.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung.