Drive [2011]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 26. Juni 2012
Genre: Thriller

Originaltitel: Drive
Laufzeit: 100 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2011
FSK-Freigabe: keine Jugendfreigabe

Regie: Nicolas Winding Refn
Musik: Cliff Martinez
Darsteller: Ryan Gosling, Carey Mulligan, Bryan Cranston, Albert Brooks, Oscar Isaac, Christina Hendricks, Ron Perlman, Kaden Leos, Jeff Wolfe, James Biberi, Russ Tamblyn, Joe Bucaro III, Tiara Parker


Kurzinhalt:
Er zählt zu den besten Fahrern (Ryan Gosling), die es gibt und verdient sein Geld tagsüber als Stuntfahrer beim Film. An den Autos schraubt er zusammen mit seinem Boss Shannon (Bryan Cranston), der seinen zwielichtigen Geldgebern Bernie Rose (Albert Brooks) und Nino (Ron Perlman) ein gutes Angebot macht. Sie sollen einen NASCAR-Wagen kaufen, mit dem der Fahrer bei Rennen antreten soll. Dafür erhalten sie einen Großteil des Gewinns. Nachts lässt sich der Fahrer als Fluchtwagenfahrer anheuern, auch wenn er sich an den Überfällen selbst nicht beteiligt.
Doch als er seine Nachbarin Irene (Carey Mulligan) und ihren Sohn Benicio (Kaden Leos) kennenlernt, ändert sich seine Einstellung. Beide kommen sich näher und auch Benicio akzeptiert ihn. Dann wird Irenes Mann Standard (Oscar Isaac) aus dem Gefängnis entlassen und kurz danach von Gangstern unter Druck gesetzt. Er soll zusammen mit Blanche (Christina Hendricks) einen Überfall auf ein Pfandhaus durchführen. Der Fahrer bietet sich an, den Wagen bereitzustellen und für den Transport zu sorgen. Doch bei dem Überfall geht es um viel mehr Geld als gedacht und nachdem es die ersten Toten gibt, gibt es kein Zurück. Als Irene ins Visier der Gangster gerät, macht sich der Fahrer auf, die Drahtzieher des Überfalls ausfindig zu machen ...


Kritik:
Der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn kleidet seinen Thriller Drive in kühle, teils neonfarbene Bilder, die das Gezeigte nicht nur dank der musikalischen Untermalung in eine traumähnliche Atmosphäre tauchen. Man ist versucht zu behaupten, er zelebriere hier Stil über Substanz, dabei bieten die wortkargen Dialoge und die passiven Charakterisierungen genügend Substanz – nur mit welchem Ziel?

Dass die Umsetzung von James Sallis' Roman inspiriert wurde durch Filme aus den 1980er Jahren sieht man schon daran, dass sie ohne die ständig verwackelten Handkameras auskommt und statt einem Stakkato kurzer Einstellungen und schneller Schnitte die Langsamkeit des Moments auskostet, um visuell eindrucksvolle Beobachtungen zu machen, die anstelle auf Gespräche auf Mimik und Perspektiven ausgelegt sind. Man erfährt bewusst wenig über die Figuren, insbesondere den namenlosen Hauptcharakter, der nur "Der Fahrer" genannt wird. Was man zu wissen glaubt, ergänzt man selbst aus dem, wie man ihn wahrnimmt und was er tut. Dem Publikum ergeht es dabei ähnlich wie seiner Nachbarin Irene, die ihn als freundlichen, hilfsbereiten Mann kennenlernt, der zwar verschlossen scheint, aber immer beherrscht. Dass sie sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen kann liest man an ihrem Verhalten ab und kann sie sogar verstehen, obwohl ihr Ehemann hinter Gittern sitzt. Doch wenn der Fahrer sich zu erkennen gibt in jener Szene im Fahrstuhl, wo er sie zuerst leidenschaftlich küsst, ehe er sie mit allem verteidigt, was ihm zur Verfügung steht, verliert er sie, und in gewissem Sinne auch sein Publikum.

Bis dahin fällt es nicht schwer, ihre Offenheit dem Fahrer gegenüber zu verstehen. Seine Arbeit als Stuntfahrer beim Film klingt interessant, wenn auch gefährlich. Dass er sich nachts als Fluchtwagenfahrer verdingt verschweigt er zwar, doch immerhin trägt er keine Waffe und verletzt auch niemanden. Dass er trotz seiner verschlossenen Art einen Zugang zu Irenes Sohn Benicio findet scheint erstaunlich und man ahnt schon, was es bedeuten könnte, als bekannt wird, dass dessen Vater aus dem Gefängnis entlassen wird. Doch Irenes Mann scheint geläutert, eine Auseinandersetzung mit dem Fahrer gibt es nicht, und er wird von Gangstern, die er hinter Gittern getroffen hat, gezwungen, bei einem Überfall mitzuwirken. Dass sich der Fahrer anbietet zu helfen, mag man nicht verstehen, außer es ginge ihm darum, Irene glücklich zu sehen, selbst wenn es mit ihrem Mann ist und nicht mit ihm. Dass die Sache außer Kontrolle gerät ist unausweichlich, auch wenn die Hintergründe zunächst undurchsichtiger scheinen, als sie sind. Während derzeit viele Thriller die Suche nach Vergeltung in den Mittelpunkt stellen, geht es bei Drive mehr darum, dass der Fahrer präventiv Gewalt anwendet, wenn auch nur als Reaktion.

Wenn sich Filme an erwachsene Zuschauer richten ist dagegen nichts einzuwenden. Manche Geschichten eigenen sich schlicht nicht für ein jugendliches Publikum. Und oftmals ist es so, dass wenn die Gewalt von den Bösewichten ausgeht, man damit noch besser umgehen kann, als wenn sie vom Helden ausgeübt wird. Drive behält seinen Protagonisten so lange mysteriös, dass es schwer fällt, sich zu entscheiden, ob er nun ein Held ist, oder nicht. Die Werbezeile des Films nimmt einem hierbei das Urteil ab: "Manche Helden sind real". Doch sieht man die Gewalt von ihm ausgehen, fragt man sich gleichzeitig, ob man nicht bisher auf den falschen gesetzt hat. In drei Szenen schlägt Refn merklich über das Ziel dessen hinaus, was ein Film zeigen muss und zeigen sollte. Da ist zum einen der Angriff auf den Fahrer und die Überfallhelferin Blanche, der Mord an Cook in der Pizzeria und bei der bereits erwähnten Konfrontation im Fahrstuhl. Zwar wurde letztere bereits für die US-Kinoverwertung stark entschärft, doch ist das Gezeigte nach wie vor inhaltlich vollkommen unnötig. Anstatt nur die sphärische Optik und die Bildkompositionen seinen Vorbildern der 80er Jahre zu entleihen, borgt sich der Regisseur leider auch die grafische Gewalt jener Zeit, die inzwischen zumindest in Actionthrillern selten geworden ist.

Was zwischen jenen Momenten geschieht lässt für die Figuren viel Spielraum für Interpretationen offen. Man erfährt nicht, was den Fahrer antreibt, auch wenn man erahnen kann, dass der Kommentar von seinem Boss Shannon sich auf alle Figuren übertragen lässt, wenn er sagt, dass er für alles, was er getan habe bereits gebüßt hätte. Drive stellt mit Irene und Benicio nur zwei Charaktere vor, die sich bis zum Ende nichts zu Schulden kommen lassen. Alle übrigen haben früher oder später Blut an ihren Händen kleben. Doch die Frage bleibt, ob man behaupten kann, dass der Fahrer tatsächlich der Ritter in schimmernder Rüstung ist, wie man es Irene wünschen würde. Zugegeben, er bietet Benicio an, die Kugel zu verwahren, die ihm als Warnung für seinen Vater geschenkt wurde. Und er bringt Irene im Fahrstuhl aus dem Schussfeld, ehe er mit aller Härte zuschlägt. Aber macht es ihn zu einem Helden, wenn er die Gewalt ausübt, um die Unschuldigen zu schützen?


Fazit:
Augenscheinlich könnte man meinen, dass es für einen Film mit diesem Titel hier erstaunlich wenige Autoverfolgungsjagden gibt. Doch bezieht er sich nicht auf das Fahren selbst, sondern mehr auf das, was den Fahrer antreibt. Seinen inneren "Drive" sozusagen. Diesen kann man zwar beobachten, aber nicht ergründen. Sieht man ihn handeln, dann ist dies immer aus einer Notwendigkeit heraus, nie, weil er aktiv würde. Er reagiert auf Bedrohungen, die sich eingangs nicht gegen ihn richten, sondern gegen Menschen, die ihm wichtig sind. Dass man ihn dabei deuten muss, anstatt es aus seinem Mund zu hören, macht ihn noch mysteriöser.
Drive ist ein erstklassig gespielter und in tolle Bilder eingefangener Thriller, zu dessen Atmosphäre die Musik ebenso beiträgt, wie die deutungsfreudigen Perspektiven. Wäre er nicht in einer Handvoll Momente so unnötig brutal, wäre einem auch wichtig, was mit dem Fahrer geschieht. So muss man jedoch festhalten, dass er nicht nur hat kommen sehen, worauf er sich eingelassen hat, er hat es auch nicht anders verdient.