Divertimento [2020]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 22. Juli 2023
Genre: Thriller / Drama

Originaltitel: Divertimento
Laufzeit: 31 min.
Produktionsland: unbekannt
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: Keyvan Sheikhalishahi
Musik: Gréco Casadesus, Grégory Cotti
Besetzung: Kellan Lutz, Torrey DeVitto, Ola Rapace, Götz Otto, Christian Hillborg, Ellie Heydon, Brittany Gonzales, Leni Adams, Agnès Godey


Kurzinhalt:

Auf dem Weg zu einem speziellen, hochkarätigen Schachspiel, trifft Jonas Olsen (Kellan Lutz) auf Cathy (Torrey DeVitto). Sie hat, wie er, eine Waffe bei sich, geladen mit Platzpatronen. Alles Teil des Spiels, das von Klaus Kesler (Götz Otto) organisiert wird. Darin soll Jonas auch auf Gustav (Ola Rapace) treffen, gegen den er zuvor bereits gespielt und der stets gegen ihn verloren hat. Diesmal will Gustav um jeden Preis gewinnen. Doch kurz nach Jonas’ Ankunft entdeckt er eine Leiche und ehe er sich versieht, eröffnen die anderen Gäste die Jagd auf ihn und Cathy …


Kritik:
Der vielfach preisgekrönte Kurzfilm Divertimento des damals erst 22 Jahre jungen französischen Filmemachers Keyvan Sheikhalishahi ist ein Spiel aus Licht und Schatten. Buchstäblich wie auch im übertragenen Sinn. Die handwerkliche Umsetzung wie auch die hochkarätige Ausstattung sind schlichtweg verblüffend, doch weder zentrale Darbietungen, noch die Story können dem durchweg das Wasser reichen. Sieht man jedoch das kreative Potential, das hier schlummert, ist dies so überraschend wie beeindruckend.

Als Kurzfilm unterliegt die Erzählung von Divertimento einer anderen Dynamik, als dies bei einem abendfüllenden Spielfilm der Fall wäre. Dass das Publikum insoweit ins kalte Wasser geworfen wird, ist kein Kritikpunkt und versetzt es gewissermaßen an die Seite des Protagonisten Jonas Olsen, der ein Rätsel aufklären muss, ohne anfangs überhaupt zu wissen, wie die Puzzleteile letztlich zusammenpassen. Er befindet sich auf dem Weg zu einem abgelegenen Schloss in Frankreich. Dort wird ein Schachspiel gespielt, zumindest augenscheinlich. Tatsächlich soll ein Mord geschehen und die Anwesenden sollen herausbekommen, wer der Mörder ist. Wenn dies verwirrend klingt, ist das durchaus beabsichtigt. Denn auf dem Weg zum Schloss begegnet Jonas Cathy, die auf der Straße liegend aus einer Ohnmacht aufwacht, ohne sich erinnern zu können, wie sie dorthin kam. Auch sie hat eine Einladung zu jenem Spiel erhalten und tatsächlich sind sie nicht die ersten vor Ort. Sowohl Gustav, der bereits öfter gegen Jonas gespielt und demütigenderweise verloren hat, ist bereits anwesend als auch Klaus Kesler, gespielt von Götz Otto, der das Event veranstaltet. Doch kurz nach der Ankunft und noch vor Beginn des Spiels, entdeckt Jonas eine Leiche und wird beschuldigt, er wäre der gesuchte Mörder, woraufhin auf ihn und Cathy die Jagd eröffnet wird.

Das wäre für sich genommen bereits als Ausgangslage interessant genug, doch entwickelt Sheikhalishahi, der auch die Drehbuchvorlage von Divertimento schrieb, die Geschichte in eine andere Richtung und unterstreicht damit den Mystery-Charakter. Denn als Jonas die Leiche erblickt, kehren Erinnerungsfetzen zurück, in denen Jonas und Gustav in ein Spiel vertieft und offenbar Cathy und Jonas ein Paar sind. Was es damit auf sich hat, sei hier nicht verraten, nur, dass der Kurzfilm durchaus eine Erklärung findet, die in den letzten Minuten jedoch einige Figuren vor existenzielle Fragen stellt, deren emotionales Gewicht nicht in dem Maße mitnimmt, wie an sich notwendig wäre. Das liegt zum großen Teil daran, dass die Reaktion, die die letztendliche Tragödie hervorruft, kaum nachvollziehbar ist, wenn die Figur zuvor nicht entsprechend vorgestellt wurde. Beide zentralen Charaktere treffen hier Entscheidungen von immenser Tragweite. Aber weder ihre tatsächliche Beziehung zueinander wird zuvor ausreichend vertieft, noch ihre jeweiligen Figuren entsprechend vorbereitet, so dass ihre Handlungen greifbar wären. Hinzu kommt, dass Kellan Lutz die verschiedenen emotionalen Extreme seines filmischen Charakters nicht auf eine mitreißenden Art und Weise zu transportieren vermag.

Demgegenüber stehen Produktionswerte, die schlicht staunen lassen. Gedreht im Château de Champlâtreux, einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert, das sich außerhalb von Paris befindet, ist die Kulisse atemberaubend und verleiht dem Geschehen eine unnachahmliche Eleganz. Dank der Kostüme und der Ausleuchtung erinnert dies ein wenig daran, als würde Christopher Nolan einen James Bond-Film inszenieren. Dank interessanter Perspektiven und einiger überlegter Kamerafahrten ist das optisch eindrucksvoll in Szene gesetzt. Das macht es umso bedauerlicher, dass die Story diese Finesse nicht ganz widerspiegelt. Lässt man sich darauf ein, erwartet das Publikum ein Kurzfilm, der sich durch seine gelungene Stimmung ebenso auszeichnet wie das Potential der Verantwortlichen hinter der Kamera Größeres verheißt.


Fazit:
„Es gab einmal dieses Schloss, groß und still“ – die Erzählung aus dem Off, die wiederholt das Geschehen in einen anderen Kontext rückt, vermittelt dem Publikum, dass es hier mehr zu entdecken gibt, als die Figuren und man selbst erahnt. Werden die scheinbaren Widersprüche der Erzählung aufgelöst, ist dies jedoch weit weniger mitnehmend, als man erwarten würde. Zu wenig greifbar die Entscheidung der Figuren, die sich durchweg distanziert und wenig natürlich verhalten. Es wäre eine gute Idee gewesen, würden die Morde, die Jonas beobachtet die Züge auf dem Schachspielbrett widerspiegeln. Doch solche Ideen werden angerissen, aber nicht fortgeführt. So überraschend die Auflösung, sie ist unerwartet schwülstig präsentiert und scheint letztlich wenig stimmig. Dafür überzeugen Ausstattung und Umsetzung durch ein bemerkenswertes, handwerkliches Talent, sodass man insbesondere bei einem so jungen Filmschaffenden gespannt sein darf, was als nächstes kommt. So ist Divertimento ein stark inszenierter und durchaus sehenswerter Kurzfilm, der mehr Einfallsreichtum beweist, als viele abendfüllende Spielfilme.