Die Bourne Identität [2002]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 03. Oktober 2002
Genre: Thriller / Action

Originaltitel: The Bourne Identity
Laufzeit: 118 min.
Produktionsland: USA / Tschechische Republik
Produktionsjahr: 2002
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Doug Liman
Musik: John Powell, Joel J. Richard
Darsteller: Matt Damon, Franka Potente, Chris Cooper, Clive Owen


Kurzinhalt:
Zweimal wurde auf den unbekannten Mann geschossen, den die Fischer aus dem Wasser gezogen haben. Der Schiffsarzt versorgt ihn so gut es geht – wobei ein kleiner Metallstift in seiner Hüfte entdeckt wird, der auf ein Bankschließfach in der Schweiz hindeutet – und der Mann überlebt.
In der Schweiz angekommen findet der Mann, der sich an nichts erinnern kann, das auf seine Identität hindeuten würde, heraus, dass sein Name Jason Bourne (Matt Damon) ist – und er viel Geld, ein halbes Duzend echter Pässe (mit unterschiedlichen Namen) und eine Waffe in dem Schließfach hatte.
Was er noch nicht ahnt, ist, dass seine Arbeitgeber, die ihn für tot gehalten hatten, bereits auf seiner Fährte sind.
Mit der Hilfe von Marie Kreutz (Franka Potente), die in der Schweiz Ärger mit dem amerikanischen Konsulat hatte, gelangt Jason nach Paris, wohin ihn erneut eine Spur aus dem Schließfach geführt hat. Als sie von einem Profikiller überrascht werden, erkennen Marie und Jason, dass sie in größerer Gefahr schweben, als zunächst angenommen – und Jasons Talente im Umgang mit Waffen und in der Selbstverteidigung haben eindeutig mit seiner Vergangenheit und seine Identität zu tun, doch wieso sollten ihn seine Arbeitgeber umbringen wollen?


Kritik:
Die Geschichte ist vermutlich so alt wie das Geschichtenerzählen ansich: jemand, der keine Erinnerung an seine Vergangenheit hat, wird aus einem Grund den er nicht kennt von Menschen gejagt, die er ebenfalls nicht kennt. Aber nur weil die Story altbekannt ist (und der Roman von Robert Ludlum, auf dem der Film beruht, 1988 schon einmal für das Fernsehen unter dem Titel Agent ohne Namen mit Richard Chamberlain in der Hauptrolle verfilmt wurde), muss es noch nicht bedeuten, dass der Film schlecht wäre, im Gegenteil; Die Bourne Identität ist mit genug Ideen gespickt, um den Zuschauer bei Laune zu halten. Die Geschichte entwickelt sich anfangs sehr interessant, schwächelt im Mittelteil kurz ab und zieht zum Schluss wieder überraschend an.
Doch leider war das nicht der einzige Eindruck, den ich von dem Film hatte.

Darsteller Matt Damon ist eigentlich jemand, den ich mir selten für irgendeine Rolle vorstellen könnte. In Der Soldat James Ryan (1998) fand ich ihn langweilig, überflüssig und das schwächste Glied in jenem grandiosen Film. Doch das hat nichts mit seinem schauspielerischen Talent zu tun, vielmehr ist er einfach ein Mensch, der nichts Interessantes an seinem Auftreten für mich hat. Er hat ein dermaßenes Allerweltsgesicht, dass ich ihm auf der Straße begegnen könnte und nicht wissen würde, dass er ein Star ist. Kurzum, er ist für mich "der Mann ohne Gesicht". Viele Menschen mögen das anders sehen, mir ist es schon immer so bei ihm ergangen.
Ich hätte nicht gedacht, dass ihm gerade das einmal in einer Rolle helfen würde, aber genau das tat es in seiner Rolle als Agent ohne Erinnerung Jason Bourne.

Eben aufgrund seines unscheinbaren Auftretens ist er die perfekte Besetzung für den Charakter, und er spielt (wie gewohnt) wirklich gut. Meiner Meinung nach ist seine Darstellung deutlich lebhafter und realitätsnäher geraten als die seines Freundes Ben Affleck in Der Anschlag (2002). Unterstützt wird er von der deutschen Exportdarstellerin Franka Potente, die für mich hier ihre beste Darstellung bisher abgeliefert hat. Sie spielt glaubhaft, überzeugend, wenn auch Maries Entscheidungen für mich nicht immer ganz nachvollziehbar waren, doch dies ist nicht ihr zuzuschreiben, sonderm dem Drehbuch, das ein paar deutliche Überarbeitungen nötig gehabt hätte.

Beispielsweise erfährt man letztendlich nicht, für welche Organisation innerhalb der CIA Bourne tätig ist; zweimal im Film werden Kopfschmerzen erwähnt, die er ständig haben soll, doch bis auf die Erwähnung, dass er die Schmerzen hat, sieht man sie ihm nicht ein einziges Mal tatsächlich an. Kein schmerzverzerrtes Gesicht, er kauft keine Aspirin, gar nichts. Es wird auch nie erklärt, woher er diese Schmerzen hat und ob sie am Schluss nicht mehr vorhanden sind.
Sein Vorgesetzter und offensichtlichster Bösewicht des Films, Chris Cooper, staucht seine Leute lieber tagelang zusammen, dass sie Bourne endlich fassen sollen, als dass er ins Flugzeug steigt und die Sache selbst in die Hand nimmt – diese Verhaltensweise ist gerade für einen Mann in seiner Position sehr schwer nachvollziehbar. Überhaupt bleibt er während des Films über blass, sein Charakter ist so gut wie überhaupt nicht ausgearbeitet.

An diesen offensichtlichsten Stellen hätte das Drehbuch aufgefrischt gehört, ebenso im bereits angesprochenen Mittelteil, als Bourne zum zweiten Mal zu einer Adresse fährt, nur weil er sie auf einem Blatt Papier gesehen hat. Hier scheint die Story festzustecken; glücklicherweise dauert das nicht lange an und die Geschichte bekommt eine neue Wendung.
Doch auch Tim Duttons Auftritt als ein Bekannter von Marie (Potente) ist nicht mehr als ein minder gut vorgeschobener Gastauftritt. Welche Verbindung er mit Marie hatte, wird nicht geklärt, ebenso wenig, wie die beiden am Schluss miteinander verblieben sind.
Julia Stiles hat eine wirklich interessante Nebenrolle, als Kontaktperson und Organisatorin des CIA – doch bei dem Finale ist sie zuerst mitten im Geschehen und dann urplötzlich weg! Was mit ihr geschehen ist, wieso sie sich in die Auseinandersetzung nicht eingemischt hat (immerhin ist sie eine voll ausgebildete Agentin), bleibt völlig offen.

Für mich hinterlässt das einen faden Beigeschmack, der mit ein wenig Nachdenken von Seiten der Produzenten und des Autors nicht hätte sein müssen. Vielleicht werden diese Fragen in der Romanvorlage beantwortet, oder in deren Fortsetzungen, als Zuschauer hatte ich das Gefühl, als wären die Macher des Films unter Zeitdruck geraten.
Storylöcher scheint es heute in fast jedem Film zu geben, wieso sie allerdings so groß sein müssen, wie hier in Bourne Identität, verstehe ich nicht – oder wollten die Macher dadurch das Gefühl der Amnesie auch beim Zuschauer wecken?

Viel ärgerlicher als solch inhaltliche Schwächen finde ich jedoch die Tatsache, dass der Film auch inszenatorisch weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.
Der Score von John Powell und Joel J. Richard ist in den ruhigen und spannenden Szenen sehr gut, während den Actionsequenzen wirkt sie zu laut und aufgesetzt (wirklich gute Actionszenen brauchen keine Musik, um auf den Zuschauer zu wirken, doch das ist heute offensichtlich ein wohlbehütetes Geheimnis in Hollywood). Alles in allem bleibt jedoch ein guter Gesamteindruck hinsichtlich der Musik zurück.
Kameramann Oliver Wood hat nicht zuletzt in Stirb Langsam 2 (1990) und Face / Off (1997) gezeigt, dass er sein Handwerk beherrscht und auch ihm kann man eigentlich keinen großen Vorwurf machen. Wenn man sich die Filmographie von Cutter Saar Klein ansieht, der für Der schmale Grat (1998) zurecht eine Oscarnominierung bekam, dann sind die groben Fehler eindeutig bei Regisseur Doug Liman zu suchen.
Dieser völlig überschätzte "Künstler", der schon mit Go! (1999) einen peinlichen, auf Krampf kultig getrimmten Rohrkrepierer abgeliefert hat, wollte der Bourne Identität offensichtlich in den Actionszenen so viel MTV-Stil mitgeben, wie nur irgendmöglich. Und dabei zerstört er den Film in diesen Minuten fast völlig.

Wer glaubt, man sieht im Film von den Handkampfszenen oder der Mini-Verfolgungsjagd durch Paris mehr, als im Trailer, der irrt leider. Wackelkamera, hektische Schnitte, Sekunden, die im Film schneller laufen gelassen werden, als sie gedreht wurden, und immer komplett ohne Übersicht für den Zuschauer – wenn das modernes Kino ist, brauchen Zuschauer mit etwas mehr Anspruch, kein Geld für Filme mehr auszugeben, denn dann können sie sich gleich Musik-Clips auf Viva oder MTV anschauen.
Gerade die Mini-Cooper-Verfolgungsjagd ist ein dermaßenes Desaster, dass man sich stundenlang darüber ärgern könnte. Die längste Einstellung geht geschätzterweise 4 Sekunden; als der Wagen eine Treppe hinunterfährt sieht man bis auf durchgeschüttelte Gesichter der Insassen, nichts, keine Außenaufnahmen, die das Geschehen genüsslich zeigen, keinen Gesamtüberblick, wo der Wagen auf der Treppe gerade ist – nichts.
Ebenso ergeht es den Handkämpfen, die so erbärmlich geschnitten sind, dass man bis auf das Stöhnen der Charaktere und die Schlaggeräusche nichts mitbekommt. Wer getroffen wurde, was gerade geschieht soll man sich wohl phantasievoll vorstellen.
Man stelle sich dieselben Szenen in den Händen eines brillianten Actionregisseurs, wie dem in diesem Jahr leider verstorbenen John Frankenheimer (Ronin [1998]), vor: Der Film hätte problemlos eine deutlich höhere Wertung erreicht.

Der Aufbau mancher Szenen ist wirklich gelungen, nur die Durchführung der Action ist mit einem Wort erbärmlich.
Für einen ruhigen Thriller im Stile von Spy Game (2001) ist Die Bourne Identität offensichtlich zu actionlastig und diese zu schlecht inszeniert. Für Actionfreaks hat der Film allerdings zu viele ruhige Szenen.
Auch in der Szene, als Jason Bourne in einen Bahnhof hineingeht, um eine Tasche zu deponieren, wird der Zuschauer mit fast schon übelkeiterregenden Handkamerabewegungen bombardiert, die gar nicht hätten sein müssen (und für die Szene brachte es nicht das Geringste) – es muss doch nicht alles mit einem Camcorder gedreht werden!

Dass die deutsche FSK angesichts von brechenden Knochen, Gegenständen, die während Kämpfen in die Hand gerammt werden, Leute die vor der Kamera erschossen werden, usw. eine Freigabe ab 12 rechtfertigen möchte, halte ich (wie so oft in letzter Zeit) für einen schlecht gemeinten Scherz.
Sich darüber aufzuregen, hat offensichtlich keinen Sinn, da die Verantwortlichen bis auf den monatlichen Gehaltsscheck (und vermutlich die regelmäßig eintreffenden "Geschenke" der Verleihfirmen) kein anderes Ziel in ihrem Leben sehen und von Filmen und deren Einstufungen nicht die geringste Ahnung haben.

Die Bourne Identität hinterlässt bei mir einen zwiespältigen Eindruck: während mir die Story wirklich gefallen hat und auch die Darsteller allesamt gut waren, wirkt die Inszenierung unausgegoren und auf Krampf videoclipartig. Die Geschichte selbst ist nicht ausgereift und überhaupt nicht ausgenutzt, Löcher gibt es wie Sand am Meer (z.B. plötzlich auftauchende Spezialwerkzeuge, die der Held des Films einsetzen kann).
Durch den miserablen Schnitt (auch in der ansich wichtigen Rückblickseqzenz am Schluss des Films) kriegt man in wichtigen Szenen gar nicht mit, was eigentlich passiert, oder im schlimmsten Fall, dass eine Attentäterkugel einen bedeutenden Charakter getroffen hat – ich dachte in den ersten Minuten danach, es hätte seinen Assistenten getroffen, bis der Name des Gestorbenen erwähnt wurde.
Aus der Geschichte und der Atmosphäre hätte man bedeutend mehr herausholen können.
Was bleibt ist ein "guter" Film, der viel besser hätte sein können, mit wenigen Änderungen.
Sollten die Produzenten die zwei weiteren Bourne-Bücher auch noch zu Filmen adaptieren wollen, sollten sie definitiv auf einen anderen Regisseur zurückgreifen. Dieser hier mag für Werbe- oder Musikclips der richtige sein, für mehr aber offensichtlich nicht.

Eines beweist der Film jedoch eindrucksvoll: in Europa gibt es mindestens ebenso viele interessante Orte, die sich für Filme eignen, wie in den USA – wenn nicht noch mehr.
Das gesamte Geschehen aller Blockbuster-Filme immer in die Staaten zu verlegen, ist also offensichtlich mehr als nur überflüssig (und für die Macher bedeutend kostspieliger).


Fazit:
Mit einem anderen Regisseur hätte Die Bourne Identität mehr als nur ein guter Film werden können, er ist spannend, gut gespielt und hat eine interessante Grundidee – nur die Inszenierung ist gerade in den Actionszenen so schlecht, dass einem fast der Spaß daran vergeht.
Unterhaltung pur – die aber auch auf Video/DVD oder im Fernsehen noch gut zur Geltung kommt, ein Kinobesuch ist angesichts der qualitativ hochwertigen Filme bis in den Januar hinein kein wirkliches Muss.