Desierto - Tödliche Hetzjagd [2015]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 3. November 2020
Genre: Thriller

Originaltitel: Desierto
Laufzeit: 88 min.
Produktionsland: Mexiko / Frankreich
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 18 Jahren

Regie: Jonás Cuarón
Musik: Woodkid
Besetzung: Gael García Bernal, Jeffrey Dean Morgan, Alondra Hidalgo, Diego Cataño, Marco Pérez, David Peralta Arreola, Óscar Flores Guerrero, Erik Vázquez, Lew Temple


Kurzinhalt:

Zusammen mit einem Dutzend anderer Menschen ist Moises (Gael García Bernal) auf dem Weg durch die nordmexikanische Wüste, um die Grenze in die USA zu überqueren. Nachdem das Fahrzeug ihrer Menschenschmuggler die Weiterfahrt verweigert, bleibt ihnen nichts übrig, außer zu Fuß durch die sengende Hitze zu gehen. Kurze Zeit, nachdem sie auf amerikanischen Boden sind, müssen Moises, Adela (Alondra Hidalgo) und drei weitere mitansehen, wie ein amerikanischer Mann, Sam (Jeffrey Dean Morgan), mit einem Scharfschützengewehr die vorangegangene Gruppe ermordet. Es beginnt eine tödliche Hetzjagd durch die Wüste, bei der Sam durch seinen abgerichteten Schäferhund einen weiteren Vorteil erlangt. Um zu überleben und zu seinem Sohn zu kommen, muss Moises sich Sam stellen – so schlecht seine Chancen auch stehen …


Kritik:
In seinem minimalistischen Überlebens-Thriller Desierto - Tödliche Hetzjagd destilliert Filmemacher Jonás Cuarón komplexe Dinge in eine einfache Story. Erzählt er von mexikanischen Flüchtlingen, die illegal die Grenze in die Vereinigten Staaten überqueren und dort von einem Mann mit einem Scharfschützengewehr buchstäblich ins Visier genommen werden, könnte das politisch aktueller kaum sein. Doch anstatt den wenigen Figuren Tiefe zu verleihen, verharrt er wie ein Brennglas auf der Ausgangslage. Dass die Spannung hier stellenweise knistert, ist unbestritten, doch ein Verständnis für die Charaktere erzeugt er nicht.

Erst im Nachhinein fällt auf, dass kein einziger Moment in Desierto drinnen stattfindet. Die kompakt erzählten eineinhalb Stunden spielen durchgehend in der Titel gebenden Wüste an der Grenze zwischen Mexiko und den USA. Dort werden ein Dutzend Menschen in einem Lieferwagen über den gleißenden Sand gefahren, bis der Motor streikt. Also führen die Menschenschmuggler ihre Ware zu Fuß weiter, wobei Hauptfigur Moises mit vier anderen zurückfällt. Sie müssen mit ansehen, wie ihre Leidensgenossinnen und -genossen kurz nach Überschreiten der Grenze von einem Mann mit einem Gewehr aus großer Distanz kaltblütig erschossen werden. Die Grenzpolizei, vor der sie kurz zuvor noch Angst hatten, wäre harmlos im Vergleich zu dem, was ihnen bevorsteht. Sam, so der Name des Schützen, wird auch auf die Zurückgefallenen aufmerksam und macht mit seinem Jagdhund, einem abgerichteten, deutschen Schäferhund, Jagd auf die illegalen Einwanderer.

Mehr geschieht in Desierto nicht. Der deutsche Untertitel, Tödliche Hetzjagd, fasst den Inhalt somit ausgesprochen gut zusammen. Als wäre der Scharfschütze selbst nicht schlimm genug, geht von dem buchstäblich blutrünstigen Hund „Tracker“ eine weitere Gefahr aus. Zu sehen, mit welcher kaltblütigen Gleichgültigkeit Jeffrey Dean Morgan als Sam mehr als ein halbes Dutzend Menschen ermordet, um dies damit zu begründen, dass dies sein Land sei, ist schlicht schockierend. Umso einfacher ist es, mit Moises und den anderen Überlebenden mitzufiebern, die in der sengenden Hitze um ihr Leben fliehen, nachdem sie um ihr Leben fürchtend, aus ihrer Heimat geflohen sind. Dank einer Kameraführung, die dicht an den Figuren bleibt, das Publikum in vielen Momenten an die Seite der Figuren stellt, gelingt Cuarón eine packende Umsetzung. Dennoch fehlt seinem Film eben die Menschlichkeit, die der Antagonist vollkommen vermissen lässt. Ob es dabei wirklich notwendig ist, zu zeigen, wie Sam jeden einzelnen Schuss abgibt, die Kugeln mit geradezu übermenschlicher Präzision über eine große Distanz ihr Ziel finden und ihre Opfer tödlich treffen, darf man außerdem anzweifeln. An der Menschenverachtung des Bösewichts ändert das nichts, es bedient jedoch eine andere Art Publikum. Nur die Schüsse zu hören und die Reaktion von Moises und den anderen zu zurückgefallenen zu sehen, wäre mehr als ausreichend gewesen.

So unnötig die Darstellung, so beinahe übertrieben plakativ fällt die Namensgebung der Figuren aus mit (Uncle) Sam auf der amerikanischen Seite und Mose (Moises), der sein Volk durch die Wüste in die Freiheit führt, auf der anderen. Doch außer diesen Namen werden die Personen nicht spürbar vertieft. Der von Whiskey und selbst geschossenen Nagetieren lebende Sam scheint nach seinem mehrfachen Mord kurzzeitig zusammen zu brechen, als fühlte er sich zu diesen Taten gezwungen. Doch außer ein wenig aufschlussreicher, kurzer Monolog unter dem Sternenhimmel später, erfährt man nichts über ihn. Moises auf der anderen Seite hat Familie in den USA und möchte zurück zu seinem Sohn. Weiter ausgeführt wird sein Werdegang jedoch ebenfalls nicht und all diese Informationen gibt es in einer kleinen Szenen. Ansonsten zeigt Desierto in sich teils wiederholenden Einstellungen, wie diese Charaktere sich durch die Wüste hetzen. Dank der facettenreichen und teils malerischen Bebilderung, ist das immer faszinierend anzusehen und der hohe Gewaltgrad unterstreicht, dass die Skrupellosigkeit einzelner zu einer verheerenden Grausamkeit führen. Nur würde man erwarten, dass der Filmemacher die Geschichte über diese Ausgangslage hinaus entwickeln würde. Dem ist aber nicht so.

Die grundsätzliche Idee, die Jonas Cuarón, Sohn von Gravity [2013]-Regisseur Alfonso Cuarón, hier aufgreift, ist nicht neu. Sie existiert beinahe, seit Geschichten in Filmen erzählt werden. Soziale Kommentare in eben diese drastische Ausgangslage einzubetten, bietet sich an, nur setzt sich Desierto damit nicht wirklich auseinander. Der Filmemacher verlagert das Geschehen an die Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten und zeigt mit der Ermordung von illegalen Einwanderern durch einen US-Amerikaner auf überspitzte Art, welche Auswirkungen die US-Grenzpolitik schlussendlich hat. Künstlerisch legitim, wird die inhaltliche Polemisierung der menschlichen Schicksale dahinter jedoch kaum gerechnet. Und so schockierend es ist, das zu sehen, wirklich etwas anzufangen weiß das Publikum damit am Ende ebenfalls nicht.


Fazit:
Subtilität ist keine Eigenschaft, die man Regisseur Jonas Cuarón hier vorhalten kann. Mit einer offensichtlichen Namensgebung seiner Charaktere, einer geradlinig erzählten Geschichte und einer polarisierend explizit gewalttätigen Darstellung der Situation an der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko, lässt der Filmemacher keine Zweifel. Doch er gibt seinem Publikum wenig mit auf den Weg, um sich entweder im Nachhinein Gedanken über das Gesehene zu machen, oder sich in die Figuren hineinzuversetzen. Sowohl von Gael García Bernal als auch von Jeffrey Dean Morgan kräftezehrend gespielt, stechen einige Momente bei Desierto - Tödliche Hetzjagd hervor, die mitreißend eingefangen sind. Die Bilderauswahl generell ist sehenswert und zeigt die Schönheit dieser kargen Landschaft auf greifbare Weise. Doch die Charaktere werden schlussendlich ebenso wenig vertieft wie die Geschichte ausgebaut. Das wird den realen Schicksalen an jener Grenze nicht gerecht und scheint geradezu erzwungen vereinfacht. Denn für beiläufige Unterhaltung eignet sich das Thema im Grunde nicht – mehr darf man hier jedoch kaum erwarten.