Robert Graysmith: "Zodiac" [1986]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. November 2005
Autor: Robert Graysmith

Genre: Sachroman / Krimi

Originaltitel: Zodiac
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 337 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1986
Erstveröffentlichung in Deutschland: noch nicht erschienen
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-425-09808-7


Kurzinhalt:
Am 20. Dezember 1968 wurden zwei Jugendliche in der Umgebung der San Francisco Bay angegriffen und ermordet. Erst Jahre später deckten Ermittler auf, dass bereits zwei Jahre zuvor, am 30. Oktober 1966, eine junge Frau durch denselben Täter sterben musste.
Es folgten weitere Opfer, fünf an der Zahl, die sicher vom selben Mann getötet wurden; der Täter selbst nahm am 31. Juli 1969 Kontakt mit einigen Zeitungen in San Francisco auf. Dabei beschrieb er in seinen Briefen nicht nur die verschiedenen Taten, sondern forderte die Polizei auch auf, seine Identität zu erraten, denn er würde, so kündigte er an, weiter morden. Insgesamt verbuchte er für sich über 30 Opfer, nannte jedoch nicht ihre Namen.
Jahrelang versuchten die Polizei und zahlreiche andere Ermittler, dem Täter auf die Spur zu kommen, der mit verhöhnenden Briefen die Behörden zum Narren hielt. Robert Graysmith war beim San Francisco Chronicle angestellt, als der erste Brief des Serienmörders eintraf. Auch er verschrieb sich der Aufklärung des Falles und verfolgte selbst neue Spuren, sammelte Informationen und Hinweise, trug Ergebnisse verschiedenster Quellen zusammen und fasste sie alle in einem Roman zusammen.
Darin zu lesen sind auch die Briefe, die der Täter an die Polizei und die Medien richtete und die meistens mit derselben Eröffnung begannen, in der er sich auch selbst einen Namen verlieh: "Hier spricht Zodiac ...".


Kritik:
Als knallharter Inspector Harry Callahan gelang Western-Legende Clint Eastwood ein extrem erfolgreicher Einstand im Thriller-Genre. Im Auftakt der Reihe, Dirty Harry [1971] jagt Callahan dabei den Serienkiller Scorpio – der Darsteller jener Filmfigur, Andrew Robinson, erhielt auf Grund seiner Beteiligung und Darstellung sogar Morddrohungen. Insbesondere in der Stadt, in der Dirty Harry spielt, wurde der Film mit gemischten Gefühlen aufgenommen, handelte der vermeintlich fiktive Thriller von Gegebenheiten, die sich just zu jener Zeit tatsächlich zutrugen. Es ist allgemein anerkannt, dass Regisseur Don Siegel einen der ersten Filme zum Thema des Zodiac-Mörders inszenierte, auch wenn die Namen und der Storyverlauf selbstverständlich verändert wurden.
Filme zum bis heute ungelösten Fall gibt es einige, doch die Verknüpfung mit dem realen Fall ist vielen Zuschauern hierzulande ebenso unbekannt wie viele andere Tatsachen, die der einstige Zeichner für den San Francisco Chronicle, Robert Graysmith, in seinem Tatsachenroman Zodiac zusammenträgt – das verwundert schon deshalb nicht, weil der immerhin 20 Jahre alte Roman in Deutschland nicht erhältlich ist.

Einzuordnen ist Zodiac im Bereich der nicht-fiktiven Krimiromane, sind doch alle Elemente, die der Autor vereint, faktisch belegt, seine Schlussfolgerungen und Vermutungen jeweils gekennzeichnet und auch die durch Pseudonyme ersetzte Namen tatsächlicher Beteiligten als solche herausgestellt.
Was dabei bereits beim ersten Durchblättern des Romans auffällt, ist zum einen der Aufbau des Buches, das sich neben einem Index am Ende in verschiedene Bereiche gliedert, die das Nachschlagen zum Fall ungemein vereinfachen. So gibt es sowohl eine Übersicht über die vermutlichen und erwiesenen Opfer des Täters, als auch eine separate Auflistung aller Briefe des Zodiac-Mörders, sowie eine Zusammenfassung seiner Beschreibung (zusammen getragen aus allen Berichten der Überlebenden und Zeugen) – sieht man sich das Gesamtwerk einmal an, versteckt sich dahinter weniger ein Roman, als eine Chronik, die ganze 18 Jahre umspannt, viele Figuren mehrmals besucht, den Hauptermittler des Falles, Dave Toschi, ebenso begleitet wie manche Überlebende. Die Informationsfülle, die Graysmith in seine Erzählung einfließen lässt ist, ist dabei bisweilen erdrückend und berauschend zugleich, er verlässt sich nicht nur auf die akribische Detailtreue bei den einzelnen Morden, die er Minute für Minute rekonstruiert, sondern liefert für viele Details die Umgebung und die Vergangenheit mancher Ortschaften Hintergrundinformationen, die man so schlicht nicht erwarten würde, die aber immer einen bestimmten Sinn und Zweck erfüllt.
Verwirrend ist allenfalls, dass der Autor, je nachdem, welches Opfer oder welchen Ermittlungsstrang er gerade verfolgt, in der Zeitlinie bisweilen hin und her springt, einige Jahre zurück geht, um Zusammenhänge herzustellen, um dann wieder in der jeweiligen Jetztzeit in der Erzählung fortzufahren. Sicherlich von Vorteil ist außerdem, wenn man als interessierter Leser ein gewisses Grundverständnis und eine Grundkenntnis der Umgebung des Bay-Areals von San Francisco besitzt, wobei sich Graysmith sichtlich Mühe gibt, auch weniger versierten Lesern ein plastisches Bild der Landschaft zu bieten.

Aufgeteilt ist der Roman dabei eher unbewusst in drei Abschnitte: zuerst beschreibt der Autor einige Morde, die sich aus der Sicht der Opfer und der Hinterbliebenen nachbilden ließen, anschließend handelt das Buch von den Ermittlungen der Polizei und ihrer Korrespondenz mit dem sich als Zodiac bezeichnenden Mörder, der sie in Nachrichten und Briefen immer wieder herausforderte. Den Abschluss bilden dann die Ermittlungen von Robert Graysmith selbst, der es sich nicht nur zur Aufgabe machte, so viele Details wie nur möglich zu sammeln, sondern auch bestrebt war, Zusammenhänge herzustellen, die anderen Ermittlern womöglich verschlossen blieben.
Gerade im letzten Teil weckt der Autor dabei eben jenes Interesse des Lesers, das er bereits zu Beginn mit dem Eintreffen der ersten Briefe von Zodiac bei den Zeitungen berührte. Erneut fühlt man sich versucht, selbst mitzurätseln, den Code des Mörders zu entschlüsseln, eigene Schlüsse zu ziehen, Vermutungen wie Graysmith anzustellen, sieht bestimmte Verknüpfungen innerhalb des Falles vorab und scheint sich tatsächlich an der Lösung des Falles zu beteiligen. Robert Graysmith zieht dabei die Kreise seiner Vermutungen um bestimmte Beteiligte immer enger, deckt neue Informationen aus der Vergangenheit der Figuren auf und liefert Indizien und Fakten, die immer stärker auf einen immer kleiner werdenden Personenkreis zeigen.
Doch genau hier beginnt Zodiac, wie nicht anders zu erwarten, zu frustrieren, denn statt nach all den Jahren der Ermittlungen und den unzähligen Hinweisen, Beweisen und der langen Liste der Verdächtigen einen Abschluss zu bieten, den tatsächlichen Täter zu enttarnen, endet der Roman ebenso unbefriedigend, wie der Fall für die Polizisten und den Autor selbst – es gibt keinen Abschluss, keine Auflösung und keine Verurteilung.
Bis heute ist der Täter nicht gefasst, und jedes Gerechtigkeitsgefühl, das sich nach den bildlichen Beschreibungen der menschenverachtenden, kaltblütigen Taten des Zodiac-Mörders aufbaut, der das Leben ebenso für nichtig erachtet, wie er sich selbst über alle andere erhebt, wird am Ende regelrecht zertreten. Dies mag nicht die Absicht des Autors gewesen sein, der am Ausgang des Falls ohne Zweifel nichts ändern kann, trübt jedoch durch die Frustration den Gesamteindruck des Tatsachenromans.

Auf Grund des Themas eignet sich Zodiac ebenso wenig für eine leichte Bettlektüre wie für ausgewachsene Krimifans, die sich auf einen erzählten Plot aus der Sicht einer Hauptfigur einlassen möchten; und doch schockieren die Fakten, die Graysmith hier auflistet bisweilen bedeutend mehr, als es die Fiktion je könnte, fesselt seine minutiöse Rekonstruktion vieler Morde stärker, als bei einem erfundenen Verbrechen.
All das ist bisweilen nur schwer verdaulich, und doch wahrt man nicht nur durch die enorme Zeitspanne, sondern auch durch die Tatsache, dass der Autor selbst immer reserviert bleibt und sachlich erzählt eine Distanz, die zum Kern der Zodiac-Morde nicht passen möchte.
Empfehlenswert ist es aber für all diejenigen, die sich in den Fall einarbeiten möchten, denn ein umfassenderes Lexikon zu den Ermittlungen und den Taten des Zodiac-Mörders wird man nicht finden. Vielleicht gibt ja die für kommendes Jahr angekündigte Verfilmung des Romans von Regisseur David Fincher unter dem schlichten Titel Zodiac [2006] den Anlass für einen deutschen Verlag, das Buch zu veröffentlichen – nach 20 Jahren wäre es an der Zeit.


Fazit:
Bis heute ist der Serientäter, der sich selbst Zodiac nennt, nicht gefasst; viele Verdächtige, ebenso wie viele Ermittler und Beteiligte der Polizeiuntersuchung sind inzwischen verstorben, der Fall selbst bleibt aber – nicht zuletzt dank Robert Graysmiths Chronik – unvergessen. Für diejenigen, die sich auch heute noch damit beschäftigen, und dazu gehören Kriminologen ebenso wie die Behörden, zählt Zodiac selbst als Referenz, vereint das Buch doch die wichtigsten Informationen, die vielversprechendsten Hinweise und die überzeugendsten Beweise.
Der Detailgrad, den der Autor hier konstant wahrt, angefangen von den unzähligen Indizien, der akribischen Rekonstruktion der Morde, der Beschreibung der einzelnen Ermittlungsmethoden und auch den fehlgeleiteten Hinweisen, sowie nachträglich als Zodiac-Taten erkannte Morde, ist schlicht beeindruckend und niederschmetternd. Graysmith gelingt das Kunststück eines Tatsachenromans mit einem unerwarteten Krimi-Touch, wenn er den Leser dazu verleitet, selbst Hand an die Aufklärung der Rätsel des Täters zu legen, den Code zu entschlüsseln und Schlussfolgerungen zu ziehen. Gerade die Beschreibung der Morde ist beklemmend und schockierend detailliert, doch haftet insbesondere jenen Momenten etwas Voyeuristisches an, das mir als Leser trotz der berauschenden Atmosphäre Unbehagen bereitete. In der übrigen Nachbildung der Ermittlung konnte ich mich hingegen verlieren, ohne das Gefühl zu bekommen, durch das Leid der Beteiligten unterhalten zu werden.
Frustrierend ist dabei ohne Zweifel für den Leser ebenso wie für die Polizei und den Autor, dass trotz der zahlreichen Ermittlungen kein Täter festgenommen werden konnte – wer auf einen richtigen Abschluss hofft, wird also enttäuscht werden. Allen anderen sei Zodiac schon deswegen empfohlen, weil mit diesem Fall eine Art Täter das Licht der breiten Öffentlichkeit erblickte, der heute leider bedeutend weiter verbreitet ist, als man glauben möchte und weil Graysmith auf erschreckende Weise demonstriert, dass die Realität immer noch bedeutend beängstigender ist, als die Fiktion.