Richard Preston: "Superpox: Tödliche Viren aus den Geheimlabors" [2002]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 31. Oktober 2009
Autor: Richard Preston

Genre: Thriller

Originaltitel: The Demon in the Freezer
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 283 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 2002
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2003
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-0-345-46663-1


Kurzinhalt:
Seit dem 8. Mai 1980 gelten die Pocken als ausgerottet. Nach einer beispiellosen Impfaktion durch die Weltgesundheitsorganisation in den 1970er Jahren, die es zum Ziel hatte, jenes Virus als Plage der Menschheit von dem Planeten zu tilgen, konnten die Pocken zu guter Letzt eingedämmt und schließlich ganz beseitigt werden. Superpox: Tödliche Viren aus den Geheimlabors schildert neben dem Krankheitsverlauf jenes Erregers die Bemühungen der Ärzte in aller Welt, an jenem Ausrottungsprogramm teilzunehmen und dessen Erfolg zu sichern.
Aber auch seither sind die Pocken unter Wissenschaftlern ein Thema. Nicht nur, dass in den Hochzeiten des Kalten Krieges biologische Waffen mit ihnen als "Sprengkörper" entwickelt wurden, die Bedrohung durch Pocken ist nach wie vor greifbar. Wie ernst dies den Forschern ist, deckt der auf Tatsachen basierende Roman ebenfalls auf ...


Kritik:
Sowohl für heutige Jugendliche, als auch für viele Erwachsene, ist es kaum vorstellbar, welche Plage über viele Jahre die Pocken für die Menschen auf der Welt darstellten. Aufgewachsen in einer pockenfreien Welt, besitzt jenes Virus allenfalls einen nostalgischen Charme, scheint wie ein Relikt, von dem ein jeder bereits einmal gehört, das man aber nie gesehen hat. Wenn man hingegen in Büchern bei Personenbeschreibung von einem pockenvernarbtem Gesicht liest, weiß man mitunter gar nicht, was sich dahinter tatsächlich verbirgt, doch irgendwie vermag man sich das vorzustellen – oder behauptet es zumindest.
Autor Richard Preston chronologisiert in seinem auf realen Ereignissen basierenden Roman einerseits die Bestrebung der Weltgesundheitsorganisation in den 1970er Jahren, die Pocken als Krankheit unter den Menschen auszurotten, andererseits behandelt er auch das verstörende Thema von Pocken und anderen Krankheitserregern, die nicht nur während des Kalten Krieges als biologische Waffen weiterentwickelt wurden. Deren Bestände waren nach dem Zusammenbruch des Ostblocks unauffindbar und sind es nach wie vor. Nach seinem ebenfalls auf Tatsachen basierenden Roman Hot Zone. Tödliche Viren aus dem Regenwald [1994], in welchem er sich mit dem Ebola-Virus beschäftigt, und dem fiktiven Cobra [1998], schließt Preston mit Superpox seine Trilogie um die 'Dunkle Biologie' ab, wie er selbst sagt. Und wer sich gerade heutzutage über den Ursprung, die Wirkung und die Folgen der Pockenviren informieren möchte – und angesichts der immer akuter werdenden Bedrohung durch verheerende Krankheitserreger ist dies leider ein aktuelles Thema –, der kommt um die anschaulichen und packend beschriebenen Ausführung in Superpox nicht herum.

Inwieweit Richard Preston bei seinen Ausführungen die Wahrheit um Momente ergänzt, oder wie wahr manche Aussagen sind, wenn sie nur aus einer Quelle zu stammen scheinen, sei dahingestellt. Nach der detailreichen Recherche fasziniert der Roman schon in erster Linie durch die vielen Figuren, die sich in zahlreichen Momenten der 30 Jahre umspannenden Erzählung immer wieder treffen oder deren Forschungsergebnisse später nochmals verfeinert oder herangezogen werden. Dass man hier auch aus Hot Zone bekannte Namen wiederfindet erhöht zudem ein Gefühl der Authentizität, das sich schon nach den ersten Seiten einstellt und auch bei der hypothetischen Gestaltung der letzten Kapitel erhalten bleibt.
Fühlt man sich bei den Beschreibungen der einzelnen Ärzte während der Pockenbekämpfung stellenweise ebenso ausgelaugt wie die Individuen selbst, ist es doch jener großer Abschnitt während (und nach) des Kalten Krieges, wenn zahlreiche Situationen und Institutionen beschrieben werden, die sich an der Forschung biologischer Kampfstoffe beteiligen, der einen als Leser nicht nur beunruhigt, sondern mitunter auch wütend macht. Nicht nur, dass man bereitwillig Krankheitserreger züchtete und von Grund auf herstellte, die die Wirkung und Tödlichkeitsrate der in der Natur vorkommenden Viren noch übertrafen, sondern jene Virenstämme wurden auch fertig verladen und zum Abschuss in Raketen fertig gemacht. Wo jene Bestände heute abgeblieben sind, ist nicht bekannt. Preston listet hier Namen und Daten auf, die einerseits auf der politischen Bühne jener Zeit vertreten waren, lässt aber auch Insider zu Wort kommen, die einen ganz eigenen Einblick ermöglichen und außerdem Überlegungen anstellen, welche am Schluss nicht minder verstören. Der Detailreichtum ist es, durch den man mit den Charakteren mitfiebert, auch wenn es bei der Vielzahl an Figuren schwer ist, den Überblick zu bewahren. Interessanterweise funktioniert Richard Prestons Gliederung ganz gut, auch wenn der Autor seinen Tatsachenbericht nicht chronologisch ordnet, sondern thematisch unterteilt. Auch das erfordert vom Leser mehr Aufmerksamkeit, doch erleichtert Superpox dies dadurch, dass wichtige Schlüsselpersonen oder Momente nochmals kurz erwähnt werden. Die Bilder, die im Kopf erzeugt werden, wenn der genaue Krankheitsverlauf der Pocken geschildert wird, sei es nun in Mensch oder Tier, ist sicher nicht für alle Leser geeignet. Auch sprachlich richtet sich der fachlich versierte Text im Englischen Original mehr an Interessenten, die auch mit wissenschaftlichen Begriffen zurecht kommen, oder diese nachzuschlagen bereit sind.

Wer sich darauf aber einstellt bekommt einen packenden Wissenschaftsthriller geboten, der zu allem Überfluss noch wahr ist. Gerade deshalb sorgen manche Entscheidungen von Personen für Kopfschütteln, doch gelingt es Preston nicht zuletzt durch jene Episode der mit Milzbrand versetzten Briefe nach den Anschlägen des 11. September 2001, den Bezug zur Jetztzeit zu schaffen. Und auch hier erhält man neue Einblicke in die Tragweite einer Operation, die zumindest hierzulande in der Presse großteils unterging. Lesenswert von der ersten bis zur letzten Seite wartet Superpox mit vielen Informationen rund um das Thema Pocken auf, ist gleichzeitig aber auch eine Würdigung der Erfolge jenes internationalen Programms, das die Pocken vor 30 Jahren weltweit ausrottete. Die stumme Anklage Prestons an die Wissenschaftler, die sich seither an biologischen Kampfstoffen versuchen und damit die Notwendigkeit der Arbeit an einem neuen Impfstoff mit den in Kühleinrichtungen gelagerten Pockenstämmen von damals verursachen, ist ebenso zwischen den Zeilen herauszulesen wie eine Beteiligung der USA bei der Entwicklung der biologischen Waffen. Auch wenn der Autor dies nicht wörtlich ausdrückt und offiziell seit den 1960er Jahren solche Forschungen verboten sind.


Fazit:
Unter Wissenschaftlern gelten die Pocken als die schlimmste und verheerendste Krankheit, die je die Menschen heimgesucht hat. Und das in einer Zeit, in der die Welt bei weitem nicht so vernetzt war wie heute. Ein heutiger Ausbruch würde alle Pandemieprognosen bezüglich der so genannten "Schweinegrippe" wie ein Strohfeuer aussehen lassen und vermutlich die Erdbevölkerung in die Knie zwingen. Den Krankheitsverlauf jenes Erregers beschrieben zu lesen ist mit einem Wort niederschmetternd. Dabei umso unvorstellbarer, weil dies gar nicht allzu lange zurück liegt. Wer jedoch vermutet, dass mit dem damaligen Programm zur Ausrottung der Pocken auch das Virus verschwunden sei, der irrt leider.
Weswegen es auch heute noch wichtig ist, dass an einem Impfstoff geforscht wir – und das ist leider nur mit einem funktionierenden, "lebendigen" Krankheitserreger möglich –, darüber klärt Autor Richard Preston in seinem auf Tatsachen basierenden Buch Superpox auf. Im Vergleich zu seinem Ebola-Doku-Thriller-Roman rückt er sich selbst zwar oft ins Zentrum der Erzählung, doch sei ihm dies nachgesehen. Sowohl die Chronologisierung des Ausrottungsprogramms, als auch die Fakten zur Entwicklung biologischer Kampfstoffe während des Kalten Krieges, bis hin zur detailreichen Beschreibung der Anthraxbriefe, die im Nachbeben des 11. September auftauchten, wirken sehr lebensnah und gerade darum packend.
Für mich war Hot Zone insofern zwar unterhaltsamer und schneller zu lesen, doch Superpox ist eben so informativ, spannend und lehrreich.