Roger Ebert: "Behind the Phantom's Mask" [1993]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 27. April 2018
Autor: Roger Ebert

Genre: Komödie / Thriller

Originaltitel: Behind the Phantom's Mask: a serial / by Roger Ebert
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in:
Englisch
Ausgabe:
Broschiert
Länge:
244 Seiten
Erstveröffentlichungsland:
USA
Erstveröffentlichungsjahr:
1993
Erstveröffentlichung in Deutschland:
noch nicht veröffentlicht
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe):
0-8362-8021-0


Kurzinhalt:

Bühnendarsteller Mason Devereaux wurde nie der Erfolg oder die Aufmerksamkeit zuteil, die er seiner Meinung nach verdient hatte. Was die junge Sheila Chesham, Tochter eines der wohlhabendsten Häuser Großbritanniens, in dem mehr als 20 Jahre älteren Mann sieht, kann nicht nur Mason nicht nachvollziehen. Sie sind zwar kein Paar, doch das nur, weil beide zu zurückhaltend sind, sich ihre Gefühle einzugestehen. Dass Devereaux seit drei Jahrzehnten dem Alkohol verfallen ist, war weder seinem beruflichen Erfolg, noch seinem Privatleben zuträglich. Der Überzeugung, seine Karriere zumindest mit einem sprichwörtlichen Paukenschlag beenden zu wollen, hat Mason eine gefährliche Abmachung mit dem Theater-Investor Harold Gasper getroffen. Doch am Ende ist Masons Bühnenrivale Sir Bradleigh Court tot und Mason selbst wird als Glückspilz gefeiert. Dabei beginnt für ihn eine Pechsträhne, die immer sonderbarere Wendungen nimmt und ihn gleich mit mehreren Hollywood-Agenten zusammenbringt. Sein ständiger Drang, den nächsten Drink zu sich zu nehmen, ist allerdings größer, als die Situation zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Selbst, als sein Leben davon abhängt …


Kritik:
Es heißt, dass sich in jedem Buch ein Teil der Persönlichkeit der jeweiligen Autorin bzw. des jeweiligen Autors wiederfindet. Aber auch wenn eine Geschichte durch die eigenen Erfahrungen gewinnt und bereichert wird, erdrücken die persönlichen Dämonen, die Autor Roger Ebert in seinem ursprünglich in einzelnen Teilen veröffentlichten Episoden-Roman Behind the Phantom's Mask verarbeitet, die zugrundeliegende Story. Ungeachtet der sprachlichen Finesse und des Einfallsreichtums gerät das Buch dadurch stellenweise regelrecht zermürbend.

Dass Ebert als Hintergrund seines vom Pech verfolgten, alternden Bühnendarstellers das Stück Das Phantom der Oper wählt, ist nicht von ungefähr. Und das nicht nur auf Grund der Tatsache, dass Gaston Leroux’s Roman selbst in einzelnen Episoden von 1909 bis 1910 in einer Zeitung veröffentlicht wurde. Tatsächlich spiegeln sich einige der Merkmale der zentralen Figuren in dem Bühnenschauspieler Mason Devereaux und der deutlich jüngeren, unglücklich in ihn verliebten, Adeligen Sheila Chesham wider.
Devereaux, der trotz seiner frühen Erfolge auf der Bühne nie im Rampenlicht stand und eine gefühlte Ewigkeit als Zweitbesetzung des Phantoms in London in den Startlöchern steht – immer im Schatten des tatsächlichen Stars, Sir Bradleigh Court – sieht das Ende seiner Karriere nur einen kleinen Schritt entfernt. Wohlgemerkt, obwohl es ihm ohnehin schwerfällt, durch seine seit 30 Jahren bestehende, ständige Alkoholsucht, einen klaren Gedanken zu fassen. Endlich ist ein Tag gekommen, an dem er Court auf der Bühne vertreten darf und zusammen mit den beiden zwielichtigen Männern Douglas Brown und Harold Gasper setzt Mason einen folgenschweren Plan in Bewegung.

Als dieser auf spektakuläre Weise aus der Bahn gerät, ist Sir Bradleigh Court tot und Mason erst am Anfang einer Odyssee, die ihn im Blitzlichtgewitter als neu entdeckter Star zu den Filmfestspielen in Cannes bringt, nach Disney World und sogar bis in die Oprah Winfrey Show [1986-2011]. Auch findet er sich unversehens in der eisernen Maske wieder – genau der Maske, in welche der Gefangene Ludwig XIV. (auch bekannt als „Mann mit der eisernen Maske“) eingesperrt war. Mason wird entführt, gilt als verschollen, nachdem er in einen Brunnen stürzt und spurlos verschwindet und noch Vieles mehr. Devereaux scheint ein Pechvogel biblischen Ausmaßes und je länger sein Abenteuer dauert, umso abstruser und unwahrscheinlicher werden die Zufälle, deren Opfer er wird.

Dass Roger Ebert hierfür auf persönliche Erlebnisse zurückgreift, mag man zumindest nicht hoffen. Aber sieht man sich viele andere Elemente von Behind the Phantom Mask an, wird deutlich, dass der Autor sehr wohl aus dem Nähkästchen plaudert. Sei es mit seinen Einblicken in die Welt der Hollywoodstudios mit ihren teils skurrilen Produzenten, oder seinen lebendigen Beschreibungen von London oder Cannes. Der Detailreichtum lässt erahnen, wie oft Ebert diese Orte in seiner Profession als Filmkritiker und privat besucht hat und es unterstreicht die Authentizität der mitunter abgebrühten Schilderungen der französischen Filmfestspiele. Sogar sein persönlicher Traumwagen hat den Weg ins Buch gefunden, ein Studebaker Golden Hawk.
So lebendig und gelungen diese Beschreibungen sind, sie stehen im Schatten des Aspekts, der den Protagonisten wie kein anderer prägt: Seine Alkoholsucht. Wer mit dem Werdegang des Pulitzer-Preisträgers Roger Ebert vertraut ist, weiß, dass dieser selbst lange Zeit alkoholkrank war. Wenn er somit Masons Delirium beschreibt, wie dieser durch einen Nebel hindurch seinen Alltag bestreitet, oder seine einzige Möglichkeit, die Auswirkungen des morgendlichen Katers zu überstehen, darin liegt, weiter zu trinken, dann erzählt der Autor aus eigener Erfahrung. Doch nehmen diese Schilderungen stellenweise mehr Platz ein, als irgendetwas anderes im Roman.

So kommt es vor, dass Behind the Phantom Mask auf einer einzigen Seite ein halbes Dutzend Mal davon erzählt, wie Masons einzige Gedanken darum kreisen, woher er seinen nächsten Drink bekommen kann. Dass dies bei Alkoholikern tatsächlich so sein mag, ist unbestritten und werden nur diejenigen beurteilen können, die Masons Sucht teilen. Doch wenn man auf jeder Seite von diesem unstillbaren Verlangen liest, und diese Figur kein anderes Ziel kennt, während die Welt um sie herum immer weiter aus den Fugen gerät, ist man es irgendwann schlicht leid. Insbesondere, wenn die Geschichte davon abgesehen merklich auf der Stelle tritt und immer nur dann vorangetrieben wird, wenn aus heiterem Himmel irgendetwas Absurdes geschieht. Diese aberwitzigen Episoden begleiten Mason– wenig überraschend – auf seinem Weg, von der Sucht loszukommen und seine Liebe zur deutlich jüngeren Sheila zu gestehen.

Doch dreht sich Behind the Phantom Mask noch um deutlich mehr. Auch wenn dies Masons Story ist, nehmen Nebenhandlungen wie diejenige um die afroamerikanische Produzentin Raven Charles (eine starke Frauenpersönlichkeit ähnlich derjenigen von Eberts späterer Ehefrau Chaz), oder sogar um einen größenwahnsinnigen Doktor und einen Reporter, der sich dessen teuflische Absichten mit Mason zunutze machen will, viel Zeit in Anspruch. Selbst Figuren, die oft nur ein einziges Mal in Erscheinung treten, werden mit Namen und ein paar Informationen vorgestellt, während manch andere nach langer Zeit wieder in Erscheinung treten, ohne dass abgesehen vom Namen nochmals ein Stichwort fallen würde, welche Rolle sie in der Geschichte gespielt haben. Diese künstlerischen Entscheidungen sind sicher gut gemeint, blähen aber gerade angesichts der Kürze des Buches und der eigentlichen Struktur der Geschichte die Erzählung unnötig auf und lassen sie unübersichtlicher ausfallen, als es notwendig wäre.


Fazit:
Dass womöglich weniger die Geschichte als die Aussage dahinter eine Herzensangelegenheit für Autor Roger Ebert darstellt, er darin seine eigenen Erfahrungen mit der Alkoholsucht, ihren Auswirkungen und dem vielleicht einzigen Weg aus dieser Sackgasse heraus verarbeiten möchte, ist ein nobles Ziel. Schon deshalb besitzen seine Beschreibungen von Masons Besessenheit bezüglich seines nächsten Drinks sowie die Auswirkungen, eine nicht zu leugnende Authentizität. Aber sie geraten stellenweise auch entsprechend eintönig. Gleichzeitig stellt der Autor eine Vielzahl weniger bedeutender Figuren vor, die die Geschichte unnötig länger machen. Diese lebt zwar merklich von ihrer Unvorhersehbarkeit – ein Anspruch, dem das Buch durchaus gerecht wird –, aber es schlagen manche Ideen im letzten Drittel merklich über das Ziel hinaus. Die Story liest sich dann eher wie eine TV-Serie, die zwei Staffeln länger läuft, als gut für sie ist. Sprachlich gibt es dagegen nichts auszusetzen, im Gegenteil. Eberts Stil ist überaus gelungen, seine Schilderungen lebendig und nachvollziehbar. Auch findet er regelmäßig Formulierungen, die man so mühelos in einem wichtigeren Kontext zitieren könnte. Viele Elemente, bis hin zu den Beschreibungen eines Technik-affinen Studiobosses, beziehen sich eindeutig auf Roger Eberts persönliche Erfahrungen und Interessen. Das ist durchaus interessant und gewährt einen Einblick in die Persönlichkeit des Autors, lässt die eigentliche Geschichte jedoch merklich dahinter zurücktreten. Gerade die Story kann bei Behind the Phantom Mask schließlich leider nicht überzeugen.