Verschwörung [2018]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 24. Oktober 2018
Genre: Krimi / Thriller / Drama

Originaltitel: The Girl in the Spider's Web
Laufzeit: 116 min.
Produktionsland: Großbritannien / Deutschland / Schweden / Kanada / USA
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Fede Álvarez
Musik: Roque Baños
Darsteller: Claire Foy, Sylvia Hoeks, Sverrir Gudnason, LaKeith Stanfield, Vicky Krieps, Christopher Convery, Stephen Merchant, Synnøve Macody Lund, Andreja Pejić, Cameron Britton, Beau Gadsdon, Carlotta von Falkenhayn, Volker Bruch, Claes Bang


Kurzinhalt:

Die Hackerin Lisbeth Salander (Claire Foy) wird von dem Programmierer Frans Balder (Stephen Merchant) engagiert, ein Computerprogramm zu stehlen, das er selbst für die NSA erschaffen hatte. Zwar hat Lisbeth Erfolg, allerdings wird ihr Versteck überfallen und das Programm entwendet. Hilfesuchend wendet sie sich an den Journalisten Mikael Blomkvist (Sverrir Gudnason) und macht sich selbst daran, das Programm zurückzubekommen. Dabei spielt nicht nur Balders Sohn August (Christopher Convery) eine zentrale Rolle, wie dem auf Lisbeth angesetzten NSA-Agenten Needham (LaKeith Stanfield) bekannt ist. Vielmehr wird Lisbeth mit ihrer eigenen Vergangenheit um ihre Schwester Camilla (Sylvia Hoeks) konfrontiert, was Wunden wieder aufreißt, die nie verheilt sind …


Kritik:
Mit der Verfilmung von David Lagercrantz’ Romanvorlage setzt Filmemacher Fede Álvarez in Verschwörung die Millennium-Reihe des schwedischen Autors Stieg Larsson fort. Dass sich die Macher dabei nicht klar positionieren, wozu dies genau eine Fortsetzung oder ob es doch ein weicher Neuanfang der Geschichte der Figuren sein soll, lässt den in vielerlei Hinsicht eindrucksvollen Thriller unbeholfener erscheinen, als er im Grunde ist. Erzählt er doch eigentlich die Geschichte der Figuren auf gelungene Weise fort.

Was den inhaltlichen Zusammenhang angeht, sollte man davon ausgehen, dass Verschwörung eine Fortsetzung der US-Produktion Verblendung [2011] von Filmemacher David Fincher sein soll. Aber während sich dessen Story hauptsächlich um den Journalisten Mikael Blomkvist drehte, der bei seinen Recherchen von der Hackerin Lisbeth Salander unterstützt wurde, ist Verschwörung eindeutig Lisbeths Film, in dem Blomkvist nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Das beginnt bereits damit, dass ein kurzer Prolog Einblick in Lisbeths Vergangenheit mit ihrer Schwester Camilla gewährt. Die Story soll wohl drei Jahre nach den Geschehnissen in Verblendung ansetzen und zeigt Salander als Rächerin von Frauen, denen Gewalt durch Männer angetan wurde. Dafür nimmt sie das Gesetz in die eigene Hand und ist deshalb nicht nur bei der Polizei, sondern auch den Medien bekannt. Woher dies rührt und woher sie ihre Informationen mitunter erhält, verrät der Film allerdings nicht.

Was gleich zu Beginn auffällt ist die Tatsache, dass die internationale Besetzung in der englischen Sprachfassung mit Akzent spricht. Das ergibt bei den schwedischen oder nicht-englischsprachigen Darstellern bzw. -innen durchaus Sinn, klingt aber im Falle der britischen Hauptakteurin Claire Foy zumindest anfangs befremdlich. Die Entscheidung soll wohl den Schein wahren, es handle sich bei Verschwörung um eine schwedische und nicht um eine Hollywood-Produktion, aber tatsächlich klingen die Dialoge damit eingangs unnötig gekünstelt, zumal sich der Akzent im Laufe der zwei Stunden merklich verliert.

Lisbeth wird als Hackerin beauftragt, eine Software zu stehlen, die der NSA-Programmierer Balder an seinen einstigen Arbeitgeber „verloren“ hat und mit deren Hilfe sich sämtliche online ansteuerbaren Atomwaffen kontrollieren lassen. Doch als nach dem Diebstahl das Programm wiederum Lisbeth selbst gestohlen wird, macht sie Jagd auf die Diebe, während der NSA-Agent Needham Lisbeth ins Visier nimmt. Die Dynamik, die die Story annimmt, ist überaus interessant und nähert sich stückweise Lisbeths innerstem Kreis, bis der wenig überraschende Bezug zum Prolog und damit Lisbeths Vergangenheit hergestellt wird.
Doch die Macher erzählen einen Film, der nicht funktioniert, ohne dass man die Vorgeschichte kennt. Nur welche? Hier ergibt sich das Problem, dass nie klargestellt wird, was im Leben von Lisbeth und Mikael bereits alles passiert sein soll. Dass Verschwörung das US-Remake von Verblendung fortsetzt, aber die Geschehnisse von Verdammnis und Vergebung [beide 2009] übersprungen werden, wird nie deutlich. Gleichzeitig wird zu wenig Hintergrund vermittelt, um hiermit die Saga beginnen zu können. So ergeben viele Nebenhandlungen wie die Geschichte zwischen Mikael und seiner Geschäftspartnerin beim „Millennium“-Magazin, Erika, die kaum vorgestellt wird, keinen rechten Sinn. Sieht man sich an, in welcher Situation Lisbeth am Ende von Verblendung gewesen und wo sie zu Beginn dieses Films und dass ihr Name allerorts bekannt ist, passt dies schlicht nicht zusammen. Die Entscheidung, alle Rollen neu zu besetzen, macht den Einstieg in die neue Millennium-Welt nur noch schwieriger.

Dabei zeigt Claire Foy in Verschwörung eine bemerkenswerte Tour de Force. Es gibt eine Sequenz – keine Spoiler –, in der sich Lisbeth buchstäblich innerhalb einer Minute zurück ins Leben kämpfen muss. Der jungen Schauspielerin dabei zuzusehen, ist schlicht beeindruckend. Sie porträtiert Lisbeth einerseits kühl und unnahbar, gleichzeitig unbarmherzig und hart. Andererseits jedoch verletzlich und auf eine immens persönliche Weise verwundbar. Dabei ist sie keine unbesiegbare Heldin (obwohl ihre Figur merklich als Superheldin angelegt ist), sondern gleich mehrmals einer Übermacht deutlich unterlegen, so dass man sich durchaus fragen muss, wie sie diese Situationen überstehen soll. Dass sie selbst in den Action-Sequenzen mit den Waffen einer Hackerin kämpft, die verwendeten Systeme für sich nutzt, ist eine tolle Idee. In der Rolle des Reporters Mikael Blomkvist soll Sverrir Gudnason auf den charismatischen Mimen Michael Nyqvist der ursprünglichen Millennium-Verfilmungen bzw. auf Daniel Craig in David Finchers US-Remake folgen. Beide Schuhpaare sind ihm merklich zu groß, so dass seine Figur erstaunlich konturlos und einer der größten Schwachpunkte des Films bleibt.

Handwerklich gibt es indes wenig zu bemängeln: Die ausgewaschenen Farben und die düstere Ausleuchtung unterstreichen einen kühlen Look, der zum Milieu passt, in dem sich Lisbeth bewegt. Die Kameraperspektiven und die generelle Optik sind dabei hervorragend und bestechen durch einen konstant umgesetzten Einfallsreichtum. Allerdings sind die Actionmomente etwas unübersichtlich geschnitten, so dass man nicht im Bilde ist, wer sich wo innerhalb eines Kampfes befindet.
Kenner, idealerweise sämtlicher bisheriger Verfilmungen von Larssons Romanreihe, werden in Verschwörung einen stringent erzählten Thriller mit den bekannten Figuren finden, der den Hintergrund der ungewöhnlichen Protagonistin passend erweitert. Wer ohne Vorkenntnisse hier mit der Filmreihe beginnen will, wird sich aber kaum zurechtfinden.


Fazit:
Obwohl sich trotz der eigentlich packenden Story nie die durchgehende Spannung entwickelt, die man erwarten würde, nicht einmal in den an sich toll aufgebauten (und im Vergleich zu den Vorgängern zahlreicheren) Actionhöhepunkten, gibt es viele Dinge, die den Thriller mit nordischem Touch sehenswert machen. So passt die düstere Stimmung zur im Kern kompromisslosen Story, die wenig zimperlich, aber auch nicht übermäßig brutal erzählt wird. Die kalte Optik ist trotz der teils hektischen Schnitte fantastisch und prägt merklich das Design des atmosphärisch dicht erzählten Thrillers, der die Ursprünge der Figur Lisbeth Salander auslotet. Ein weiteres Kapitel ihrer Geschichte zu sehen, bietet durchaus ihren Reiz und Claire Foy ist mehr als nur geeignet dafür. Ihre Darbietung, bei der sie der Figur neue Facetten verleiht, macht Verschwörung ohnehin sehenswert. Allerdings eignet sich der Film nur für jene, die mit der Vorgeschichte bereits vertraut sind. Dann ist Fede Álvarez’ Verschwörung eine Empfehlung für ein erwachsenes Publikum.