Tod auf dem Nil [2022]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 7. Februar 2022
Genre: Krimi

Originaltitel: Death on the Nile
Laufzeit: 127 min.
Produktionsland: USA / Großbritannien
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Kenneth Branagh
Musik: Patrick Doyle
Besetzung: Kenneth Branagh, Tom Bateman, Annette Bening, Gal Gadot, Emma Mackey, Armie Hammer, Russell Brand, Ali Fazal, Dawn French, Sophie Okonedo, Letitia Wright, Rose Leslie, Jennifer Saunders, Ann Turkel


Kurzinhalt:

Bei einem scheinbar zufälligen Aufenthalt in Ägypten begegnet der weltberühmte Detektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) seinem Freund Bouc (Tom Bateman). Der ist für die Hochzeitsfeier der sehr wohlhabenden Linnet (Gal Gadot) und des nur wenige Wochen zuvor noch arbeitslosen Simon Doyle (Armie Hammer) in einem Hotel am Nil angereist. Zu den Gästen zählen neben der wenigen, Linnet verbliebenen Familie, auch ihr Ex-Verlobter Dr. Windlesham (Russell Brand) und ihre beste Freundin Jacqueline (Emma Mackey), die zuvor mit Simon verlobt war, in den Jacqueline immer noch unsterblich verliebt ist. Die Spannungen sind mit Händen zu greifen, weshalb Linnet Poirot bittet, die Gesellschaft bei der Feier auf einem eigens dafür angeheuerten, luxuriösen Nildampfer zu begleiten. Poirot willigt ein, doch er kann den Mord, der wenig später geschieht, nicht verhindern. Die meisten Anwesenden der geschlossenen Gesellschaft hätten ein Motiv, die Tatwaffe war ebenfalls für viele zugänglich. Doch die engsten Verdächtigen haben allesamt ein unwiderlegbares Alibi. Die Ermittlungen führen Poirot an seine Grenzen und fordern auch ganz persönliche Opfer …


Kritik:
Es ist ein Satz, den man meist von einem älteren Publikum hört: „Solche Filme werden heute nicht mehr gemacht“. Regisseur Kenneth Branagh scheint sich genau das zu Herzen genommen zu haben und präsentiert nach Mord im Orient Express [2017] mit dem nächsten Fall von Meisterdetektiv Hercule Poirot einen geradezu erfrischend klassischen Krimi mit einer Star-Besetzung vor opulenter Kulisse. Dank toller Dialoge und einiger preiswürdiger Darbietungen ist Tod auf dem Nil für Genrefans mehr als sehenswert. Trotz eines auffallend sichtbaren Kritikpunkts.

Basierend auf dem gleichnamigen Detektivroman von Agatha Christie aus dem Jahr 1937, ergänzen Filmemacher Branagh und Drehbuchautor Michael Green die bekannte Geschichte um einen Prolog und einen Epilog, in denen die Hauptfigur des belgischen Detektivs Hercule Poirot weiter vorgestellt wird. Den Beginn macht ein in schwarzweiß gehaltener Rückblick in eine Schlacht des ersten Weltkriegs im Jahr 1914, bei der Poirot verwundet wird. Daran anschließend springt die Geschichte in das London des Jahres 1937, wo der akribische und hinsichtlich seiner Ordnung geradezu obsessive Poirot in einem Nachtclub zu Gast ist. Unter den Gästen, die er beobachtet, ist auch die offenbar sehr wohlhabende Linnet Ridgeway, deren Freundin Jacqueline ihr ihren Verlobten Simon vorstellt. Wenige Wochen später ist Poirot in Ägypten und trifft auf seinen Freund und Vertrauten Bouc. Der lädt ihn ein, an einer Hochzeitsgesellschaft teilzunehmen, aber auch wenn Poirot die Anwesenden vertraut vorkommen, ist die Zusammenstellung anders, als erwartet. Denn statt die Vermählung von Jacqueline und Simon zu feiern, hat Simon Linnet geheiratet. Die gehörnte Ex-Verlobte Jacqueline droht, die Feier zu einem Fiasko werden zu lassen, ist sie doch noch von Simon wie besessen – und bewaffnet. Darum bittet Linnet Poirot zu bleiben, denn sie fühlt sich weder mit Jacquelines Anwesenheit, noch einem der anderen, halben Dutzend geladenen Gäste, darunter engste Familie, sicher.

Die Bühne des Krimis wird bereitet, wenn Bouc seinem Freund (und damit auch dem Publikum) bei dem ersten Hochzeitsempfang die Gäste kurz vorstellt, sie in der Familie einordnet und auch die ersten Unstimmigkeiten zu Braut und Bräutigam erläutert. Denn nicht nur, dass Jacqueline als Verflossene Teil der Gesellschaft ist, die vermögende Linnet hat auch ihren Ex-Verlobten, den Arzt Windlesham, eingeladen. Auf einem luxuriösen, für das Brautpaar und die Gäste angemieteten Nildampfer beginnt eine Flusskreuzfahrt zu den Sehenswürdigkeiten, bei der es, wie der Titel schon verrät, zu einem Tod auf dem Nil kommt. Es wird im Laufe der Ermittlungen, die Poirot unternimmt, nicht der letzte sein. Dabei sind in diesem vom Fluss umgebenen Habitat die Verdächtigen zwar nicht zahlreich, ihre Motive aber zumindest meistens gleich erkennbar, die Beweise, um den Täter oder die Täterin zu überführen, aber kaum zu finden. Bis der Mord geschieht, dauert es erstaunlich lange, doch nimmt sich Filmemacher Kenneth Branagh dafür die Zeit, seine Figuren entsprechend vorzustellen.

Die sind von einer erstklassigen Besetzung verkörpert, bei denen zwei Darbietungen besonders hervorstehen. Zum einen diejenige von Kenneth Branagh selbst, dem die Rolle des akkuraten und dabei doch auch selbstverliebten Poirot auf den Leib geschrieben scheint. Ihm beim Nachdenken, beim Beobachten allein zuzusehen, ist ein Fest, seine emotionale Momente nicht weniger große Schauspielkunst. Ebenso diejenige von Annette Bening, die vor allem in der zweiten Filmhälfte gefordert ist. Aber auch Russell Brand, Tom Bateman oder Gal Gadot sind sehenswert, während Emma Mackey als beinahe krankhaft verliebte Jacqueline eine regelrechte Hitze ausstrahlt. Ein weiteres Highlight ist Sophie Okonedo mit einigen der einprägsamsten Kommentare. Es ist ein Ensemble, wie man es selten sieht und sie alle bekommen wenigstens einen Moment, um zu glänzen.

Auch dank der tollen, geschliffenen Dialoge, die vor allem im letzten Drittel geradezu packend in Szene gesetzt sind. Die Optik, Kameraperspektiven und der Schnitt, die extravagante Lokalität des Nildampfers, sind so fantastisch in Szene gesetzt, mit so viel Bedacht ausgewählt, dass ein Aspekt umso stärker auffällt: Die allzu offensichtlich künstlichen Hintergründe. Inwieweit die Besetzung tatsächlich vor den kulturell umwerfenden und imposanten Sehenswürdigkeiten Ägyptens gestanden hat, lässt sich kaum sagen. Kein einziger Moment, in denen auch nur eine Figur vor der Kulisse der Pyramiden oder des Nildeltas zu sehen ist, erscheint echt. Die Farben, die Schärfe, all das wirkt so künstlich, als wäre Tod auf dem Nil auf einer Theaterbühne entstanden mit gemalten Szenenbildern. Es sind Bilder, die für sich gesehen durchaus bestehen können, bis man die Menschen davor sieht und die Illusion zerstört wird, man befände sich tatsächlich auf dem Nil oder in dessen Nähe. Insofern kommt es der Geschichte zugute, dass je weiter sie fortschreitet, die Räumlichkeiten immer beengter werden, Poirot die Schlinge bei seinen Ermittlungen enger zieht und damit auch mehr ins Innere des Nildampfers.

Es ist ein Makel, den man so in der heutigen Zeit nicht erwarten würde und der vor allem vollkommen unnötig ist. Sieht man darüber hinweg, ist Kenneth Branaghs zweiter Poirot-Auftritt gleichermaßen gelungen wie der erste, richtet sich trotz einiger süffisanter Dialoge doch eher an ein ernstes Publikum und rückt das Schicksal der Figuren – und seiner Hauptfigur – in den Mittelpunkt. Hercule Poirot auch mit dem Epilog so vorzustellen, ihn zugänglicher zu machen, ist eine gelungene Idee. Stand bei Mord im Orient Express gewissermaßen die Tragik der Verdächtigen im Zentrum, ist es hier seine eigene. Das führt nicht zuletzt zu einer eindrucksvollen, zentralen Darbietung und lädt ein, diese Figur wieder zu besuchen. Man kann nur hoffen, Branagh die Möglichkeit dazu bekommt.


Hinweis: Teil der Besetzung, und das in der tragenden Rolle des Simon Doyle, ist Armie Hammer, gegen den durch mehrere Frauen seit 2021 Missbrauchsvorwürfe erhoben wurden. Zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens dieser Anschuldigungen waren die Dreharbeiten für Tod auf dem Nil lange abgeschlossen. Nach Auffassung dieses Kritikers sollte für die übrigen an dieser Produktion beteiligten Personen dessen Beteiligung daher nicht zu einem Nachteil führen. Die Entscheidung, den Film mangels Interesse nicht anzusehen, sei jeder und jedem unbenommen. Ihn bewusst auf Grund des vorgenannten Umstands zu boykottieren, wird der persönlichen Leistung aller übrigen Personen der Produktion nicht gerecht und trifft am Ende die falschen Personen.


Fazit:
Nicht nur, dass die Verantwortlichen ein Verbrechen vorstellen, dessen Aufklärung den (wie er selbst sagt) größten Detektiv der Welt vor eine Herkulesaufgabe stellt, sie demaskieren Hercule Poirot gleich in mehrfacher und am Ende wörtlicher Hinsicht, wenn er unter anderem mit der Selbsterkenntnis auftritt, dass seine Eitelkeit, sein Hang, von einem Publikum angehimmelt zu werden, während sein brillanter Geist die Lösung eines Verbrechens präsentiert, mehr Schaden als Nutzen anrichten kann. Die scharfen und pointierten Dialoge sind ein Highlight bei Kenneth Branaghs zweitem Auftritt in dieser Rolle. Sie und die Darbietungen an sich, die von einer tollen Besetzung mit vielen Nuancen verkörpert werden. Zugegeben, die erste Hälfte ist im Aufbau länger, als sie sein müsste, und die tatsächlichen Zusammenhänge sind für Krimi-Fans nicht wirklich überraschend, wenn auch wenigstens stellenweise die Details auf dem Weg zur Auflösung. Doch das ändert nichts daran, dass Tod auf dem Nil toll gespieltes und erstklassig inszeniertes Krimi-Kino für ein erwachsenes Publikum ist. So, wie man es früher gemacht hat. Als Fortsetzung ist das beinahe ebenbürtig und trotz der oftmals künstlichen Hintergründe für sich allein einer der sehenswertesten, klassischen Krimis der vergangenen Jahre.