The Wolf of Wall Street [2013]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 03. August 2014
Genre: Unterhaltung / Komödie / Krimi / Biografie

Originaltitel: The Wolf of Wall Street
Laufzeit: 180 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2013
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Martin Scorsese
Musik: Randall Poster
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie, Matthew McConaughey, Kyle Chandler, Rob Reiner, Jon Bernthal, Jon Favreau, Jean Dujardin, Joanna Lumley, Cristin Milioti, Christine Ebersole, Shea Whigham


Kurzinhalt:
Der Börsencrash des Schwarzen Montags zerstört im ersten Moment die Träume vom schnellen Geld des angehenden Wall Street-Brokers Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio). Seine Frau Teresa (Cristin Milioti) macht ihn auf die Anzeige einer kleinen Firma aufmerksam, über die Jordan auf einen schnelleren Weg zu noch mehr Geld stößt. Zusammen mit Donnie Azoff (Jonah Hill) und einigen anderen Kollegen macht er sich wenig später in seiner aufstrebenden Firma Stratton Oakmont einen Namen an der Wall Street.
Der stete Party- und Drogenrausch geht an ihm nicht spurlos vorbei und kurz darauf ist Jordan nicht nur geschieden und mit Naomi (Margot Robbie) neu liiert, er erhält vom FBI-Agenten Denham (Kyle Chandler) Besuch. Zwar gelingt es Jordan, sein Geld mit Hilfe des Schweizer Bankers Saurel (Jean Dujardin) ins Ausland zu schaffen, doch die zwielichtigen Methoden, mit denen er und seine Angestellten das große Geld machen, lassen sich nicht lange vertuschen ...


Kritik:
Jede kreative Entscheidung von Filmemacher Martin Scorsese erweckt in The Wolf of Wall Street den Eindruck, als hätte er sie nur getroffen, um den Film künstlerisch anspruchsvoll und damit preisverdächtig zu machen. Sei es, dass Hauptfigur Jordan Belfort immer wieder direkt in die Kamera mit dem Publikum spricht, oder sich in zwei Szenen Figuren nur in Gedanken miteinander unterhalten. Seit über dreißig Jahren werden Scorsese und seine Filme für die begehrten Oscar-Trophäen nominiert, er selbst konnte sie bislang nur einmal mit nach Hause nehmen. The Wolf of Wall Street ging leer aus, vielleicht auch, weil der Film so sehr darum bemüht ist, dass die Geschichte und ihre Figuren dabei zur Nebensache geraten.

Wer dabei bislang noch nicht verstanden hat, dass der einzige Sinn und Zweck der Broker an der Wall Street und anderen Finanzbörsen der Welt darin besteht, sich selbst und nicht den Kunden Geld zu verdienen, der bekommt das in Matthew McConaugheys kurzem aber prägnantem Auftritt auf den Punkt gebracht. Er erzählt dem aufstrebenden Jordan Belfort, worauf es ankommt an der Wall Street und dass man dort nur Karriere machen kann, wenn man sich dem Drogen- und Partyrausch hingibt. Es ist eines von wenigen Highlights in dem mit drei Stunden mindestens eine Stunde zu langen The Wolf of Wall Street, der Jordans Aufstieg und seinen Fall abdeckt. Doch auch diese Szene zieht sich, wie jede andere im Film, länger hin, als es notwendig wäre. Statt seiner Erzählung ein Tempo zu verleihen, das den Sog aus Macht und Reichtum widerspiegelt, dehnt Regisseur Scorsese jede Einstellung so lange aus, dass deren Aussage auch dem letzten Zuschauer klar geworden sein müsste. Zu sehen unter anderem, wenn Jordan versucht, den FBI-Agenten Denham zu bestechen, oder aber wenn Donnie und Jordan in dessen Haus im Drogenrausch die Kontrolle über ihre Körperfunktionen verlieren.

Aus viel mehr bestehen die ersten eineinhalb Stunden des Films ohnehin nicht. Wir sehen Jordan alle möglichen Substanzen schlucken bzw. inhalieren, von Glastischen, nackten Brüsten oder Hintern schniefen, während der Geldregen nicht enden will und auch die Angestellten in seiner Firma Stratton Oakmont (deren Name Vertrauen erwecken soll) sich tagein tagaus von Prostituierten auf den Schreibtischen oder den Toiletten beglücken lassen. Dass die Charaktere nicht wirklich interessieren, entgeht dem Drehbuch.
Erst wenn das FBI an Belfort herantritt, scheint die mäandrierende Story einen roten Faden zu finden, doch diese Hoffnung versandet in der ebenso langen zweiten Filmhälfte schnell wieder.

In zwei Momenten hat man das Gefühl, als könnte man hinter die Fassade von Jordan Belfort blicken. Beim ersten wird er von seiner ersten Frau beim Fremdgehen ertappt und ist angesichts ihrer Frage, ob er seine Geliebte denn lieben würde, in der Tat sprachlos. Im zweiten wird er von seiner zweiten Frau Naomi (verkörpert von Margot Robbie, die mit einer Präsenz à la Sharon Stone überrascht) zurechtgestutzt und erinnert sich an eine Nacht mit der Domina Venice. Es ist, als wäre Jordan nicht in der Lage, sich in solch persönlichen Momenten zu behaupten, geschweige denn, als könne er zu seiner Verantwortung stehen. Letzteres sieht man überdies an seiner vermeintlichen Abschiedsrede, wenn deren Ausgang klar wird. Doch diese Einblicke in seine Persönlichkeit sind selten und auch dann interessiert er nicht wirklich. Darüber täuscht auch nicht die Kräfte zehrende, eindringliche Darbietung von Leonardo DiCaprio hinweg.

Als Oliver Stone erfuhr, dass sein Wall Street [1987] als Lehrvideo für zukünftige Broker von selbigen aufgefasst wurde – wohl auch vom wahren Jordan Belfort – und nicht als warnendes Mahnmal, war er schockiert. Seine abschreckende Aussage ist damals offensichtlich gewesen. Nur welche Aussage trifft The Wolf of Wall Street? Sieht man die letzten Minuten, dann könnte man meinen, für Jordan Belfort ist nach gezahlter Geldstrafe und verbüßter Haft das Leben wieder so, wie es vorher war. Er kann sein Talent, den Menschen alles Mögliche zu verkaufen, immer noch zu Geld machen. Dass hinter jedem Aktienkauf und –verkauf, hinter jeder Transaktion menschliche Existenzen, Schicksale stehen, die durch die skrupellosen, geldgierigen Finanzanleger zerstört wurden, diese Beobachtung trifft Martin Scorsese nicht. Fixiert auf eine preisverdächtige Umsetzung, scheint es ihm so gleichgültig wie Belfort.


Fazit:
Der einzig subtile Moment von The Wolf of Wall Street ist, wenn Jordan nach dem Drogenrausch seinen ramponierten Sportwagen zu Gesicht bekommt, von dem er zuvor noch glaubte, er hätte ihn unbeschadet geparkt. Es ist symptomatisch für ihn und seinesgleichen, die sich die Realität so vorlügen, wie es ihnen genehm ist. Alle übrigen Aussagen versucht Martin Scorsese seinem Publikum mit dem Holzhammer einzuprügeln. Dass sie aber nicht nur seit langem bekannt sind, sondern seine lange Biografie zäh erzählt ist, scheint er dabei vergessen zu haben.
In der zweiten Filmhälfte, wenn Belforts Märchenwelt zusammenzubrechen beginnt, ist es, als wollte uns das Skript Jordan Belfort als Mischung aus Bud Fox und Gordon Gekko (die beiden Hauptfiguren aus Wall Street) verkaufen, um doch noch Sympathie für ihn zu wecken. Die Gratwanderung gelingt Leonardo DiCaprio in einer anstrengenden, elektrisierenden Darbietung hervorragend. Doch macht das die Figur nicht interessanter. Vielleicht ist am Ende die einzige Wahrheit, dass Jordan Belfort ist und bleibt, was und wer er immer war. Diese Erkenntnis hätte man auch schneller erlangen können.