The Jungle Book [2016]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Lars Adrian  |   Hinzugefügt am 8. Juni 2016
Genre: Fantasy

Originaltitel: The Jungle Book
Laufzeit: 106 Min.
Produktionsland: USA / Großbritannien
Produktionsjahr: 2016
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Jon Favreau
Musik: John Debney
Darsteller: Neel Sethi, Bill Murray (Armin Rohde), Ben Kingsley (Joachim Król), Idris Elba (Ben Becker), Christopher Walken (Christian Berkel), Scarlett Johannsson (Jessica Schwarz), Lupita Nyong'o (Heike Makatsch), Giancarlo Esposito (Justus von Dohnányi)


Kurzinhalt:
Der verwaiste Menschenjunge Mogli (Neel Sethi) wird im Dschungel von Panther Baghira (Ben Kinsgsley / Joachim Król) gefunden, der das Kind zu dem von Akela (Giancarlo Esposito / Justus von Dohnányi) geleiteten Wolfsrudel bringt. Wölfin Raksha (Lupita Nyong'o / Heike Makatsch) adoptiert den Jungen und Mogli wächst als Mitglied des Rudels auf, während Baghira ihn die Gesetze des Dschungels lehrt.
In einer Trockenzeit kommt der mächtige Tiger Shir Khan (Idris Elba / Ben Becker) in die Gegend. Er entdeckt Mogli und warnt die Gemeinschaft der Tiere, dass der Junge eine Gefahr sein wird, wenn er zum erwachsenen Menschen geworden ist. Da er damit droht, Mogli zu töten, beraten Baghira und das Wolfsrudel das weitere Vorgehen, so dass sich Mogli entschließt, den Dschungel zu verlassen. Baghira möchte ihn zu einer Menschensiedlung bringen, in der Mogli in Sicherheit ist.
Als sie getrennt werden, setzt Mogli seinen Weg allein fort und begegnet der Schlange Kaa (Scarlett Johannsson / Jessica Schwarz), dem Bären Balu (Bill Murray / Armin Rohde) und dem König der Affen King Louie (Christopher Walken / Christian Berkel).
Unterdessen sucht Shir Khan unbeirrbar den Menschenjungen, denn er hat mit ihm eine alte Rechnung zu begleichen.


Kritik:
"DSCHUNGEL – wieviel Phantasie und wieviel Zauber liegen in diesem Wort!
Und wie märchenhaft und wundersam ist die Geschichte des kleinen Jungen, der Mogli hieß."
(Baghira in Das Dschungelbuch [1967])

Es gibt Erfahrungen, die ein Kind prägen. Der Zeichentrick-Klassiker Das Dschungelbuch ist eines der sehr seltenen Werke, die wohl für unzählige Kinder generations- und herkunftsübergreifend auf der ganzen Welt einer der ersten Filme war, die sie im Kino erleben durften.
Die 1894 erstmals veröffentlichte literarische Vorlage lieferte der im indischen Bombay geborene britische Autor Rudyard Kipling. Sie wurde im Laufe der Jahre immer wieder für Film und Fernsehen adaptiert.
Doch Walt Disneys 19. abendfüllender Animationsfilm, der zugleich der letzte war, an dem Disney vor seinem Tod im Dezember 1966 selbst beteiligt war, genießt bis heute eine beispiellose Popularität, die wesentlich in den zahlreichen regelmäßigen Wiederaufführungen begründet ist. Jahrzehntelang konnte Das Dschungelbuch nur im Kino bewundert werden. Heimvideoveröffentlichungen waren sehr spät erhältlich – und selbst dann nur für einen begrenzten Zeitraum. In Deutschland lief der Film sogar erst 2014 erstmals im Free-TV.

Als vor ein paar Jahren bekannt wurde, dass der Disney-Konzern an einer neuen Dschungelbuch-Realverfilmung arbeitet, die den Stoff einer neuen Generation nahebringen soll, war die Skepsis insbesondere unter den Leuten groß, die mit Mogli, Balu und Baghira aufgewachsen sind, die die Geschichte und die Figuren lieben, und die zeitlos schönen Lieder nicht nur mitsummen, sondern Wort für Wort mitsingen können.

Die Bezeichnung "Realverfilmung" ist rein technisch gesehen allerdings nicht unbedingt korrekt. Obgleich The Jungle Book – weshalb man im deutschsprachigen Raum den englischen Titel beibehalten hat, will mir nicht ganz einleuchten; möglicherweise wollte der deutsche Verleih damit unmissverständlich klarstellen, dass es sich in der Tat um eine neue Version der Geschichte handelt – gerade in Bezug auf die Natur- und Landschaftsaufnahmen einen fotorealistischen Eindruck macht, entstanden nahezu alle Einstellungen nicht an Orten in der Wirklichkeit, sondern wurden von unzähligen Animationskünstlern digital am Rechner erschaffen. Lediglich der junge Mogli wird von dem echten Darsteller Neel Sethi verkörpert.
Während man als erwachsener Zuschauer vielleicht in den ersten paar Minuten des Films noch über die Umsetzung dieser Technik und ihre Wirkung nachdenkt, wird schnell klar: Noch nie sah der Dschungel so geheimnisvoll und gleichzeitig atemberaubend schön aus, wie hier. Zusammen mit der Gestaltung der unterschiedlichen, sprechenden Tieren dürfte The Jungle Book zweifellos der Maßstab der Tricktechnik sein, mit dem sich kommende Werke vergleichen lassen müssen.

Reduzierte man den Film jedoch nur auf seine visuellen Reize, würde man den Machern nicht gerecht werden.
Das von Justin Marks verfasste Drehbuch orientiert sich zwar stark an der Geschichte und den Figuren des 1967er Dschungelbuchs, das seinerseits recht frei Kiplings Vorlage adaptiert hatte, findet aber dennoch genügend eigene Ansätze, um das Geschehen auch für Zuschauer interessant zu halten, die mit der Materie schon vertraut sind. So beginnt The Jungle Book zum Beispiel mit einem Mogli, der bereits mehrere Jahre im Wolfsrudel gelebt hat. Die Vorgeschichte, wie und unter welchen Umständen Mogli in den Dschungel gekommen ist, wird erst später in einer bewegenden Rückblende erzählt. Das Zusammentreffen von Balu und Mogli entwickelt eine völlig andere Dynamik, als dies noch in der Zeichentrickfassung war, und die Elefanten bleiben in Marks Skript stumm, was maßgeblich zu ihrer ehrfurchtgebietenden Erhabenheit beiträgt und einen besonderen Moment im Film umso berührender macht. Dass aus dem früheren Orang-Utan King Louie in der Neuverfilmung ein prähistorischer Gigantopithecus wird, weil es in Indien keine Orang-Utans gibt, ist nur eines von vielen Details und Anspielungen, die auf aufmerksame Zuschauer warten.

Regisseur Jon Favreau, dessen Iron Man [2008] den Grundstein für die immer noch anhaltende Flut an Comic-Verfilmungen mitgelegt hatte, gelingt der schwierige Spagat zwischen moderner Abenteuerunterhaltung und respektvoller Würdigung eines weltberühmten Klassikers erstaunlich gut und er beweist ein großes Gespür bei der Führung des damals 11-jährigen Neel Sethi, der sich während der Dreharbeiten eine Welt vorstellen musste, die erst Monate später am Computer generiert wurde.
Die Besetzung – auch wenn sie sich mit Ausnahme von Sethi nur auf Sprechrollen bezieht – ist ohnehin bemerkenswert, sowohl in der amerikanischen Originalfassung, als auch in der deutschen Synchronisation. Panther Baghira wird von Ben Kingsley beziehungsweise Joachim Król vertont., Idris Elba (Ben Becker) und Lupita Nyong'o (Heike Makatsch) sind zu hören. Obgleich alle von ihnen tadellose Arbeit leisten, bleiben besonders Bill Murray (Armin Rohde) als Balu, Christopher Walken (Christian Berkel) als King Louie und Scarlett Johannsson (Jessica Schwarz) im Gedächtnis, denn ihnen kommt die große Ehre zuteil, drei der bekannten Songs neu zu interpretieren: "The Bare Necessities"/"Probier's mal mit Gemütlichkeit", "I Wan'na Be Like You"/"So sein wie Du" und "Trust in Me". Natürlich ist es eine reine Geschmackssache, aber mir persönlich gefallen bei den beiden letztgenannten die 2016er-Fassungen sogar besser als die guten Originale von 1967.
Erinnert man sich als Erwachsener beim Hören der Stimmen von Bill Murray, Armin Rohde und Christopher Walken an die Wirkung der Darsteller in der Öffentlichkeit und einige ihrer früheren Rollen, kommt man nicht umhin zu schmunzeln und der perfekten Wahl der Verantwortlichen Respekt zu zollen.
Ein kleiner Kritikpunkt sei allerdings anzumerken. Dafür, dass Schlange Kaa ein überaus beliebter Charakter ist und sie in The Jungle Book mit Scarlett Johannsson sehr prominent besetzt wurde, fällt ihre Rolle leider zu kurz aus. Hier hat die lustige Sequenz, in der Shir Khan im Zeichentrickfilm Kaa einem Verhör unterzieht, deutlich die Nase vorn.

Für den eigentlichen Score zeichnet John Debney (Die Passion Christi [2004]) verantwortlich. Er untermalt die actionreichen Sequenzen mit temporeicher Musik und bietet in den ruhigen Momenten teils sehr erhabene Melodien. Hin und wieder lassen sich auch Klänge und Themen aus dem Zeichentrick-Dschungelbuch vernehmen. Diese sind aber stets sehr subtil und stimmig in den Klangteppich eingewoben.

Schon seit geraumer Zeit sieht sich die Filmindustrie dem Vorwurf ausgesetzt, an chronischer Ideenlosigkeit zu leiden. Statt neue Stoffe zu entwickeln oder mehr Risikofreudigkeit zu zeigen, setzen die großen Studios lieber auf Remakes, Reboots, Fortsetzungen, Prequels und stetig neue Variationen des altbekannten Blockbuster-Rezepts, wie die immer noch nicht abebbende Comic-Film-Schwemme eindrucksvoll beweist.
Aus Perspektive der Produzenten ist diese Haltung indes ohne Frage nachvollziehbar. So lange sich das Massenpublikum für genau solche Werke begeistern lässt, ist das finanzielle Risiko trotz hoher Produktionskosten kalkulierbar – und sind wir mal ehrlich: In der nunmehr über 120-jährigen Geschichte des Kinos sind die meisten Storys eben schon verfilmt worden.
In diesem Sinne zählt The Jungle Book zu den verhältnismäßig seltenen Neuauflagen, die ihre Existenz durch tatsächlich interessante neue Impulse berechtigen. In weiser Voraussicht haben die Macher das Ende ihres Filmes so gewählt, dass es ohne Probleme weitere Abenteuer Moglis im Dschungel geben kann – und dank des Erfolgs an den Kassen dürfte dies nur eine Frage der Zeit sein.


Fazit:
The Jungle Book
ist eine der Überraschungen dieses Kinojahres. Das Fantasy-Abenteuer vermag es, gleichermaßen ältere Zuschauer zu überraschen, und ein junges Publikum für die zeitlos bezaubernde Geschichte zu begeistern.
Majestätische Bilder und liebevolle Figuren sind nur das Sahnehäubchen auf einem mitreißenden Filmerlebnis, das der ganzen Familie Spaß macht – auch wenn die empfohlene Altersfreigabe durchaus beherzigt werden sollte, denn manche Momente sind für die Jüngsten wirklich ein bisschen zu düster.