Syriana [2005]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 28. Februar 2006
Genre: Thriller / Drama

Originaltitel: Syriana
Laufzeit: 126 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2005
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Stephen Gaghan
Musik: Alexandre Desplat
Darsteller: George Clooney, Christopher Plummer, Jeffrey Wright, Matt Damon, Amanda Peet, Alexander Siddig, Nicky Henson, Tim Blake Nelson, Chris Cooper, Nadim Sawalha, Akbar Kurtha, Robert Foxworth, William Charles Mitchell, William Hurt


Kurzinhalt:
Seit Jahren schon ist der CIA-Agent Bob Barnes (George Clooney) im Nahen Osten tätig, doch als ihm bei einem Auftrag eine ansich für bestimmte Terroristen gedachte Waffe abhanden kommt, sitzt der erfahrene Agent zwischen allen Stühlen.
Unterdessen soll der Anwalt Bennett Holiday (Jeffrey Wright) Korruptionsvorwürfe zweier fusionierender Firmen überprüfen, die im Nahen Osten gewinnträchtige Geschäfte abschließen wollen. Denen würde der designierte Thronfolger Prinz Nasir Al-Subaai (Alexander Siddig) jedoch im Weg stehen, der anstelle seines Bruders Prinz Meshal (Akbar Kurtha) Reformen einführen und damit auch die investierenden, erdölabhängigen Länder verärgern würde. Beeindruckt von diesem Wagemut versucht der Geschäftsmann Bryan Woodman (Matt Damon) als Berater von Prinz Nasir eine Familientragödie zu verarbeiten.
Während Barnes stückweise erkennt, wozu er während seiner Laufbahn eigentlich benutzt wurde, gerät er immer mehr selbst ins Visier aller möglicher Parteien – und auch Holiday muss sich eingestehen, dass ein Kompromiss mitunter einen größeren Erfolg darstellt, als ein zweifelhafter Sieg auf dem globalen Spielfeld der Macht und des Geldes, wobei jede ihrer Entscheidungen Menschenleben beeinflussen, manche allerdings erst nach sehr langer Zeit ...


Kritik:
37% des Weltenergiebedarfs wird mit Erdöl abgedeckt; seit der ersten, großflächigen Förderung in den USA Mitte des 19. Jahrhunderts, wurde es zum bedeutendsten Energieträger und wichtigsten Rohstoff für die organisch-chemische Industrie. Dabei – und dies ist so wenig ein Ammenmärchen, dabei selbst Kindern inzwischen bekannt – ist es ein Rohstoff, der der Menschheit nicht unbegrenzt zur Verfügung steht. Früher oder später wird das Erdöl aufgebraucht sein, schon heute konzentrieren sich die großen Förderfelder auf Gebiete im Nahen Osten, und das, obgleich die westlichen Kulturen dort vor 150 Jahren viel Geld verdienten, und die Einheimischen meist mit einem Hungerlohn auskommen mussten. Erst als 1908 westliche Gesellschaften im Iran mit der Erdölförderung begann, verlagerte sich das Gewicht, dabei schleichend, denn während die westlichen Ölgesellschaften mit einem Minimum an Aufwand und Kosten die Reserven im Nahen Osten ausbeuteten, erhielten die Arbeiter so gut wie nichts – die Ölgesellschaften diktierten den Preis, oder glaubten es zumindest, bis zu Beginn 1960 die OPEC ins Leben gerufen wurde, deren Mitglieder (alles Staaten, deren Wirtschaftsgrundlage das Erdöl darstellte) alsbald anzuwachsen begannen. OPEC machte es sich zum Ziel, die Erdölpolitik zu koordinieren und stabile Ölpreise auf den internationalen Märkten einzufügen. Sie erwarben die Förderrechte für ihre Länder großteils zurück und während sich manche Staaten für ein stabiles Preisniveau aussprachen, lag es anderen daran, die Preise zu maximieren. Mit der nicht zu leugnenden Ölverknappung ist dies ein Trend, der sich auch in Zukunft fortsetzen wird.

Dass das "Schwarze Gold" außer seinen Rohstoff-Eigenschaften auch zum Politikum wurde, steht außer Frage. Industrien wie Konzerne und auch Regierungen haben großes Interesse an bestimmten Preisen und Fördermengen. Einfacher geworden ist die Lage seit dem 11. September 2001 dabei ebenfalls nicht, denn gleichwohl man manchen Ländern auf Grund ihrer Geschichte oder ihrer politischen Assoziationen nicht freundlich eingestellt sein sollte, industrielle Interessen müssen nichtsdestoweniger gewahrt werden – und wenn es sein muss, greift selbst die Politik über gewisse Kanäle in das Geschehen ein.
Die verzweigten Zusammenhänge zwischen Politik, Industrie, Erdölkonzernen im Nahen Osten und fanatischen Gruppierungen zu erklären, war das Anliegen von Autor und Regisseur Stephen Gaghan, der seinen fiktiven Film auf dem Tatsachenroman von Robert Baer stützt. Dass die Verwicklungen dabei überaus komplex sind, ist verständlich, und die verschiedenen Ebenen und Interessensgruppen aufzuzeigen, ist Gaghan auch ausgesprochen gut gelungen.
Er erzeugt mit dem politischen und ökonomischen Ansatz ein sehr realistisches Flair um seine Erzählung, die ungeschönt einige der (leider) wahren Praktiken der Verantwortlichen aufzeigt und dabei doch die Nähe zu den vor Ort befindlichen Figuren wahrt. Doch ergeben sich durch seine Erzählweise mit vielen Figuren und bisweilen sehr kurzen Szenen und Handlungssträngen einige Probleme in der Dramaturgie, und man wird am Schluss das Gefühl nicht los, als hätte der Autor Syriana mit einer anderen Szenenreihenfolge nur halb so verschachtelt und wirr erzählen können. Zudem wäre es ihm dann vermutlich gelungen, einen passenderen Spannungsbogen aufzubauen, der trotz einiger sehr spannender Momente und eines wirklich gelungenen Finales zu wünschen übrig lässt. Denn statt wie bei einem Episodenfilm dieser Art üblich die Handlungsstränge zusammen zu führen, verknüpft Gaghan lediglich zwei Erzähllinien miteinander, die aber nach wenigen Sekunden schon aufgelöst werden.
Die einzelnen Szenen und Passagen sind dabei durchweg interessant, warten mit so natürlichen wie pointierten und subtilen Dialogen auf, und auch die Charakterzeichnungen können durchweg überzeugen. Wäre das mitreißender erzählt, wäre Stephen Gaghan erneut der Spagat zwischen vielschichtigem Drama und packendem Thriller gelungen, wie schon bei seiner Vorlage zu Traffic - Die Macht des Kartells [2000]. Dass es einen als Zuschauer im Endeffekt aber nicht stört, von der komplexen Handlung nicht alles zu verstehen, ist hingegen ein Verdienst, der Gaghan hoch anzurechnen ist.

Von der facettenreichen Vorlage profitieren die Darsteller verständlicherweise ungemein, wobei sich hier namhafte mit weniger bekannten Akteuren abwechseln und sie sich gegenseitig alle zu Höchstleistungen anspornen. Allen voran George Clooney, dem die Rolle von Bob Barnes zwar nicht auf den Leib geschrieben war, der sich mittels einer Pasta-Diät aber die notwendigen 15 Kilogramm anfutterte. In der Rolle des ständig betrogenen CIA-Agenten, der sich plötzlich zwischen allen Stühlen sieht, brilliert er mit einem ebenso packenden, wie erschütternden Schauspiel, verkörpert die Ruhe seiner Figur ebenso gekonnt, wie die aufkeimende Panik angesichts der überfordernden Situation. Man kann nur hoffen, dass er für eine seiner drei Oscar-Nominierungen auch die Trophäe nach Hause nehmen wird, verdient hätte er es zweifellos.
Gestützt wird Clooney von einer Riege an hervorragenden Charakterdarstellern, bei denen Schauspiellegende Christopher Plummer in seiner eher kleinen Rolle, ebenso hervorsticht, wie Matt Damon, der einen der wenigen klaren Sympathieträger des Films verkörpert. Ihm steht sein Filmcharakter ausgezeichnet und dank seiner subtilen Mimik und seiner natürlichen, hin und wieder leicht zögerlichen Reaktionen, bringt er die Unsicherheit und die Hoffnung von Bryan Woodman gekonnt zur Geltung.
Bislang in einer Reihe von zweitklassigen Filmen untergegangen ist Jeffrey Wright, dessen bisherige Filmografie Titel wie D-Tox - Im Auge der Angst [2002] und Shaft – Noch Fragen? [2000] umfasst, ehe er sich mit der gefeierten Mini-Serie Angels in America [2003] und Der Machurian Kandidat [2004] einen Namen machen konnte. Er wird nicht nur in M. Night Shyamalans Lady in the Water [2006] zu sehen sein, sondern auch in James Bond 007 – Casino Royale [2006] – sollte er auch bei kommenden Produktionen ähnlich beeindruckende Leistungen wie hier zeigen, dürften ihm Auszeichnungen sicher sein. Zwar bleibt seine Figur schwer einzuschätzen, doch er bringt die Ambivalenz gut zum Ausdruck.
Amanda Peet hat wie Chris Cooper nur wenig zu tun, aber beide erfüllen ihre Figuren in den wenigen Minuten auf der Leinwand mit einer charakterlichen Tiefe, wie es manch anderen Darstellern in drei Stunden Film nicht gelingt. Beide leisten erstklassige Arbeit, ebenso wie Nicky Henson und Tim Blake Nelson, die bislang selten in großen Produktionen zu sehen waren, aber schon lange im Filmgeschäft tätig sind. Robert Foxworths Auftritt ist ansich kaum der Rede wert, und doch hinterlässt er wie William Hurt einen sehr guten Eindruck. Auch William Charley Mitchell kann in den wenigen Minuten vollends überzeugen, von Akbar Kurtha und Nadim Sawalha ganz zu schweigen.
Eine angenehme und höchst unerwartete Überraschung ist allerdings Alexander Siddig, auch bekannt als Siddig El Fadil. Sieben Jahre lang war bei Star Trek: Deep Space Nine [1993-1999] zu sehen und musste sich anschließend gänzlich neu in Hollywood etablieren. Für Königreich der Himmel [2005] wurde er oft gelobt, scheint aber dennoch auf die Rolle des Arabers festgelegt. Dabei wurde Siddig zwar im Sudan geboren, verbrachte den Großteil seiner Kindheit allerdings in England; in Syriana gelingt es ihm trotz seiner ansich recht verhaltenen Rolle ein immenses Charisma auszustrahlen, das ihn als zukünftigen Thronfolger erstklassig etabliert und dabei an seinen Absichten, wenn diese erst einmal offenbart sind, keinen Zweifel lässt. So zählt auch er zu den wenigen Sympathieträgern der Geschichte und agiert so überzeugend wie einnehmend. Ob ihm in Zukunft abwechlsungsreichere Rollen angeboten werden, oder nicht, man kann nur hoffen, dass er in kommenden Produktionen noch stärker eingebunden wird, denn Siddig hat ganz ohne Zweifel das Potential zu einem tragenden Darsteller – was die Produzenten von Deep Space Nine offensichtlich erkannten, hatten sie ihn doch zuerst für die Hauptrolle des Benjamin Sisko im Visier, ehe entschieden wurde, dass er zu jung sei.
Der Cast ist außergewöhnlich gut zusammen gestellt und wirkt dabei sowohl homogen wie natürlich; selbst die Nebenrollen sind exzellent besetzt und werden durchweg von dem vielschichtigen Skript zu herausragenden Leistungen angespornt.

Handwerklich orientiert sich Gaghan zusammen mit Kameramann Robert Elswit (Good Night, and Good Luck. [2005], Am wilden Fluß [1994]) und Cutter Tim Squyres (Tiger & Dragon [2000], Der Eissturm [1997]) an dem dokumentarischen Stil von Regisseur und Syriana-Produzent Steven Soderbergh, setzt oftmals auf Handkameras, dokumentarische Schnitte natürliche Lichtquellen, weswegen einige Einstellungen ungewöhnlich dunkel, aber nie falsch ausgeleuchtet scheinen.
Hinzu gesellen sich aber auch ruhigere Kameraeinstellungen und einige außergewöhnliche Kamerafahrten und Schnittfolgen, die das Geschehen in einfallsreichen Perspektiven zeigen. So scheinen die verwackelten Aufnahmen in manchen Momenten unnötig improvisiert, erzeugen insgesamt aber eine sehr authentische Atmosphäre, die glücklicherweise ohne die verfälschenden und stark eingesetzten Farbfilter des handwerklich ähnlich gelagerten Traffic auskommt.

Die Musik des französischen Komponisten Alexandre Desplat, der in den letzten Jahren immer wieder in Hollywood beschäftigt war, und nun mit Casanova [2005], Syriana und dem kommenden Harrison Ford-Film Firewall [2006] endlich Fuß gefasst zu haben scheint, offenbart sich als sehr überraschender Mix aus atmosphärisch prägnanten, bisweilen sehr temporeichen und rhythmischen Themen und orientalisch angehauchten Melodien, die in Schlüsselsituationen so gekonnt abgewechselt und verquickt werden, dass sie stellenweise etwas an John Powells Score zu Die Bourne Verschwörung [2004] erinnern, aber dennoch stets subtiler auf die Szenerie wirken.
Die traurigen Themen kommen ebenso zur Geltung wie die spannenderen Momente, scheinen dabei trotz ihrer unterschiedlichen Instrumentierung und Melodie wie aus einem Guss und erzeugen auf Grund des minimalistischen Charakters ein exzellente Hintergrundbegleitung zur erzählten Geschichte.
Zum Hören ohne den Film mag sich das nicht zwingend eignen, zusammen mit den Bildern entfaltet Desplats Score aber eine Sogwirkung, die durch die wiedererkennbaren Motive nur noch gesteigert wird.

Dass Syriana auf Grund der offenen Darstellung der mannigfaltigen Verzweigung zwischen Politik und Industrie keine große Zuschauerschaft ansprechen würde, war abzusehen, und man muss abwarten, wie der Film dem Publikum in Übersee gefallen wird. In den USA spielte das Polit-Thriller-Drama zwar seine Kosten ein, ein wirklicher Erfolg war es bislang aber nicht. Dafür gehört Stephen Gaghans Regiearbeit zu den am meisten gelobten Filmen des letzten Jahres, erhielt zahlreiche Preise und ist für noch mehr nominiert – darunter auch zwei Oscar-Trophäen.
Diese sind auch ohne Zweifel berechtigt, gelingt es den Machern doch auf erschütternd realistische Weise, die Verstrickungen der verschiedenen Parteien aufzuzeigen, und dabei ohne erhobenen Zeigefinger die moralzersetzende Reaktionskette bloßzustellen. Wäre das in dem überaus komplexen Skript packender herausgearbeitet worden, hätte der Film auch ein breiteres Publikum angesprochen. So richtet sich Syriana an diejenigen, die anhand eines fiktiven Falles die Machenschaften hinter der Erdölindustrie und der damit verwobenen Politik aufgezeigt bekommen wollen, ohne allerdings Rücksicht auf diejenigen zu nehmen, die sich von der Informationsflut zurecht erdrückt fühlen.


Fazit:
Ohne Zweifel das größte Problem der erdölfördernden Industrie sind die mannigfaltigen Interessen der beteiligten Gruppen. Jede ist darum bemüht, für sich einen Vorteil herauszuwirtaschften, ohne auf etwas verzichten zu müssen. Wozu die Beteiligten bereit sind, und wer alles seine Finger in einem der lukrativsten Geschäfte der Welt hat, zeigt Stephen Gaghans Drehbuch gekonnt auf. Als Zuschauer muss man allerdings bereit sein, von der ersten Minute weg aufmerksam zuzuschauen, und selbst dann wird es Szenen geben, die die Geschichte scheinbar nicht voran bringen, dafür ungemein zur Charakterbildung beitragen.
Das ist insofern verwirrend, da sich die Strukturierung der einzelnen Erzählebenen nicht unbedingt vorteilhaft auf die Dramaturgie auswirkt. Hätte Gaghan seine Geschichten bei einem packenden Finale zusammen gebracht, hätte man das noch akzeptieren können, doch auch so ist Syriana zu schnell aufgelöst, um mitreißen zu können.
Wodurch der Film allerdings überzeugt, sind ausgezeichnete Darstellerleistungen, die in einer authentischen Atmosphäre ein Szenario zum Leben erwecken, das sich ohne weiteres so zutragen könnte. So gelingt den Machern eine realistische Stimmung, die stellenweise beklemmt, der man anderenorts nur fassungslos beiwohnen kann. Für interessierte Zuschauer ist das mehr als nur empfehlenswert, wäre es den Machern zudem etwas spannender gelungen, könnte man diese Empfehlung auf für alle anderen Zuseher aussprechen.