München [2005]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 04. Februar 2006
Genre: Drama

Originaltitel: Munich
Laufzeit: 164 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2005
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Steven Spielberg
Musik: John Williams
Darsteller: Eric Bana, Daniel Craig, Ciarán Hinds, Mathieu Kassovitz, Hanns Zischler, Ayelet Zorer, Geoffrey Rush, Gila Almagor, Michael Lonsdale, Mathieu Amalric, Moritz Bleibtreu


Kurzinhalt:
Während der Olympischen Spiele 1972 in München nehmen palästinensische Terroristen elf israelische Olympiateilnehmer als Geiseln – sie alle finden den Tod, während die überlebenden Geiselnehmer von den radikalen Anhängern als Helden gefeiert werden.
In der israelischen Führungsebene wird beschlossen, ein Sonderkommando unter der Leitung von Mossad-Agent Avner (Eric Bana) zusammen zu stellen, der mit seinen Mitstreitern Carl (Ciarán Hinds), Hans (Hanns Zischler), Robert (Mathieu Kassovitz) und Steve (Daniel Craig) diejenigen Männer eliminieren soll, die an der Planung von München – und der dahinterstehenden Terrorgruppe 'Schwarzer September' – beteiligt waren.
Über den Kontaktmann Ephraim (Geoffrey Rush) erhält Avner Namen und finanzielle Mittel, und schon wenig später ist der erste vermeintliche Drahtzieher ausgemacht. Aber während das Exekutionskommando durch einen undurchsichtigen, französischen Kontakt (Mathieu Amalric) immer mehr Männer ausmachen kann, die angeblich an München beteiligt waren, vergelten die palästinensischen Anhänger die Exekutionen mit weiteren Terroranschlägen und Geiselnahmen – aus der entstehenden Spirale scheint kein Entkommen und alsbald stehen Avner und seine Mitstreiter selbst im Visir von Anschlägen, den diejenigen Quellen, die sie selbst bemühen, verkaufen ihre Informationen auch an andere, zahlungswillige Käufer ...


Kritik:
Noch bevor klar war, welche Herangehensweise Hollywood-Regisseur Steven Spielberg an sein Projekt um den Anschlag palästinensischer Terroristen während der Olympischen Spiele in München 1972, bei dem elf israelische Olympioniken als Geiseln genommen und im Laufe der Auseinandersetzung getötet wurden, wählen würde, hagelte es von vielen Seiten Kritik und Drohungen, mancherorts sogar Morddrohungen durch extremistische Gruppen.
Basierend auf dem Roman Schwarzer September - Der Mossad im Einsatz [1984] von George Jonas unterwirft sich München zweifelsohne einer berechtigten Kritik, da die Romanvorlage auf Bekenntnissen von Yuval Aviv basiert, der jedoch später als Hochstapler entlarvt wurde und in keiner Weise mit dem israelischen Geheimdienst Mossad verbunden war, wie er behauptete. Überdies haben die Macher Zeitzeugen nicht in kreativen Prozess mit einbezogen und auch darauf verzichtet, neue Quellen und ihre Aussagen zu Wort kommen zu lassen. Insofern ist München trotz des realen Hintergrunds an Schlüsselmomenten und über viele Strecken fiktiv, obgleich die Macher das verlockende Werbemittel "Basierend auf wahren Begebenheiten" voranstellen.
Doch während diese Kritikpunkte an Spielbergs jüngstem Projekt berechtigt sind, und der Film insofern nicht als Tatsachenbericht gesehen werden sollte, ist der Aufschrei sowohl bei Vertretern israelischer, wie palästinensischer Gruppen, die der Filmumsetzung Parteilichkeit vorwerfen, unbegründet und schlicht nicht haltbar. Vielmehr ist es genau das, was man München vorwerfen kann und muss, denn anstatt sich für eine Seite zu entscheiden, oder wenigstens die Vergeltungsmaßnahmen des Mossad anzuprangern, zeigt Spielberg das Geschehen in einer unterkühlten Art und Weise, wie man es gerade bei ihm ansich nicht gewohnt ist. Dadurch verlagert sich auch der Schwerpunkt des Films von einem menschlichen Drama weg, schon aus dem Grund, da es im Rückblick bis auf die Olympioniken keine einzige Figur im Film gibt, mit der man Mitleid oder Mitgefühl empfindet.

Das oscarnominierte Skript von Eric Roth (Insider [1999]) nimmt dabei die Geiselnahme in München als Grundlage für die Erzählung und löst kurz danach den traurigen Ausgang der Tragödie auf – erst in Rückblenden während der beinahe drei Stunden Film wird gezeigt, was ansich alles geschehen ist, und wie es zu dem Tod sämtlicher elf Geiseln kam. Und doch ist das Geiseldrama selbst nur ein Bestandteil der Geschichte, wird als Legitimation der Hauptfiguren benutzt, eine Reihe von Exekutionen durchzuführen, denen man als Zuseher mehr oder weniger unbeteiligt beiwohnt.
Hier liegt letztlich auch das Grundproblem des Drehbuchs, denn während keinerlei Sympathien für die vermeintlich am Attentat in München beteiligten Drahtzieher aufkommt, erlischt auch immer mehr jedes Gefühl, das man für die fünf Hauptfiguren haben könnte, sieht man doch mit an, wie ihre Morde von Mal zu Mal kaltblütiger und berechnender werden. Genau diesen moralischen Verfall, das Verschwinden der selbst gesetzten Grenzen, aufzuzeigen, war Absicht der Filmemacher, und doch scheint die von Roth verfasste Studie jener Männer und Organisationen viel unpersönlicher, als man das als Zuseher wahrhaben wollte.
Dass die Vorlage ihre Absicht verfehlen würde, ist somit nicht korrekt, und genau das Gegenteil ist eigentlich der Fall, nur lässt sich die Kernaussage des Films dafür in zu wenigen Worten zusammen fassen, als dass man der Exekution von einem halben Dutzend Männer beiwohnen müsste, deren Beteiligung an "München" letztlich gar nicht geklärt ist.
Dafür überzeugt der Drehbuchautor mit pointierten, tiefgehenden Dialogen, einer erschreckend realistischen Beschreibung der Tätigkeiten der Undercover-Mossad-Agenten und dem Wandel ihrer Gesinnung, sowie den steigenden Spannungen und der Paranoia innerhalb der Gruppe. Allerdings scheint das letzte Drittel des Films in der Beziehung unnötig in die Länge gezogen, gibt längst absehbare Antworten auf einige Fragen zu spät und mit zu wenigen Überraschungen.
Während die Charakterisierungen und die Dialoge ihren Zweck somit mehr als Erfüllen, scheint Geschichte stellenweise auf umständliche Art und Weise gestreckt, ohne dass dies wirklich notwendig gewesen wäre. Lässt die Vorlage, immerhin nur eine von dreien, die Spielberg nach Erwerben der Rechte an Jonas' Roman in Auftrag gab, Grund zur Beanstandung, ist selbiges bei den Darstellern in keinster Weise der Fall.

Angeführt von einem überragend spielenden Eric Bana, der unverständlicherweise weder für einen Golden Globe, noch für einen Oscar in Betracht gezogen wurde, gibt sich der sorgfältig ausgesuchte Cast keine Blöße. Fängt Bana gekonnt die anfänglichen Zweifel an seiner Mission und das stetig schwindende Gerechtigkeitsgefühl von Avner ein, dessen Anker seine Beziehung zu seiner Frau und Tochter bleibt, ist es insbesondere Ciarán Hinds, der mit seinem undurchschaubaren Spiel und seiner doch natürlichen Mimik und Gestik überzeugt.
Hanns Zischler überzeugt tadellos, hat im Film aber bis auf eine Szene recht wenig zu tun, wohingegen Mathieu Kassovitz eine der schwierigsten Rollen abgesehen von Banas zufällt. Die einzige Figur, wie während des gesamten Films blaß bleibt, aber dennoch solide gespielt ist, ist Daniel Craigs Charakter Steve, dessen Motivation aber vollkommen im Dunkeln bleibt. Der künftige James Bond-Darsteller macht seine Sache zwar gut, wird aber merklich vom Skript begrenzt, das ihm nicht genügend Raum lässt.
Nur wenige, dafür umso prägnantere Auftritte hat Geoffrey Rush, der seine Sache sehr gut macht, und auch Ayelet Zorer, die als Daphna nur wenig in Aktion tritt, leistet sehr gute Arbeit.
In der deutschen Fassung leidet Moritz Bleibtreu am meisten unter seiner eigenen Synchronisation, die wenig überzeugend klingt, schauspielerisch gibt es bei ihm jedoch nichts zu bemängeln. So beunruhigend wie überzeugend agieren auch Michael Lonsdale und Mathieu Amalric, die einen sehr gut zusammen gestellten, internationalen Cast abrunden.
Dass auch die Nebenfiguren, darunter bezeichnenderweise auch die Attentäter, wie die Geiselopfer von München erschreckend realistisch erscheinen, ist ein Verdienst der Produzenten und der Verantwortlichen für die Besetzung des Films, die sich weniger auf bekannte Namen, wie auf talentierte und passende Akteure beschränkt – dabei spielt Guri Weinberg seinen eigenen Vater Moshe Weinberg, der von den palästinensischen Geiselnehmern ermordet wurde, als sein Sohn Guri erst ein Monat alt war.

Die Handschrift des 46jährigen Kameramanns Janusz Kaminski, der bei Schindlers Liste [1993] zum ersten Mal mit Steven Spielberg zusammen arbeitete und seither die Optik bei all seinen Filmen übernahm, sieht man bereits in den ersten Minuten von München; einmal mehr wirft Kaminski die Zuschauer mit einer grobkörnigen, sehr kontrastreichen Kameraführung und den überstrahlenden Lichtquellen im Hintergrund in eine sehr dokumentarisch wirkende Umgebung, die durch den durchgängigen 1970er-Jahre-Look nur noch realenr erscheint.
Die Bilder sind dabei einmal mehr sehr gut ausgewählt, überzeugen mit Kamerafahrten und ebenso klaustrophobischen wie distanzierten Perspektiven, wobei den Darstellern immer genügend Raum gewährt wird und sie nicht durch die offensichtliche Präsenz der Kamera erdrückt werden. Nichtsdestoweniger fängt Kaminski das Drama der Figuren und ihren inneren Kampf gut ein, wobei insbesondere die erschütternden Bilder des Terroranschlags im Olympischen Dorf in Erinnerung bleiben.
Für Unbehagen und Spannung sorgt auch der hervorragende Schnitt von Michael Kahn, der die Rückblenden durchweg gut einbringt, wäre da nicht eine sehr seltsam anmutende Collage am Ende, wenn die letzten Minuten des Geiseldramas von München mit einer höchst unpassenden Szenerie zusammen geschnitten werden. Dass diese Bildkomposition bei manchen Zuschauern für Unbehagen sorgt und selbige schlicht vor den Kopf stößt ist nachvollziehbar, denn an anderer Stelle hätte man jene Informationen ebenfalls unterbringen können – in der gezeigten Form wirkt es unnötig und verkrampft künstlerisch, ohne einen rechten Sinn zu ergeben.
Davon jedoch abgesehen gibt es an der handwerklichen Umsetzung nichts zu bemängeln, die allen Beteiligten sehr gut gelungen ist.

Eine meisterhafte Begleitung zu den düsteren, wenngleich exzellent eingefangenen Bildern schafft Komponist John Williams, der in diesem Kinojahr gleich zwei Mal für den Oscar nominiert ist, neben München erlangte er auch eine Nominierung für Die Geisha [2005]. Dabei zollen seine Motive sowohl dem Nahöstlichen Thema des Films Tribut, wie auch der schweren Thematik des Konflikts, der hier aufgezeigt wird.
So verarbeitet Williams gekonnt die Nationalhymne Israels in einer Streicher-Umsetzung und mit dem grundsätzlichen Ton des Scores und erschafft überdies zwei einprägsame Themen, die den Film vom ersten Moment an definieren und – bei Avners Thema – auch speziell bei bestimmten Personen eingespielt werden. Das zweite bemerkenswerte Thema orientiert sich dabei zwar entfernt an Williams Musik zum Oliver Stone-Film JFK – Tatort Dallas [1991], doch fällt diese Ähnlichkeit durch die rhythmische, unheilbringende Melodie ohnehin nicht auf, wenn sich ein weiterer Spannungsmoment im Film ankündigt.
Die Musik ist dabei so subtil wie gewinnbringend, untermalt die Szenerie gekonnt, ohne aufgesetzt zu wirken und stellt in ihrer minimalistischen Art und Weise das Genie des Komponisten dar, der Münchens Thematik so gekonnt einfängt, dass die authentische Atmosphäre des Films hör- und spürbar wird. Doch ist auch der Soundtrack für Sammler so schwer zugänglich, wie der Film ansich, stellt aber einen der Meilensteine in John Williams künstlerischem Schaffen dar.

In einem Interview meinte Steven Spielberg, dass ihm bewusst gewesen sei, er würde mit München Freunde verlieren – dass ihm dies gelungen ist, ist unbestritten, und auch die polarisierte Zuschauerschaft war vorauszusehen. Dennoch kann man auch angesichts der vielen positiven Attribute der inhaltlich freizügigen Rekonstruierung der israelischen Vergeltungsmaßnahmen nach den Anschlägen auf die Olympiateilnehmer 1972 über manche Schwächen nicht hinweg sehen, von denen die bewusste inhaltliche Distanzierung der Kritik des Filmemachers an den Vorgehensweisen entweder der Palästinenser, oder der Israelis, besonders heraussticht. Dies mag von Spielberg zwar so beabsichtigt gewesen sein, scheint aber angesichts des gezeigten Leids und der weitreichenden Folgen nicht angemessen.
So beschreibt München im Endeffekt kein menschliches Drama, sondern das zweier Völker, die in diesem Krieg gegen ihre eigenen Glaubensüberzeugungen handeln und grundsätzlich dasselbe für ihre Gruppe erreichen wollen. Das aufzuzeigen ist den Machern sehr gut gelungen, wenn man diese Aussagen auch auf subtile Weise vermittelt bekommt.
All das macht den Zugang zu der beschriebenen Thematik merklich schwer, aber für aufgeschlossene, interessierte Zuschauer nicht unmöglich, die sich aber im Voraus damit abfinden sollten, dass die einzigen wirklichen Sympathiefiguren im Film die ermordeten Olympioniken sind, denen der Film allerdings nicht einmal gewidmet ist.


Fazit:
Bewusst verzichtete Steven Spielberg auf eine groß angelegte Werbekampagne für München, wollte er doch mit seinem Film eine Diskussion darüber anstoßen, dass Rache grundsätzlich eine Spirale auslöst, aus der sich zu lösen meist keine der beteiligten Gruppen in der Lage ist. Ein kommerzieller Erfolg war ansich nicht die Absicht des Regisseurs, und auch wenn München weltweit seine Kosten inzwischen beinahe eingespielt hat, zufrieden kann das Studio damit nicht sein.
Das Fernbleiben der Zuschauer liegt dabei weniger an einer nicht genügend großen Wahrnehmung des Films, als am schweren Zugang zur Materie, denn es ist unbestritten der größte Vorwurf, den man der fiktionalen Tatsachenerzählung machen kann, dass obwohl letztlich keine Stellung für eine der beiden Seiten bezogen wird, die Instrumentalisierung der Vergeltungsmaschinerie zu wenig kritisiert und verurteilt wird – und eben dazu zählt auch Avners Exekutionskommando.
Dank der erstklassigen, authentisch dokumentarischen Inszenierung, der hervorragenden Darsteller und der wahrlich bewegenden Musik von Altmeister John Williams ist Spielbergs München künstlerisch ein voller Erfolg und ihm gelingt auch das Aufzeigen jener Dynamik der Vergeltungs-Spirale, die in so vielen Regionen der Erde so viele Menschenleben kostet, sehr gut. Dabei wird aber das menschliche Drama vollkommen übersehen, und diese kühle Betrachtung der Thematik kostet den Film zurecht Sympathien, dies aber auf Grund einer falschen Erwartungshaltung, die schlichtweg nicht erfüllt wird.