Little Women [2019]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 8. Januar 2020
Genre: Drama / Liebesfilm

Originaltitel: Little Women
Laufzeit: 135 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Greta Gerwig
Musik: Alexandre Desplat
Besetzung: Saoirse Ronan, Emma Watson, Florence Pugh, Eliza Scanlen, Laura Dern, Timothée Chalamet, Tracy Letts, Bob Odenkirk, James Norton, Chris Cooper, Meryl Streep, Louis Garrel, Jayne Houdyshell


Kurzinhalt:

Es ist das Jahr 1868. Kurz nachdem die leidenschaftliche Schriftstellerin Jo March (Saoirse Ronan), die kürzlich erst ein Manuskript verkaufen konnte und sich als Hauslehrerin in New York einen Lebensunterhalt verdient, bekommt sie die Nachricht, für eine Familienangelegenheit baldmöglichst nach Hause in Massachusetts zurückzukehren. Sieben Jahre zuvor hatte sich in relativ kurzer Zeit viel für sie und ihre drei Schwestern Meg (Emma Watson), Amy (Florence Pugh) und Beth (Eliza Scanlen) verändert. Allein mit ihrer Mutter Marmee (Laura Dern) waren sie unweit des Anwesens von Mr. Laurence (Chris Cooper) aufgewachsen. Ihr Vater (Bob Odenkirk) war in den Amerikanischen Bürgerkrieg gezogen und während sie selbst nicht viel hatten, lebte Mr. Laurences Enkel ‚Laurie‘ (Timothée Chalamet) im Überfluss. Hatten sie alle damals Träume, was sie aus ihrem Leben machen wollten, haben sich diese Vorstellungen kaum erfüllen lassen. Inzwischen könnte es für Manches – und manch gebrochene Herzen – schon zu spät sein …


Kritik:
Als der Abspann bei Greta Gerwigs Little Women zu rollen begann, gab es bei der von diesem Kritiker besuchten Vorführung wenn, dann vom Publikum nur zwei Kritikpunkte zu hören. Zum einen, dass der Film nicht enden würde und zum anderen, dass es ein „Frauenfilm“ sei. Beide Aussagen verraten mehr über diejenigen, die sie aussprechen, als über das überaus unterhaltsame Epochendrama. Basierend auf dem Roman Betty und ihre Schwestern [1868] von Autorin Louisa May Alcott erzählt die inzwischen siebte Filmumsetzung des Stoffes vom Leben der vier Schwestern der Familie March in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wäre das für sich genommen bereits interessant, ist es umso erstaunlicher, welche Parallelen die Filmemacherin zur Situation von Frauen in der heutigen Zeit aufzeigt.

Dabei erzählt die Regisseurin die Geschichte auf zwei Ebenen. Einerseits im Jahr 1868 und sieben Jahre zuvor, als die vier Schwestern Jo, Beth, Meg und Amy noch zuhause lebten. Waren die March-Töchter damals gewissermaßen unzertrennlich, befinden sie sich inzwischen alle an einem unterschiedlichen Punkt in ihrem Leben. Jo lebt in New York und verdient sich als Hauslehrerin, Amy ist mit ihrer Tante in Paris, wo sie sich mit einem reichen Mann verloben soll und Meg hat inzwischen selbst eine Familie mit zwei Kindern. Einzig Beth ist noch zuhause bei ihrer Mutter. Sie alle hatten einst große Pläne, die sich nicht mit dem deckten, was die Gesellschaft für sie als Frauen vorgesehen hatte. Anstatt ihre Leben dem Mann und der Familie unterzuordnen, wollte Jo stets Schriftstellerin werden, Meg Schauspielerin, Meg Musikerin und Amy Malerin. Sie und Jo scheinen ihren Traum zumindest zum Teil noch zu verfolgen, gelingt es Jo March doch, eine ihrer Geschichte zu verkaufen. Dabei erhält sie den Rat, dass wenn sie künftig Geschichten einreichen möchte, in denen Frauen die Hauptrollen übernehmen, diese am Ende entweder verheiratet sein sollten, oder tot – nur so ließen sie sich verkaufen.

Als Jo die Nachricht erreicht, sie solle so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren, weil es Grund zur Sorge gibt, zögert sie nicht und erinnert sich mit jedem Schritt mehr daran, was sie bis hierhin gebracht hat. Damals waren die vier Schwestern mit ihrer Mutter zuhause. Ihr Vater war in den Sezessionskrieg gezogen und auch wenn sie nicht viel hatten, womöglich sogar arm waren, wie insbesondere Meg immer wieder beklagt, sie waren alles in allem glücklich. Das spiegelt Gerwig auch in der Farbgebung der einzelnen Erzählebenen wider. Kleidet sie die frühere Zeit in eine warme Farbpalette, hell und beinahe strahlend, ist vom damaligen Glanz nichts geblieben. Die Welt der March-Schwestern ist inzwischen kühl, die Unbeschwertheit ihrer Jugend auch farblich verflogen. Während sie alle für die Vorstellung, wie ihr Leben aussehen sollte, kämpfen und Opfer erbringen, stellt ihr ehemaliger Nachbar, Laurie, das genaue Gegenteil dar. In wohlhabende Verhältnisse geboren, vergeudet er seine Zeit. Das macht den Umgang mit ihm für Amy nicht leichter, die in ihn verliebt ist, seit sie ihm das erste Mal begegnete. Laurie allerdings ist in Jo verliebt, die zu sehr damit beschäftigt ist, ihr Temperament und ihre Persönlichkeit zu entdecken, als dass sie bereit wäre, seine Gefühle anzuerkennen, geschweige denn zu erwidern.

Little Women erzählt somit eine Story, wie sie überall passiert sein könnte oder heute noch geschieht. Dabei verfällt die Geschichte nicht in klischeehafte Charakterzeichnungen oder stellt ein überlebensgroßes Drama in den Mittelpunkt. Dies ist die Geschichte jener vier Schwestern, nicht mehr und nicht weniger. Die sind von den vier Darstellerinnen so warmherzig und natürlich verkörpert, sie passen so hervorragend zusammen, dass es eine Freude ist, ihnen zuzusehen. Diese Schwestern behandeln einander, wie es bei einer wirklichen Familie der Fall sein könnte. Das bedeutet, dass im Streit durchaus auf eine Art und Weise verletzend miteinander umgegangen wird, dass diese Wunden lange brauchen, um zu heilen. Und doch halten sie zusammen, wenn die Familie den Zusammenhalt benötigt.
Die Geschichte dieser Schwestern destilliert die gesellschaftliche Stellung von Frauen im 19. Jahrhundert so überzeugend, dass man beinahe übersehen würde, wie gültig die Feststellungen auch heute noch teilweise sind. Stellt Amy Lauries verklärtes Weltbild bloß, dass sie als Frau eben nicht in der Lage ist, den Lebensunterhalt für sich selbst, geschweige denn sich und ihre Familie zu verdienen, weil Frauen eine solche finanzielle Unabhängigkeit schlicht nicht eingeräumt wird, dann könnte sie ebenso von Frauen heutzutage sprechen, deren Renten im Alter oftmals nicht ausreichen, sich selbst zu versorgen. Das fügt sich mit den unentwegten Ratschlägen von Tante March zusammen, die Amy stets erzählt, dass sie reich heiraten müsse, um ihre Familie zu unterstützen. So lange, bis Amy dies selbst als einzigen Ausweg aus ihrer gesellschaftlichen Situation sieht.

Die fabelhafte Besetzung, zu der auch die großartige Laura Dern und der stets verblüffende Timothée Chalamet gehören, wird selbst in Nebenrollen durch Stars wie Meryl Streep und Chris Cooper ergänzt. Nicht nur die vier Hauptdarstellerinnen, sie alle bekommen dabei einen Moment zugeschrieben, in dem sie ihr Talent unter Beweis stellen dürfen und sie hier zusammenspielen zu sehen, ist eine wahre Freude. Little Women ist einer der bestgespielten Filme des vergangenen Kinojahres, in außergewöhnlichen Bildern eingefangen und mit einem Feingefühl erzählt, dass obwohl hier nichts geschildert wird, was nicht irgendeiner Familie widerfahren könnte, die Figuren und ihr Schicksal berühren. Dies mag ein leiser Film sein, aber das macht die Geschichte nur umso stärker.


Fazit:
Wirft man dem letzten Drittel vor, dass es gefühlt länger dauert, als es müsste, ist das nur die halbe Wahrheit. Filmemacherin Greta Gerwig gibt ihren Figuren zu Beginn kein Ziel vor, das erreicht werden müsste. Sie begleitet das Leben dieser Frauen und so lange diese nicht zu Ende erzählt sind, könnte der Besuch bei den March-Schwestern auch länger dauern. Dies hier ist nur ein Ausschnitt. Einer, der sich nicht an Frauen richtet, auch wenn in der Geschichte Frauen die tragenden Rollen übernehmen. Was sie erleben, ist berührend, aber nicht rührselig, es ist ermutigend und in den richtigen Momenten wütend. Die überragende Besetzung wird von Saoirse Ronan angeführt, deren natürliche Kraft im besten Sinne umwerfend ist. Fabelhaft und bezaubernd ausgestattet, ist Little Women auch deshalb erstklassig gefilmt, da die Emotionen der Figuren nicht präsentiert werden, um Reaktionen beim Publikum auszulösen, sondern ihre Reaktionen vielmehr Emotionen beim Publikum auslösen. Die geschliffenen Dialoge entwickeln aus den alltäglichsten Situationen messerscharfe Beobachtungen, dass die Aussagen mitunter unvermittelt ins Mark treffen. Dies ist ein Film für ein Publikum, das bereit ist, sich auf eine ruhige Geschichte einzulassen und die Stärke ihrer Figuren zu entdecken. Er richtet sich nicht an ein bestimmtes Geschlecht, sondern an eine innere Einstellung, die bei größeren Studioproduktionen viel zu selten gefordert wird.
Ein sehenswertes und starkes Porträt.