Der Pfad [2021]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 29. Januar 2022
Genre: DramaLaufzeit: 99 min.
Produktionsland: Deutschland / Spanien
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Tobias Wiemann
Musik: Peter Horsch, Tobias Kuhn, Markus Perner
Besetzung: Julius Weckauf, Nonna Cardoner, Volker Bruch, Anna Maria Mühe, Maria Pau Pigem, Lucas Prisor, Jytte-Merle Böhrnsen, Bruna Cusí, Clàudia Font, Ettore Colombo
Kurzinhalt:
Es ist das Jahr 1940 und für den deutschen Journalisten Ludwig Kirsch (Volker Bruch), der auf Grund seiner kritischen Berichte ins Visier der Nazis geraten ist, scheint die Flucht in die USA der einzige Ausweg. Seine Frau ist bereits in New York und mit seinem Sohn Rolf (Julius Weckauf) wartet er in Südfrankreich nun auf den richtigen Moment, um über die Pyrenäen nach Spanien und Portugal zu gelangen. Der Pfad in die Freiheit, den ihnen das Mädchen Núria (Nonna Cardoner) weisen soll, führt sie über die Berge. Doch noch in Frankreich werden sie von einer deutschen Patrouille entdeckt und Ludwig wird verhaftet. Auf sich allein gestellt, müssen sich Rolf und Núria zusammenraufen. Dabei hat sich Rolf in den Kopf gesetzt, seinen Vater zu befreien. Doch auf dem Weg dorthin erfährt Núria von der Widerstandskämpferin Esther (Bruna Cusí) etwas, das ihr Leben auf den Kopf stellt und Rolf an den Punkt bringt, dass er sich entscheiden muss …
Kritik:
Das auf dem gleichnamigen Jugendbuch aus dem Jahr 2017 von Rüdiger Bertram basierende Drama Der Pfad erzählt die Flucht eines Vaters und seines Sohnes vor den Nazis im Jahr 1940 wie ein Abenteuer für Hauptfigur Rolf. Das klingt, insbesondere vom Standpunkt eines erwachsenen Publikums aus, als wäre es der Thematik nicht angemessen. Tatsächlich funktioniert es besser, als man erwarten würde, doch in vielerlei Hinsicht umgehen die Verantwortlichen Konfrontationen, die für die Entwicklung der Figuren notwendig wären.
Eben eine solche Entwicklung bei Rolf überhaupt greifbar zu machen, gelingt dem Drehbuch, an dem Bertram auch mitschrieb, kaum. Zu Beginn geht Rolf mit seinem Vater am Strand Südfrankreichs entlang und spielt, wie so oft, das Spiel „Gut oder böse?“. Dabei soll Rolf einschätzen, ob die ihm unbekannte Person, die sie sehen, zu den Guten oder Bösen gehört. Der Gestapo-Soldat ist sogar „kapitalböse“. Woher Rolf das weiß, verrät Der Pfad nicht. Auch nicht, was Vater und Sohn bereits erlebt haben, um überhaupt dorthin zu kommen. Rolfs Mutter ist bereits in New York und für seinen Vater, den wegen seiner kritischen Artikel von den Nazis gesuchten Journalisten Ludwig Kirsch, scheint die Flucht über die Pyrenäen von Frankreich nach Spanien, dann weiter nach Portugal und von dort mit dem Schiff nach New York, der einzige Ausweg. Ihre Überfahrt soll ein Diamant finanzieren, in den Ludwig alles, was die Familie besaß, hat umwandeln lassen, und den sie in einer Tube Zahnpasta verstecken. Das Waisenmädchen Núria soll Rolf und Ludwig von Frankreich über die Berge nach Spanien bringen, wo sowohl französische als auch deutsche Soldaten patrouillieren. Da Rolf entgegen der Anweisung seines Vaters ihren nach Adolf Hitler benannten Hund „Adi“ auf die Überquerung mitgenommen hat, wird ein Trupp deutscher Soldaten auf sie aufmerksam und Ludwig ergibt sich, um seinen Sohn zu schützen.
Von diesem Moment an könnte sich Der Pfad in alle möglichen Richtungen entwickeln. Doch weder aus der Bedrohung, der sich die beiden Kinder in der Wildnis allein ausgesetzt sehen, noch der empfundenen Schuld, die Rolf überkommt, weiß Filmemacher Tobias Wiemann viel zu machen. Vielmehr marschieren Rolf und Núria munter weiter und erst, wenn sie am Ziel angekommen sind, sagt Rolf, dass er nicht ohne seinen Vater gehen könne. Darum machen sie sich auf den Rückweg und treffen auf den Maquis, Widerstandskämpfer, die sich in den Bergen verstecken und den beiden Kindern ein neues Ziel vermitteln, auf das sie zusteuern. Seinen Vater zu retten, der Rolf immer wieder in Visionen erscheint, in Erinnerungen von gemeinsamen Momenten der beiden, hat Rolf offenbar aufgegeben. Warum und weshalb, wird nicht erläutert. Überhaupt wird nie erwähnt, ob Rolf bewusst ist, welches Schicksal seinen Vater erwartet, nachdem er gefangen genommen wird. Oder ob er ein Verständnis für die Schrecken des Krieges hat. Zwar wird ein Angriff auf das Lager der Maquis gezeigt, aber Rolf und Núria bekommen die Auswirkungen auf die Menschen dort offenbar nicht zu sehen. Auf ihrer Reise nach Spanien gibt es auch keine Entbehrungen, kein Hunger oder eine kalte Nacht in den Bergen. Der Pfad suggeriert, als sei dies alles ein mühelos zu bewältigender und in keinster Weise anstrengender Spaziergang – über schneebedeckte Berge und dichte Wälder.
So wundert es nicht, dass Rolf keine wirkliche Entwicklung durchmacht. Er schließt zwar irgendwann Freundschaft mit Núria, mit der er sich zu Beginn gezankt hat, und sie begeben sich auf eine gemeinsame Rettungsmission, doch weshalb Rolf irgendwann ihr Ziel über das seine stellt, wird nicht deutlich. So plätschert auch die Geschichte eher vor sich hin, nur vorangetrieben durch Nazi-Soldaten, die immer dann auftauchen, wenn Rolf und Núria in eine neue Richtung gehen sollen. Ihr Weg führt sie von Südfrankreich über Wälder und Berge bis hin zu einer kleinen Stadt. Eingefangen ist das handwerklich überwiegend tadellos, mit vielen Einstellungen und Perspektiven, die überaus gelungen sind, wobei gerade die malerische Landschaft toll in Szene gesetzt wird. Weshalb manche Momente wie die Razzia zu Beginn jedoch vollkommen fahrig verwackelt eingefangen und hektisch geschnitten sind, verstehe, wer will. Dass es Regisseur Wiemann nicht gelingt, seinen jungen Hauptdarsteller Julius Weckauf hinter seiner Rolle zurücktreten zu lassen, tut sein Übriges. Rolf scheint hier in den unbeschwerten Momenten nie wirklich glücklich und in den bedrohlichen nie greifbar ängstlich. Das macht es zusätzlich schwer, mit ihm auf seiner Reise mitzufiebern.
Fazit:
Die Absichten, die Filmemacher Tobias Wiemann verfolgt, sind ehrenwert und sollen das Schicksal von Kindern auf der Flucht vor Krieg und Vertreibung beleuchten. Damals wie heute. Das macht nicht zuletzt die Einblendung am Ende deutlich, wenn auf 82 Millionen Menschen auf der Flucht hingewiesen wird – darunter 34 Millionen Kinder. Doch selbst wenn das gut gedacht ist, die Flucht einzig als großes Abenteuer zu erzählen, ohne je darauf einzugehen, was die Alternative wäre, oder wie viele Entbehrungen, welche Gefahren Rolf und Núria auf der Flucht erwarten, schmälert die Wirkung der Geschichte immens. Der Pfad macht damit kaum greifbar, wie es sich damals für Kinder angefühlt haben muss, ihr Zuhause zu verlassen oder ihre Eltern zurückzulassen. Dass Rolf diese Erfahrungen macht, ohne spürbar etwas daraus zu lernen, ist eine große, verpasste Chance und sogar sein Abschied von seinem Vater weit weniger bewegend, als man vermuten würde. Handwerklich ist das gut umgesetzt und hat auch sichtlich das Herz am rechten Fleck. Um einen bedeutenden Beitrag zu leisten, der Kinder an dieses Thema heranführen kann, ohne sie mit den Schrecken jener Zeit zu überfordern, ist das aber zu seicht und damit auch zu wenig.