Der Fall Richard Jewell [2019]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 8. März 2021
Genre: Drama / Krimi / Biografie

Originaltitel: Richard Jewell
Laufzeit: 131 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Clint Eastwood
Musik: Arturo Sandoval
Besetzung: Paul Walter Hauser, Sam Rockwell, Kathy Bates, Jon Hamm, Olivia Wilde, Nina Arianda, Ian Gomez, Dylan Kussman, Mike Pniewski, Niko Nicotera, Eric Mendenhall, Justin Tucker, Ronnie Allen, Wayne Duvall


Kurzinhalt:

Im Sommer 1996 arbeitet Richard Jewell (Paul Walter Hauser) als Wachmann bei den Olympischen Spielen in Atlanta im Centennial Park. Als er während eines gut besuchten Konzerts im Park einen allein stehenden Rucksack entdeckt, weiß er nicht, dass bereits eine Bombenwarnung eingegangen ist. Nur weil Richard darauf besteht, dass sich die Spezialkräfte das Gepäckstück ansehen, kann eine noch größere Katastrophe verhindert werden, doch als die darin befindliche Bombe explodiert, sterben zwei Menschen, mehr als ein Hundert werden verletzt. Richard wird als Held gefeiert, bis wenige Tage später die Reporterin Kathy Scruggs (Olivia Wilde) eine Titelstory veröffentlicht, dass das FBI Richard als Hauptverdächtigen untersuche, eine Information, die ihr FBI-Agent Tom Shaw (Jon Hamm) verriet. Nicht nur, dass sich Richard, der zu Hause bei seiner Mutter Bobi (Kathy Bates) wohnt, über Nacht im Fokus der Medien wiederfindet, das FBI steht unter Zugzwang, Ergebnisse zu präsentieren. Trotz der wiederholten Warnungen seines Anwalts Watson Bryant (Sam Rockwell), ist Richard darum bemüht, zu kooperieren, nicht ahnend, dass das FBI keine weiteren Spuren verfolgt, sondern die Anklage gegen ihn festzurren will. Als er sich endlich gegen die Vorverurteilung zu wehren versucht, ist der Schaden durch die öffentliche Meinung längst angerichtet …


Kritik:
Wie in vielen seiner Filme, ist Regisseur Clint Eastwood weniger an dem Krimi-Element seiner Geschichte interessiert, als daran, wie seine Figuren von diesen außergewöhnlichen Umständen geprägt werden. In dem auf Tatsachen basierenden Der Fall Richard Jewell ist dies der Titel gebende Wachmann, der bei den Olympischen Sommerspielen in Atlanta 1996 zuerst als Held gefeiert und wenig später als Tatverdächtiger eines Bombenanschlags in der Öffentlichkeit zerrieben wurde. Das Porträt beweist viel Fingerspitzengefühl und ist in den richtigen Momenten eindringlich, selbst wenn einige Aspekte hier vernachlässigt werden.

Die Geschichte setzt zehn Jahre zuvor ein, als Richard bei einer Anwaltskanzlei arbeitet und auf den Anwalt Watson Bryant trifft. Schon damals kündigt er an, zur Polizei gehen zu wollen und kehrt der Film nach einem Sprung ins Jahr 1996 zu Richard zurück, war er bereits bei der Polizei gewesen, wurde jedoch wieder entlassen und verliert auch seinen Job als Wachmann beim College. In Anbetracht der anstehenden Olympischen Sommerspiele wird er Teil der privaten Security im Centennial Park, Atlanta und wird am 27. Juli 1996 auf einen herrenlosen Rucksack unter einer Bank aufmerksam, während sich im Park viele Menschen ein Konzert anhören. Es kommt zur Explosion, die nur deshalb vergleichsweise wenige Opfer fordert, weil Jewell darauf bestand, den Rucksack von Spezialisten untersuchen zu lassen, woraufhin eine Sperrzone eingerichtet wurde. Anfangs als Held gefeiert, bringt die Presse nur wenige Tage später eine Schlagzeile, dass das ermittelnde FBI Richard als Hauptverdächtigen führe.

Der mediale Ansturm und die öffentliche Vorverurteilung, ehe das FBI selbst sich überhaupt zu dem Fall geäußert hat, sind nicht wirklich überraschend. Wodurch sich Der Fall Richard Jewell von ähnlich gelagerten Geschichten abhebt, ist das Porträt von Richard Jewell selbst, der von Paul Walter Hauser auf eine so natürliche und einnehmend packende Art und Weise verkörpert wird, dass es vollkommen unverständlich ist, dass er hierfür nicht wenigstens eine Oscar-Nominierung erhalten hat. Seit jeher wollte Richard Polizist werden, zu den „Guten“ gehören und weil er sich selbst als Teil dieser Gruppe sieht, übertrat er als Wachmann auf dem Campus regelmäßig die Grenze dessen, wozu er befugt war. Auch als Teil der Security bei den Olympischen Spielen sieht er sich auf einer Stufe mit den die Spiele flankierenden Polizeikräften und ist stets darum bemüht, sie mit seinen Ansichten und seinem Wissen zu beeindrucken. Auch wenn diese ihn nicht als gleichwertig ansehen. So kooperiert er mit dem FBI selbst dann, wenn sein Anwalt ihm einzubläuen versucht, dass er sich mit jeder Information, die er preisgibt, nur verdächtiger macht, sogar wenn er die Bombe nicht gelegt hat. Dabei ist sich der korpulente Richard durchaus bewusst, wie er von denen, zu denen er gehören möchte, gesehen wird. Doch dabei zu sein, selbst wenn man derjenige ist, auf dessen Kosten die anderen lachen, ist in seinen Augen immer noch besser, als ganz außen vor zu bleiben.

Clint Eastwood zeichnet ein Porträt, das weit über das hinausgeht, was FBI und Medien als das Profil des einsamen Täters, der gern ein Held sein möchte, vorstellen. Zu sehen, wie Richard sich beinahe selbst ans Messer liefert, darum bemüht, seinem Gegenüber zu gefallen, jedoch weiß, wie nah er dabei ist, etwas zuzugeben, ist packend. Sprudelt aus ihm endlich heraus, dass ihm bewusst ist, wie man ihn sieht, oder kann man zweimal hintereinander einen Augenblick der Erkenntnis am Schluss miterleben, dann sind das berührende Momente, die so ergreifend gespielt sind, dass sich unweigerlich ein Kloß im Hals bildet. Unterstützt wird Paul Walter Hauser dabei durch den stets erstklassigen Sam Rockwell und die für diese Rolle zu Recht für den Oscar nominierte Kathy Bates als Richards Mutter Bobi, bei der Richard wohnt. Dem gegenüber stehen John Hamm als der fiktive FBI-Agent Tom Shaw, dessen Figur sich tatsächlich aus mehreren Ermittelnden zusammensetzt, und Olivia Wilde als Journalistin Kathy Scruggs, die den öffentlichen Stein um Richard Jewell als Verdächtigen ins Rollen bringt.

Die einzig offensichtliche Schwäche von Der Fall Richard Jewell ist dabei, dass Kathy für die Tragweite ihrer Handlungen und ihre Entwicklung in der zweiten Filmhälfte zu wenig beleuchtet wird. Sie wird vorgestellt als karriereorientierte Reporterin, die für eine gute Story bereit wäre, alles zu tun. Inwieweit insbesondere ihr körperlicher Einsatz jedoch den Tatsachen entspricht, ist nicht erwiesen und lässt sie insoweit auf unnötige Weise herabgewürdigt erscheinen. Auch verschweigen die Macher, was mit ihr im Nachgang geschehen ist und weshalb sie nicht mehr in der Lage ist, sich gegen ihre Darstellung zu wehren. Hier wäre eben jenes Fingerspitzengefühl angebracht gewesen, welches das Drehbuch bei der Titelfigur beweist. Betrachtet man die offen einsehbare Berichterstattung zu ihr als Person, mag sie für die ursprüngliche Bekanntmachung der Ermittlungen zwar verantwortlich sein, wie die Medien mit Richard Jewell danach jedoch umgegangen sind, ist nicht allein ihr anzulasten.

An der Frage, ob Richard Jewell tatsächlich schuldig ist und wenn nicht, wer dann, ist der damals 89jährige Altmeister Clint Eastwood hier nicht interessiert. Für ihn steht im Mittelpunkt, wie es Jewell, der sich Zeit seines Lebens gewünscht hat, ein Held zu sein, der die Obrigkeit der Ermittlungsbehörden nie anzweifelt, ergeht, nachdem er für drei Tage dieser Held ist, dem Buchverträge und Interviews angeboten werden, ehe er nicht nur in den Fokus der Ermittlungen, sondern unter das von den Medien gelenkte Brennglas der Öffentlichkeit gerät, in deren Augen er ohne eine Anklage bereits schuldig ist. Das in Der Fall Richard Jewell mitanzusehen, ist trotz der ruhigen Erzählweise packend und dank der hervorragenden Darbietungen berührend. Und eine Mahnung gleichermaßen.


Fazit:
Die Filmvorschau mag fälschlicherweise einen mitreißenden Krimi versprechen, doch das bedeutet nicht, dass die auf Tatsachen basierende Geschichte, die Clint Eastwood sich vornimmt, hier zu erzählen, für ein ruhiges Publikum nicht ebenso mitreißend wäre. Anstatt die Geschehnisse um den Bombenanschlag bei den Olympischen Sommerspielen 1996 ins Auge zu nehmen, konzentriert sich das authentische Drama auf den während einer internen FBI-Ermittlung und einem entsprechenden Zeitungsbericht als Schuldigen gebrandmarkten Sicherheitsmann Richard Jewell, dessen Leben während dieser drei Monate von innen nach außen gekehrt wurde. Von allen Beteiligten herausragend gespielt, glänzt im Zentrum Paul Walter Hauser mit einer fantastischen, natürlichen und zurückhaltenden Darbietung, für die man ihn nicht genug feiern kann. Er trägt das emotionale Gewicht des Films auf seinen Schultern und sorgt dafür, dass Der Fall Richard Jewell zu einem der sehenswertesten Beiträge dieser Art gehört. Es ist ein Lehrstück einerseits, wie man Menschen nicht behandeln sollte, ehe ihre Schuld erwiesen ist, und andererseits eine eindringliche Erinnerung, sich keine Meinung zu bilden, ehe man sämtliche Fakten kennt. Dass der Film gerade bei der als Bösewichtin der Story auserkorenen Journalistin seine eigenen Appelle nicht befolgt, ist ein Versäumnis. Doch deshalb ist es trotzdem wichtig, Richard Jewell hier ein filmisches Denkmal zu setzen, das zu Recht mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ ausgezeichnet wurde. Selbst, wenn diese mediale Rehabilitation zu spät kommt.