Mr. Nobody Against Putin [2025]
Wertung:
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Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 20. April 2025
Genre: Dokumentation
Originaltitel: Mr. Nobody Against Putin
Laufzeit: 90 min.
Produktionsland: Dänemark / Tschechien
Produktionsjahr: 2025
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt
Regie: David Borenstein, Pavel Ilyich Talankin
Musik: Michal Rataj, Jonas Struck
Hintergrund:
Pavel Ilyich Talankin war Lehrer und Veranstaltungskoordinator an der Grundschule #1 in der im Ural gelegenen russischen Kleinstadt Karabasch. Gleichzeitig war er dafür verantwortlich, Schulveranstaltungen als Videograf zu dokumentieren. Nachdem der russische Präsident Vladimir Putin am 24. Februar 2022 den Beginn der militärischen Spezialoperation verkündet – den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine – beobachtet Talankin, wie sich in rasendem Tempo die Unterrichtsinhalte verändern, um bereits russische Kinder in die politische Linie zu integrieren und sie direkt und indirekt auf den Kriegsdienst vorzubereiten.
Kritik:
Zweieinhalb Jahre lang dokumentiert Pavel Talankin in seiner Heimat im russischen Uralgebirge, wie die politische Führung nach Beginn des Ukrainekrieges im Frühjahr 2022 immer strengere Maßnahmen ergreift, um nicht nur den Widerstand gegen den Krieg in der Bevölkerung zu unterbinden, sondern gleichzeitig die Jüngsten zu indoktrinieren, so dass sie den Krieg nicht nur als etwas Normales annehmen, sondern als ihre Pflicht auffassen. Sein Dokumentarfilm Mr. Nobody Against Putin ist ein so eindringliches wie erschütterndes Zeugnis geschichtsverändernder Propaganda.
Dabei wird von Beginn an deutlich, wie persönlich der Dokumentarfilm für Talankin ist und am Ende scheint es beinahe so, als würde er sich gleichermaßen für seine Handlungen rechtfertigen wie entschuldigen. Der ehemaliger Lehrer verrät viel aus seinem Leben, schildert, wie er in Karabasch – laut UNESCO eine der schmutzigsten Städte der Welt – aufgewachsen ist. In der Stadt, die bekannt ist für ihre hohe Luftverschmutzung auf Grund ihrer Kupferfabrik, ist Talankin an der Schule als Lehrer tätig, die er selbst einst als Schüler besuchte. Er scheint bei den Schülerinnen und Schülern beliebt, sein Büro ein Zufluchtsort für Austausch und Kreativität. Als Videograf, dessen Mutter in der Schulbibliothek arbeitet, ist er an der Schule bei allen bekannt und sein Ziel, das sagt er selbst, ist es, den Kindern zu helfen, sich auszudrücken und zu entwickeln. Doch nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 erreicht die Schule ein Fax betreffend die „Neue Föderalpatriotische Bildungspolitik“. Der Unterricht wird umgestellt, Inhalte betreffend die euphemistisch bezeichnete „militärische Spezialoperation“ werden integriert, um den Kindern die ukrainische Gesellschaft als verdorben und „nazifiziert“ zu vermitteln. Die Schülerinnen und Schüler müssen patriotische Lieder singen und entsprechende Gedichte auswendig lernen. Jeden Morgen wird die Nationalhymne beim Fahnenappell gesungen. Talankin soll all dies nicht nur filmen, er muss seine Videos als Beweis, dass die Schule die Vorgaben erfüllt, auf russische Server laden.
Insbesondere die Geschwindigkeit, mit der all dies geschieht, ist erschreckend. Lachen die Schülerinnen und Schüler an einem Tag noch auf dem Gang, sitzen sie am nächsten Tag bei schulischen Veranstaltungen und schwenken russische Fahnen oder hören dem Geschichtslehrer zu, der ihnen zu Beginn des Angriffskriegs erzählt, dass es in Europa keine Landwirtschaft gäbe und allenfalls die Menschen in Frankreich ihre Blockadehaltung gegenüber Russland länger aufrechterhalten könnten, da man sich dort von Fröschen und Austern ernähre. Ausgerechnet dieser Lehrer beteiligt sich an der Gleichschaltung der Meinungsbildung mit den Worten, „es ist wichtig, abweichende Meinungen zu eliminieren“. Dass es auch andere Auffassungen gibt, dokumentiert Mr. Nobody Against Putin ebenfalls, nicht zuletzt in Talankin selbst, der seit jeher ein Außenseiter war und für den die Schule ein zweites Zuhause ist. Er will sich nicht instrumentalisieren lassen, hängt eine Protestfahne in seinem Büro auf und weist auf die Indoktrinierung hin. Doch je mehr Zwangsunterrichtseinheiten eingeführt werden, die bis hin zu Vorstellungen der paramilitärischen Gruppe Wagner reichen, die Schülerinnen und Schüler über Minen aufklären, wie sie eine Waffe abfeuern müssen oder gar schulische Granatwurfübungen, um so stärker werden eigene Meinungen durch das Regime unterdrückt.
Ohne es zu wollen, wird Pavel Talankin selbst zum Propagandisten, als er gebeten wird, außerhalb der Schule organisierte Pro-Krieg-Proteste zu filmen. Wie viel Mut es braucht, um sich in dem immer stärker aufheizenden politischen Klima gegen die Obrigkeit zu stellen, kann man sich kaum vorstellen. Seine kleinen Akte des Widerstands, wenn er Lieder über die Lautsprecheranlage an der Schule abspielt oder russischen Fahnen abnimmt, bleiben nicht unbemerkt, so dass sich die Menschen angesichts seiner Kamera kaum mehr öffnen wollen. Mr. Nobody Against Putin zeigt auf, dass Propaganda nur eine Seite der Medaille ist, durch die ein Regime das Volk unterdrückt. Unsicherheit und Angst zu schüren, die Menschen aufzuteilen und zu verhindern, dass sie sich zusammentun, ist die andere.
Man würde erwarten, dass sich der Dokumentarfilmer mit seiner ungebrochenen Moralvorstellung immer weiter von seiner Heimat lösen, den Menschen, die sich unterdrücken lassen, Verachtung entgegenbringen würde, doch das Gegenteil ist der Fall. Wenn er beobachtet, wie ehemalige Schüler von ihm oder Geschwister von Schülerinnen und Schülern einberufen werden, er miterlebt, dass kaum eine Familie in der 10.000 Menschen umfassenden Stadt nach zwei Jahren Krieg nicht davon betroffen ist, da sie Angehörige verloren haben, dann wird deutlich, wie schwer ihm der Entschluss fällt, zu fliehen. Aber nicht nur, dass er selbst immer stärker ins Visier des Regimes gerät, wenn er will, dass die Welt seine Aufnahmen zu Gesicht bekommt, muss er fliehen, da er sie in Russland nie wird veröffentlichen dürfen. Mr. Nobody Against Putin ist in diesem Sinne auch ein Porträt des Mannes, der die Militarisierung der russischen Schulen dokumentiert hat. Dass Pavel Talankin das Publikum an beidem teilhaben lässt, ist ungemein mutig und sollte ein abschreckendes Beispiel dafür sein, auf welche Weise eine ganze Generation von Heranwachsenden indoktriniert wird. Vielleicht kann es aber auch eine Inspiration dafür sein, dass Widerstand in unterschiedlichsten Formen auftreten kann – und sie alle sind ungemein wichtig.
Fazit:
Man soll sein Heimatland bedingungslos lieben, einfach, weil man darin geboren wurde. Das bekommen Schülerinnen und Schüler nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine vermittelt. Wer dies nicht tue, sei ein Parasit. Was Filmemacher Pavel Talankin in seiner Dokumentation festhält, klingt teilweise derart überzogen, als stamme es aus einer Propagandakarikatur. Doch sieht man, auf welche Weise die Kinder durch eine neu ins Leben gerufene, landesweite Pioniergruppe weiter indoktriniert werden, Marschierübungen inklusive, kann man nur ungläubig den Kopf schütteln. Umso mehr, wenn man sieht, dass diese Indoktrinierung Wirkung zeigt. Im Sommer 2024 floh der Dokumentarfilmer, dessen innere Zerrissenheit angesichts der Ereignisse in seiner Heimat nicht zu übersehen ist. Mr. Nobody Against Putin ist ein erschreckendes Zeugnis darüber, wie nachfolgende Generationen bewusst manipuliert werden, um die Agenda eines unterdrückenden Regimes umzusetzen. Die entscheidende Frage wird sein, wie man diese Menschen in die Realität zurückholen kann. Wenn Talankins mutige Eindrücke eines beweisen, dann, dass Widerstand nicht immer sichtbar sein, man ihn aber um jeden Preis unterstützen muss.