Candyman [2021]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 26. August 2021
Genre: Horror / Thriller

Originaltitel: Candyman
Laufzeit: 91 min.
Produktionsland: Kanada / USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Nia DaCosta
Musik: Robert Aiki Aubrey Lowe
Besetzung: Yahya Abdul-Mateen II, Teyonah Parris, Nathan Stewart-Jarrett, Colman Domingo, Tony Todd, Vanessa Williams, Rebecca Spence, Cassie Kramer, Kyle Kaminsky, Christiana Clark, Brian King, Torrey Hanson, Carl Clemons-Hopkins


Kurzinhalt:

Seit Generationen ist er nicht mehr als ein Flüstern in den Klassenzimmern, oder der Schriftzug an der Wand: Der Candyman. Der Legende nach wurde der afroamerikanische Künstler einst auf Grund seiner Liebe zu einer weißen Frau ermordet, wobei seine Mörder ihm zuvor eine Hand ab- und einen Haken in den Stumpf schlugen. Seither, wenn jemand fünf Mal seinen Namen in das eigene Spiegelbild sagt, kehrt Candyman zurück und tötet diejenigen, die es gewagt haben, ihn zu rufen. Von der Sage fasziniert, wird der Künstler Anthony (Yahya Abdul-Mateen II) von der Figur des Candyman inspiriert. Kurz darauf werden die ersten Menschen brutal ermordet und während sich Anthony immer mehr Informationen über den Candyman bei dem ortsansässigen Burke (Colman Domingo) holt, bemerkt Anthonys Freundin Brianna (Teyonah Parris) eine immer größer werdende Veränderung an ihm. Je tiefer sich Anthony in die Welt des Candyman begibt, umso mehr führt ihn das auf einen Pfad zu seinem Schicksal …


Kritik:
Von der ersten Minute an weiß Filmemacherin Nia DaCosta ihre späte Fortsetzung zum Horror-Kultfilm Candymans Fluch [1992] in ebenso faszinierende wie wohl ausgesuchte Bilder zu tauchen. Seien es die spiegelverkehrten Logos oder die langsamen Aufnahmen von Hochhäusern, die mehr als steil nach oben zeigen. Doch die Optik allein ist nicht der Grund, weshalb Candyman bedeutend relevanter ist, als die meisten Genrefilme der heutigen Zeit. Dies liegt an einer Story, der es gleichermaßen gelingt, das Franchise neu zu erfinden, wie Parallelen zur Welt jenseits der Leinwand aufzuzeigen. Trotz mancher Schwächen ist das so unerwartet wie sehenswert.

Schauplatz ist erneut die Chicagoer Wohnungssiedlung Cabrini-Green, in der die Legende des Candyman vergessen scheint. Dort wohnt der Künstler Anthony mit der Kunstgalerie-Kuratorin Brianna seit Kurzem in einer großen Wohnung. Seit Anthonys letztem Werk sind bereits Jahre vergangen und ihm fehlt die Inspiration. Bis Briannas Bruder Troy ihnen eines Abends eine Gruselgeschichte erzählt, die sich in Cabrini-Green ereignet haben soll. Damals glaubte die weiße Studentin Helen Lyle, sie könne den Candyman-Mythos, auf den sich ganze Generationen von Menschen in der Siedlung immer dann beriefen, wenn irgendetwas Schlimmes geschehen war, enttarnen. Doch stattdessen habe sie den Candyman heraufbeschworen und Leichen pflasterten ihren Weg. Anthony ist von der Figur Candyman fasziniert und findet bei Recherchen in Cabrini-Green einen Bewohner, der sich an zahlreiche Vorfälle um den Candyman erinnern kann.

Früh schließt Candyman dabei erzählerische Lücken, die sich mit dem Prolog im Jahr 1977 und dem Sprung der Geschichte ins Jahr 2019 auftun. Dennoch lässt das Drehbuch, das unter anderem von Ko-Produzent Jordan Peele (Regisseur von Get Out [2017] und Wir [2019]) geschrieben wurde, manche Dinge unbeantwortet, um erst im Verlauf der gefühlt längeren Laufzeit dorthin zurückzukehren, wo alles begann. Dabei klingt die eigentliche Geschichte nicht sonderlich überraschend: Mit einem Kunstwerk, das aus in einem Spiegelschrank eingeschlossenen Gemälden besteht, ermuntert Anthony das Publikum, den Candyman zu rufen, indem man – das eigene Spiegelbild ansehend – fünf Mal dessen Namen ausspricht. Während bereits in der Nacht ein brutaler Doppelmord geschieht, verliert sich Anthony immer weiter in jener mystischen Figur, die für ihn weit mehr ist, als eine abstrakte Bedrohung. Regisseurin Nia DaCosta macht keinen Hehl daraus, dass die Candyman-Sage, wenigstens in der 1992 verfilmten Version, zu der dieser Film eine direkte Fortsetzung ist und die anderen zwei Instanzen ignoriert, eine Geschichte von Diskriminierung und rassistisch motivierter Gewalt erzählt. In Clive Barkers Kurzgeschichte The Forbidden war Candyman keine afroamerikanische Figur, doch mit Tony Todd damals wie heute ikonisch besetzt, definierte er selbst dessen Hintergrundgeschichte von einem farbigen Zeichner im 19. Jahrhundert, der sich in eine weiße Frau verliebte und von einem Lynchmob gefoltert, verstümmelt und zu Tode gequält wurde. Die Figur des Candyman, gerade heute, in einer Zeit, in der rassistische Diskriminierung eher mehr statt weniger wird, zurückzubringen und dessen Hintergrund und Mythologie einer neuen Generation nahezubringen, ist ebenso gelungen wie, nun ja, notwendig.

Dass es dabei durchaus etwas zu bedeuten haben wird, dass Anthony bei seinen Recherchen von einer Biene in die Hand gestochen wird und die Wunde eher größer statt kleiner wird (Bienen begleiten den Candyman), ist wenig überraschend und auch der Ausgang vieler Momente, in denen er seine Opfer holt, ist absehbar. Doch sind all diese Szenen handwerklich so erstklassig und sicher umgesetzt, dass sich die gegensätzlichen Pole aus subtilem Horror und blutigem Splatter stets die Waage halten. Die stark kontrastierenden Farben, die Bilderauswahl im Allgemeinen, die oft Spiegel oder spiegelnde Flächen einfängt, ist schlicht fantastisch und sorgt für zahlreiche Momente, in denen man den Candyman als schemenhaften Umriss zu erkennen glaubt oder tatsächlich sieht. Dass nicht all diese Momente mit laut eingespielter Musik untermalt werden, sondern für sich stehen, unterstreicht den unterschiedlichen Ansatz, den die Verantwortlichen mit Candyman verfolgen.

Dass die Story letztlich einen personifizierten Grund finden möchte, weshalb der Candyman-Mythos neu erschaffen wird, ist bedauerlich und auch deshalb unnötig, weil weder Grund, noch Ablauf deutlich werden. Aber selbst wenn manche Szenen länger sind, als sie sein müssten und mehr auf ihre Wirkung bedacht scheinen, denn auf ihre Aussage, geht Nia DaCosta einen mutigen und ebenso richtigen Weg, statt auf laute Effekte oftmals auf den unscheinbaren Horror zu setzen. So wird die Präsenz der Titelfigur sicht- und spürbar, selbst ohne, dass sie ihre Opfer holt. Candyman ist kein unterhaltsam spaßiger Horrorfilm. Es ist ein Film, der in gewisser Hinsicht (thematisch passend) dem Publikum einen Spiegel vorhält und das nicht nur in der Art und Weise, dass diejenigen, die den Candyman rufen, am Ende genau das bekommen, was sie erwarten. Und es ist ein Film, dessen Abspann relevantere und schockierendere Geschichten erzählt, als viele Filme überhaupt.


Fazit:
Anstatt lediglich einen weiteren Eintrag in der Horrorfilmreihe zu bieten oder diese neu zu beginnen, präsentiert Filmemacherin Nia DaCosta eine unmittelbare Fortsetzung des ersten Films, die auf der bestehenden Mythologie aufbaut und gleichzeitig einen neuen, eigenen Mythos erschafft. Dem beizuwohnen ist packend und auf eine einnehmende Weise atmosphärisch, wobei die Gewaltspitzen zum Ende hin deutlich zunehmen. Von allen Beteiligten stark gespielt und in erlesene, hervorragend ausgesuchte Bilder gekleidet, bei denen die Farbgebung ebenso hervorsticht wie die Perspektiven selbst, spürt man trotz der zurückhaltenden Erzählung die unbändige Wut, für die insbesondere die Titelfigur steht, wenn sie sich für die angetanen, kollektiven Ungerechtigkeiten auf die extremste Art und Weise rächt. So gelungen beide Aspekte, der unterschwellige Grusel und die offensichtlichen, teils sehr blutigen Momente, sie alle verblassen in Anbetracht des wahren Horrors, den die Verantwortlichen hier während des Abspanns nacherzählen. Es unterstreicht auf eindrucksvolle Weise, weshalb sich Candyman von anderen Genrevertretern so deutlich unterscheidet. Den oft absehbaren Szenenaufbau und die wenigen, erzählerischen Längen, verzeiht man so dank der inhaltlich relevanten und in dem Genre durchaus mutigen Annäherung an ein wichtiges Thema.