Die nachfolgende Kritik bezieht sich auf die Romanausgabe desselben Titels.
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J. K. Rowling: "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" [2007]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 05. August 2007
Autorin: Joanne Rowling

Genre: Fantasy / Action / Drama

Originaltitel: Harry Potter and the Deathly Hallows
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in:
Englisch
Ausgabe: Gebundene Ausgabe
Länge: 607 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Großbritannien
Erstveröffentlichungsjahr: 2007
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2007
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-0-7475-9106-1


Kurzinhalt:
Immer noch ist Harrys Welt wie auf den Kopf gestellt. Sein Mentor, Albus Dumbledore, hat ihn vor seine schwierigste Aufgabe gestellt. Zusammen mit Hermine und Ron muss er die Sicherheit der Weasleys und seiner Freunde im "Fuchsbau" verlassen und sich auf eine einsame, gefährliche Suche machen.
Doch während die drei Versuchen, hinter das Geheimnis von Lord Voldemorts Horcruxen zu kommen, wo der dunkelste aller Magier seine aufgespaltene Seele versteckt haben könnte, zieht dessen Macht immer größere Kreise. Auch wenn der dunkle Lord selbst versteckt bleibt, reichen seine Weisungen inzwischen auch bis ins Ministerium für Magie.
Nicht nur, dass Harry, Ron und Hermine auf der Flucht von allen Seiten gejagt werden, auch der Widerstand gegen Voldemort scheint ins Wanken gekommen zu sein – und die Antwort, die sie auf ihre größten Fragen finden, werfen ihre Schatten voraus. Es werden weit mehr Opfer nötig sein, um Voldemort aufzuhalten, als bislang angenommen. Und die letzte Schlacht wird in Harrys einziger richtiger Heimat stattfinden ...


Kritik:
Vor 10 Jahren begann die Erfolgsgeschichte von der ehemaligen Lehrerin Joanne Rowling (einen Zweitnamen besitzt sie eigentlich nicht, ihr Künstlername J. K. wurde auf Anraten des Verlags ins Leben gerufen), die über Nacht zu einer der meistgelesenen Autorinnen der Welt avancierte. Nun, sieben Bücher später, findet die fantasievolle Entwicklung des Zauberlehrlings Harry Potter ihr Ende. Und neben unzähligen Fans auf der ganzen Welt, Hundertenmillionen verkauften Exemplaren der Romane und bereits fünf mehr als nur erfolgreicher Verfilmungen, ist es an der Zeit, ein Resümee zu ziehen und den Werdegang Potters als Ganzes zu betrachten.
Der letzte Roman wurde lange herbeigesehnt, viele Erwartungen wurden gehegt, nicht zuletzt deshalb, weil nicht zuletzt seit Harry Potter und der Orden des Phoenix [2003] die Frage im Raum stand, ob der Held den unerbittlichen Kampf gegen seinen Widersacher Lord Voldemort überhaupt überleben würde. Viele Opfer wurden bereits seit dem Beginn mit Harry Potter und der Stein der Weisen [1997] erbracht, viele bekannte Figuren opferten sich oder fielen den Bösewichten zum Opfer. Ob Harry Potter selbst auch dazu zählen würde, ließ Rowling im Dunkeln. Wer die 607 Seiten von Harry Potter und die Heiligtümer des Todes durchgelesen hat, wird die Antwort darauf finden – welche in dieser Rezension nicht enthalten sein wird.

Der schiere "Bodycount", also die Anzahl der im Roman getöteten Figuren, ist allerdings deutlich höher, als in den vorangegangenen, und gerade unter den bekannten Charakteren hat die Autorin mit unerbittlicher Härte zugeschlagen. Bereits nach den ersten 60 Seiten hat das erste Wesen, das seit dem ersten Roman mit von der Partie ist, das Zeitliche gesegnet, und es wird nicht das letzte gewesen sein. Was allerdings verwundert und zu einem gewissen Grad auch ärgert ist die Tatsache, dass die meisten bekannten Mitstreiter, die das Ende nicht erleben, einen eher unrühmlichen Tod sterben müssen. Einzig eine Figur darf sich heroisch opfern und sein Leben für das Wohl der Übrigen geben. Vom Ableben aller anderen erfährt man entweder nur im nachhinein (so dass die Angehörigen eben um ihre sterblichen Überreste herumstehen), oder aber es geschieht so schnell und unvorbereitet, ohne jede Gegenwehr, dass man als Leser das Gefühl nicht los wird, Rowling wollte in diesem Moment einfach überraschen und die Fangemeinde um einen lieb gewonnenen Charakter berauben.
Dass es gemeinhin eine nicht wirklich einfallsreiche Methode ist, etablierte Figuren weiterzuentwickeln, indem man sie tötet, steht außer Frage, und auch dass es eine Kunst ist, ein würdiges Ableben für eine Figur zu finden, ist sicher richtig. Gerade darauf bezogen hätte man sich vom letzten Abenteuer des Zauberlehrlings aber mehr erwartet, denn wenn jemand schon für das Wohl der Überlebenden selbst sein Leben aufgeben muss, könnte es wenigstens etwas effektvoller und auch angemessener umgesetzt werden.
Die Story selbst setzt da an, wo Harry Potter und der Halbblutprinz [2005] aufgehört hat und versetzt den Leser bereits in kürzester Zeit wieder in das bekannte, überaus magische Universum. Und doch leidet auch Die Heiligtümer des Todes unter den bekannten Schwächen der Vorgängerromane. So spickt Rowling die Auflösung ihrer Saga zwar mit sehr viel Action und auch einigen überraschenden Erklärungen, die die letzten Romane über gefehlt haben, doch erstreckt sich der Roman erneut über ein ganzes Jahr, und zwischen den erkenntnisreichen Ausflügen der drei Freunde, die hinter das Geheimnis Voldemorts und einer Waffe gegen ihn kommen wollen, passiert an sich nicht wirklich viel.
So beginnen viele Kapitel mit "die nächsten Wochen über zogen sie durch das Land" oder "die Monate vergingen" – wirklich spannend ist dies dann insbesondere in Bezug auf eine an sich immer währende Bedrohung Potters durch die Todesser nicht. An Tempo gewinnt der Roman an eben jenen Stellen, die Rowling dann durchgehend erzählt, und die dann auch an einem Tag, oder an aufeinander folgenden Tagen spielen. So hätte sich das siebte Abenteuer mühelos innerhalb von zwei Wochen ereignen können und dann auch mehr Zugkraft besessen. Doch dies ist kein Manko des letzten Romans, sondern vielmehr schon seit dem dritten der Fall.

Was die Figuren anbelangt, geht dieses Buch einen deutlichen Schritt weiter, als die bisherigen und man muss der Autorin dafür auch Respekt zollen. Nicht nur, dass sie die Freundschaft zwischen Ron, Hermine und Harry auf eine harte Probe stellt und die tiefsten Ängste und die Enttäuschungen der drei gekonnt heraus arbeitet, sie nimmt sich auch die Zeit, das Vermächtnis von Albus Dumbledore in einem ganz anderen Licht erscheinen zu lassen. Jetzt endlich bekommt man sein Leben auf dem Silbertablett serviert, wenn auch immer nur bruchstückhaft. So ergibt sich letztlich doch das Bild eines ganz normalen Mannes, der nicht von Beginn an so war, wie er zum Schluss schien, sondern im Laufe seines Lebens so geworden ist.
Auch wird Severus Snape hier am Ende des Romans stärker eingebunden und seine Handlungen in den vorangegangenen Büchern erklärt. Auch die Verknüpfung seines Schicksals mit dem der Potters wird deutlich und man fragt sich als Leser einzig, weswegen Rowling mit diesen Erkenntnissen so lange gewartet hat, anstatt in den vorangegangenen Büchern ebenfalls solche Charakteroffenbarungen einzubringen.
So wirken die Figuren hier nicht abwegig zu handeln, wie es in den früheren Romanen stellenweise der Fall war, und auch bislang eher vernachlässigte Personen kommen endlich zum Zug. Einzig Lord Voldemort selbst scheint weit weniger bedrohlich als noch zuvor, sondern als übermächtiger, durchgedrehter und beinahe schon schizophrener Schurke stellenweise unfreiwillig komisch. Wenn er selbst von sich in der dritten Person spricht, muss man als Leser mitunter schmunzeln, obgleich die Szene selbst nicht zum lachen ist. Gerade im vierten und fünften Roman wirkte Voldemort bösartiger und vor allem beherrschter. In Die Heiligtümer des Todes verkommt er nicht selten zu einer Karikatur seiner selbst.

Dramaturgisch wirkt der letzte Roman insofern ein wenig unbalanciert, denn während die Spannung in den beschriebenen Szenen wirklich packt, fährt das Tempo zwischen den Kapiteln merklich herunter. Dieses auf und ab hätte man gegen eine stetig ansteigende Spannungskurve gerne ausgetauscht.
Woran es Rowling außerdem mangelt, ist eine mehrgleisige Geschichte. Während des Romans versucht sie mit den Ausflügen Harrys in den Geist Voldemorts und seinen Erlebnissen eine zweite Storyarc aufzubauen, doch gerade beim Finale fehlt eine weitere Erzählebene völlig. Die Schlacht der Zauberer und Magiewesen wird einzig aus der Sicht Harrys geschildert, statt dass auf mehreren Ebenen gleichzeitig eine deutlich größere Dynamik erzeugt würde – dies resultiert letztlich auch darin, dass man nur nebenbei mitbekommt, wer den Dunklen Magiern zum Opfer gefallen ist. Sieht man sich in diesem Fall andere Fantasy-Werke wie Der Herr der Ringe an, wo im Roman zugegebenermaßen ebenfalls viel aus einer Sicht beschrieben wird, scheint das Finale im Aufbau und der regelrecht choreografierten Schlacht weit ausgefeilter als in Harry Potter und die Heiligtümer des Todes. Hier hätte Rowling auf die Erfahrungen aus den anderen Medien zurückgreifen können und einen noch ergreifenderen Abschluss aufbauen können. Insbesondere die letzte Konfrontation zwischen Harry und Voldemort scheint viel zu schnell vorbei, nach einer langen Vorbereitung und viel Dialog geht die Auseinandersetzung keine zwei Sätze lang.
Überhaupt scheint sich Harry Potter was seine magischen Fähigkeiten anbelangt seit dem zweiten Roman nicht wirklich weiter entwickelt zu haben. Wer also auf ein Kräftemessen zwischen ihm und seinen Gegnern hofft, wird enttäuscht. "Der Junge, der lebte" mag zwar ein lebendes Magiewunder sein, ein Wunderjunge in Sachen Magie ist er allerdings nicht. Selbst Ron und Hermine scheinen ihm dahingehend weit voraus.

Sprachlich ist Die Heiligtümer des Todes merklich britischer ausgefallen, als viele andere Werke modernen Unterhaltungsliteratur aus dem englischen Sprachgebrauch. So sind die Sätze mitunter stark verschachtelt und sehr, sehr lang, was den Lesefluss insbesondere in der ersten Romanhälfte etwas bremst. Dennoch bleibt Harry Potter and the Deathly Hallows, so der Originaltitel, auch für Einsteiger leicht zu lesen, greift allerdings sowohl was die Bezeichnung magischer Gegenstände angeht, als auch bei inhaltlichen Fragen lückenlos auf die älteren Romane zurück. So werden bestimmte Zusammenhänge auch nicht mehr erklärt oder Verknüpfungen hergestellt, wenn sich Harry beispielsweise an die letzten Momente im Vorgängerroman erinnert.
Hier setzt Rowling voraus, dass die Leser das noch wissen und baut ohne Kommentar auf dem (hoffentlich) Bekannten auf.

Ob der siebte Band der letzte sein wird, steht noch in den Sternen – ihre älteren Aussagen, dass sie nun mit der Reihe abgeschlossen habe, setzte Joanne Rowling kürzlich mit dem Kommentar "sag niemals nie" außer Kraft.
Einen Abschluss bietet der Roman sehr wohl, nicht zuletzt, da der Epilog in der Zukunft angesiedelt ist, und schildert, wie sich manche Figuren entwickelt haben. Schade ist das insofern, als dass man als Leser damit der Möglichkeit ein wenig beraubt wird, sich den Werdegang der bekannten Charaktere selbst vorzustellen. Was nach über 600 Seiten übrig bleibt, ist ein wirklich guter Roman, der an den bekannten Mängeln der letzten Werke leidet, dafür allerdings mit einigen wirklichen Überraschungen und vor allem lange überfälligen Erklärungen entschädigt. Alle Fragen werden nicht beantwortet, und das ein oder andere Logikloch gibt es auch in Harry Potter und die Heiligtümer des Todes zu bestaunen, im Großen und Ganzen hat die Autorin ihr Wort allerdings gehalten. Der beste Roman ist es nach dem nach wie vor unerreichten Einstand jedoch nicht. Dafür fehlt auch beim Abschluss jene wundersame Gedanke des völlig Neuen, des Magischen. Dafür sind die Figuren und ihre facettenreiche Darstellung aber endlich erwachsener geworden. So, wie die Leserschaft hoffentlich auch.


Fazit:
Mit den vielen Versprechungen, der großen Geheimniskrämerei und den unzähligen Andeutungen, was im letzten Band alles geschehen könnte, wer von den bekannten Figuren überleben könnte und wer nicht, hat sich Autorin J. K. Rowling selbst einen sehr hohen Maßstab gelegt. An manchen Stellen im Buch wird sie dem auch gerecht. Wenn sich buchstäblich auch die Einrichtung von Hogwarts gegen die Angreifer mobilisiert, wenn dem Zauberlehrling endlich die Antworten auf seine drängendsten Fragen gegeben werden und er sein Schicksal, seine Bestimmung von jenem Unheil bringenden Tag an, an dem seine Eltern starben, offenbar wird, dann schafft es Harry Potter und die Heiligtümer des Todes, dem Leser Gänsehaut zu verpassen.
Bis es allerdings soweit ist, bis endlich klar wird, was diese "Heiligtümer des Todes" sind, und wo sich überall die Horcruxe Voldemorts verbergen, springt der Roman von einer Actionszene zur nächsten, ohne dass allerdings wirklich viel passiert. Immer wieder fährt Rowling das Erzähltempo so drastisch zurück, um es dann erneut anzufahren, dass nie die Bedrohung für Potter und seine Mitstreiter offenbar wird, dass nie jenes epische Gefühl aufkommt, es stünde das Schicksal der gesamten Menschheit auf dem Spiel. Das mag auch daran liegen, dass der gesamte Roman aus der Sicht Harrys erzählt wird. So fehlt dem Abschluss eindeutig eine verzwicktere Geschichte, dem Finale ein Aufbau auf mehreren Ebenen, die schließlich alle ineinander greifen müssen, um den Sieg zu erringen – oder ihn zu verfehlen. Stattdessen geht auch hier alles viel zu geradlinig, und auch wenn die Erkenntnisse in dem Fall mehr als nur wichtig sind, sie ins Finale einzubauen, die Spannung aus der Situation so herauszunehmen, war keine weise Entscheidung.
Ganz ohne Zweifel hat mir der letzte Roman der Reihe gefallen, und er ist auch besser geraten, als manch anderer Ableger der Reihe. Im Endeffekt hätte man die sieben Bände allerdings auf drei wirklich wichtige reduzieren, und trotzdem alles erzählen können. Und eben dieses Gefühl kann Rowling nicht ganz entkräften, bezieht sie sich doch auch nur auf ausgewählte Romane und nicht auf alle sechs vorhergehenden.
Die Fans werden nicht enttäuscht sein, und darauf kommt es letztlich ja auch an.